Veröffentlicht am 27.10.2010 00:00

Moosach · Wenn das Geld nicht die wichtigste Rolle spielt


Von red
Die Stimmung in der Schreinerwerkstatt ist ausgezeichnet.	 (Foto: cr)
Die Stimmung in der Schreinerwerkstatt ist ausgezeichnet. (Foto: cr)
Die Stimmung in der Schreinerwerkstatt ist ausgezeichnet. (Foto: cr)
Die Stimmung in der Schreinerwerkstatt ist ausgezeichnet. (Foto: cr)
Die Stimmung in der Schreinerwerkstatt ist ausgezeichnet. (Foto: cr)

In einer von Marktwirtschaft geprägten Gesellschaft kann es sich niemand leisten, einen Betrieb zu führen, der Monat für Monat ein Minus in der Bilanz stehen hat. Außer der Gesellschaft selbst. Das ist der Vorteil, ja geradezu ein Luxus, den sich eine nach wie vor sozial orientierte Gesellschaft leisten darf, um nicht zu sagen: leisten muss!

Der Betrieb, um den es hier geht, heißt »Anderwerk«, betreibt in Moosach in der Gärtnerstraße eine Schreinerei mit einem Meister, einem Gesellen und elf Auszubildenden. Allein dieses Zahlenverhältnis zeigt: Anderwerk wird seinem Namen gerecht. Es ist anders.

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Ausbildungsbetrieb innerhalb der Innung

Die Anderwerk GmbH ist eine Tochterfirma der Arbeiterwohlfahrt München-Stadt. Doch mit »Wohlfahrt« hat Anderwerk nicht mehr viel zu tun. Zwar stellt die Firma mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung, als sie sich eigentlich leisten kann, vor dem Hintergrund einer allgemein hohen Jugendarbeitslosigkeit. Aber als Ausbildungsbetrieb innerhalb der Innung stellt Anderwerk die gleichen Ansprüche an seine Auszubildenden wie vergleichbare Handwerksbetriebe.

Vielleicht sind die Ansprüche sogar etwas höher. Denn die Jugendlichen, die bei Anderwerk einen Ausbildungsplatz erhalten haben, drohten in der freien Wirtschaft durchs Raster zu fallen. Mit viel Ehrgeiz, wachsendem Selbstbewusstsein und Stolz auf alles, was sie erreichen, kämpfen sich diese Jugendlichen nach vorne. Jeder hat eine Chance verdient. Sie zu schaffen, diese Aufgabe hat Anderwerk übernommen. Wer seine Ausbildung in dem Moosacher Betrieb erfolgreich beendet, ist ausgelernter Schreinergeselle. Damit endet auch die Anstellung bei Anderwerk. Mit dem Abschluss aber haben die Gesellen auf dem freien Markt viel bessere Aussichten als zuvor, als es – aus welchen Gründen auch immer – zu einem wenig zufriedenstellenden Schulabschluss gereicht haben mag.

Bei Anderwerk sind alle gefordert. Der Meister, Martin Stuefer, ist mehr als Ausbildungsleiter. Er ist auch Motivator, zusammen mit Sozialpädagogin Heike Schiessel. (Schon wieder ist hier was anders – welcher Ausbildungsbetrieb beschäftigt schon einen Sozialpädagogen?) Es geht darum, den Beruf zu erlernen und Reife zu entwickeln und zu zeigen. »Wir haben hier eine geniale Stimmung, ich habe das noch nie so erlebt«, meint einer der Auszubildenden. Eine Spaßgesellschaft? Keineswegs. Die Auszubildenden kennen ihre Grenzen, haben die Hierarchie akzeptiert und sagen selbst: »Anders würde es nicht funktionieren.«

Stuefer wiederum ist ein echter Kumpeltyp, der aber ganz klar die Ansagen macht, wenn es nicht nach seiner Vorstellung als Ausbildungsleiter läuft. Respekt, ein von jungen Menschen gerne verwendeter Ausdruck, zählt bei Anderwerk etwas. Gegenseitiger Respekt. Das heißt auch: gegenseitige Hilfe. Die Auszubildenden lassen sich gerne helfen. Sie haben so gar nichts Trotziges an sich, zu dem Jugendliche in der Regel neigen. Sie nehmen Hilfe an, wenn es zum Beispiel darum geht, Bewerbungen zu schreiben.

Von den Azubis wird Disziplin gefordert

Klingt sozial und lieb und nett. Mag sein. Das ist aber die Seite, die andere »normale« Ausbildungsbetriebe nicht immer haben. Lernen, arbeiten, Disziplin – das gehört auch zur Ausbildung bei Anderwerk. Wer seine Ausbildung dort beginnt, wird gleich mal »überfordert«. Ein eigenes Projekt soll er entwickeln, ein aus Holz gebasteltes Spielzeug. Von der Planung bis zur Umsetzung. Die Azubis machen sich ans Werk und stellen fest, dass sie es schaffen können. So entstehen Puppenküchen oder ein Puzzletisch.

Von der Planung bis zur Montage

Mit Fortschreiten der Ausbildung übernehmen die Azubis immer mehr Aufgaben. Sie lernen den Umgang mit Maschinen, haben Kundenkontakt, machen praktisch alles – von der Planung bis zur Montage. Sie entwickeln individuelle Lösungen zu Raumproblemen. Ihre Arbeit ist Maßarbeit. Und die hat ihren Preis. »Wir sind keine Übungswerkstatt«, sagt Florian Reichert, Betriebsleiter der Ausbildungswerkstatt. Die Arbeit ist ihr Geld wert. »Deswegen liegen wir kaum unter den Preisen auf dem freien Markt.« Wer jedoch Wert auf die soziale Komponente legt (von lat. socius = gemeinsam), der vergibt einen Schreinerauftrag an Anderwerk. Denn letztlich geht es nur gemeinsam.

Anton Ramsl aus Moosach ist mit der Arbeit der jungen Leute hochzufrieden und das sagt er ihnen auch. So was hören sie natürlich gern. Vor allem, weil sie wissen, dass das keine Gefälligkeit ist. Sie bekommen ehrliche Anerkennung für ehrliche Arbeit. In einer von Marktwirtschaft geprägten Gesellschaft gibt es »nur« Geld für Leistung. cr

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