Der absolute Leckerbissen der Ausstellung »100 Jahre Auf und Ab des 60er-Stadions«, die noch bis Ende April im »Grünen Salon« in der Tegernseer Landstraße 117 zu sehen ist, ist wohl ein Motiv aus dem Jahre 1912 und zeigt die Akteure der Löwen und des FC Bayern bei einem frühen Derbytreffen in der Faschingssaison.
»Es war wohl nicht das beste aller Spiele zwischen den Lokalrivalen«, lacht Hans-Jürgen Staudt beim Betrachten des frühen Bildwerks. »Nach Erzählungen waren die Spieler in der Nacht zuvor alle im Fasching unterwegs und hatten beim Kicken noch einen ziemlichen Kater!« So verbissen wie in der heutigen Zeit wurden die Dinge freilich noch nicht betrachtet in den Kindertagen des städtischen Stadions an der Grünwalder Straße.
Das »60er-Stadion« heißt jene Sportstätte im Volksmund, deren 100. Wiegenfest in diesem Jahr gefeiert wird. Weil sich die Stadt und die beiden Großvereine bei der Huldigung des alten Kicker-Tempels aber eher zurückhaltend zeigen, pushen Organisationen wie der Verein der »Freunde des Sechzger-Stadions« um den Architekten, Buchautor und ausgemachten Stadionliebhaber Roman Beer das stolze Wiegenfest. Seit vergangener Woche kommen Nostalgiker alter Stadion-Hoch-Zeiten ebenso wie kritische Betrachter der aktuellen Grünwalder-Stadion-Realitäten kurz vor der anstehenden Großrenovierung voll auf ihre Kosten: Im Bürgerbüro der Landtagsabgeordneten Claudia Stamm (Grüne) ist eben jene kleine, aber feine Fotoausstellung zu sehen, die gleichsam im bildhaften Zeitraffer ein Jahrhundert Stadiongeschichte reflektiert. Der Fotograf Hans-Jürgen Staudt und Roman Beer haben die Werkschau im kleinen Salon an der Tegernseer Landstraße mit direktem Blickkontakt zum Originalschauplatz mit Herzblut konzipiert.
Roman Beer liegt die in die Jahre gekommene Kultstätte besonders am Herzen. Er hat dem Baudenkmal mit dem Buch »Kultstätte an der Grünwalder Straße« ein bleibendes Denkmal gesetzt. Das Werk erscheint in diesem Monat in einer Neuauflage. Die Werkschau im Salon freilich lohnt in viererlei Hinsicht: Neben historischen Schwarz-Weiß-Fotografien und einer ganzen Reihe kunstvoll arrangierter Gegenwartsschnappschüsse aus Staudts Kameraperspektive sind auch Karikaturen von Dieter Hanitzsch sowie impressionistisch anmutende Stadion-Bildarbeiten des Grafik-Designers Johannes Bissinger zu sehen. Dazu gibt es die in limitierter Edition arrangierten »Kultstätten-T-Shirts« zu erwerben. Noch mindestens bis Ende April ist die Exposition zu bewundern (jeweils montags und mittwochs von 9 bis 12 Uhr, dienstags und donnerstags von 17 bis 18 Uhr, an Freitagen von 14 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbarung unter Telefon 65 05 03.
Während unweit der Ausstellungsstätte derzeit vor dem Hintergrund eklatanter Finanznöte und Schulden die Verantwortlichen des TSV 1860 an der Zukunft des Vereins basteln, hat auch das Stadion selbst über die vielen Jahrzehnte viele Brüche und Umbrüche erlebt. »Unser Augenmerk wollen wir bei dieser Ausstellung voll auf das Stadion richten«, schilderte Beer die Ausrichtung. Denn abseits derzeitigen Schlagzeilenwirbels um die »Blauen« lieferte und liefert das ehrwürdige Gemäuer selbst reichlich Schlagzeilen. »Es war nicht, wie viele vielleicht glauben mögen, von Anfang an eine Liebe zwischen Stadion und Verein«, plaudert Beer aus dem historischen Nähkästchen.
Lange bereits hatte der TSV 1860 im Jahre 1911 nach einer Heimstätte gesucht, ehe man auf Giesings Höhen fündig wurde. Damals noch soll so mancher Altvordere der Löwen über das »proletarische Giesinger Volk die Nase gerümpft haben«, erzählt Beer.
Doch es ging rasch vorwärts in der gegenseitigen Beziehung von Verein und Kultstätte. Nach dem ersten Derby gegen die Bayern folgte der nächste Meilenstein in den Jahren 1925 und 1926, als die Sportstätte endgültig zum Stadion ausgebaut wurde. Heute, wo die Stadt das Fassungsvermögen des Städtischen Stadions nach der anstehenden Renovierung 2013/ 2014 auf rund 12.000 Zuschauer beschränkt sehen möchte, klingt eine historische Zahl fast unglaublich: Rund 60.000 Zuschauer sollen es gewesen sein, die an der Grünwalder Straße 1948 das Südderby des TSV 1860 gegen den »Club« aus Nürnberg verfolgten.
Eine Hochphase folgte in den 60er Jahren die Derbys zwischen den Blauen und den Roten auf Giesings Höhen in dieser Zeit lassen noch heute viele Fußballliebhaber mit der Zunge schnalzen. »Da haben wir als Kinder nach den zahlreichen Siegen der Sechziger von gut gelaunten Erwachsenen immer die leeren Bierflaschen bekommen und damit unser Taschengeld aufgebessert«, schwärmt Löwen-Anhänger Staudt heute nostalgisch von dieser Zeit. Aktuell sieht es weniger berauschend aus: Vor einigen Jahren schien das alte Stadion gar abrissgefährdet. Auch dank der immensen Initiativen der Freunde des Sechzger-Stadions konnte dieses Damoklesschwert abgewendet werden. Freilich: Die nun vonseiten der Stadt avisierte Sanierung für rund zehn Millionen Euro schränkt den alten Glanz ein sichert neben einer sehr rationalen Bestandserhaltung und Modernisierung lediglich den reinen Fortbestand.
»Die Beschränkung auf dann 12.000 Zuschauer freilich ist lediglich eine Beschränkung der Behörden«, so Beer. Froh ist er, dass es im bald sanierten Stadion entgegen früherer Gerüchte doch wieder eine Stadionwirtschaft geben soll. »Das hat bereits Bürgermeisterin Christine Strobl versprochen vielleicht sogar mit erweiterten Öffnungszeiten«. Der bekennende Löwe geht aber viel weiter. Er setzt sich bekanntermaßen seit Jahren für eine Rückkehr auch der ersten Mannschaft auf Giesings Höhen ein. »Eine Kapazität von über 20.000 Zuschauern wäre problemlos zu erreichen und böte der Ersten Mannschaft gerade auch nach einer Insolvenz eine Heimat fern der ungeliebten Allianz-Arena. Auch bei einer Insolvenz hätten wir mit unserem Potential schon nach wenigen Jahren wieder in der Dritten und dann in der Zweiten Liga«, hält er das sportliche Risiko für überschaubar. Hier klaffen die Meinungen im Verein weit auseinander. Grünen-Politikerin und Ausstellungs-Gastgeberin Stamm hält sich aus diesen sportpolitischen Diskussionen bewusst heraus. »Das ist eine andere Baustelle als das Stadion selbst«, betont sie gegenüber unserer Zeitung. Zur Stadionzukunft selbst hat sie eine dezidierte Meinung: »Der Stadionerhalt freut mich sehr das ist eine sehr gute Sache!«
Da viel öffentliches Geld drinstecke, sei auch ein großer Zukunftsnutzen für die Gesellschaft anzustreben. Ihre soziokulturelle Vision kreist um ein »Stadion als Kommunikationstreffpunkt« ein Biergarten oder Übungsräume für Bands seien hier ebenso denkbar wie ein Kindergarten. »Das Vorbild anderer Stadionprojekte wie etwa in Basel zeigt die Machbarkeit doch auf«, findet Stamm. Allerdings scheiterte ein Modellentwurf dieses Charakters in der Vergangenheit nicht nur an der finanziellen Umsetzung, sondern auch an den schwierigen infrastrukturellen und verkehrsinfrastrukturellen Rahmenbedingungen vor Ort. Doch Werkschauen wie die im »Grüner Salon« regen den Dialog an und sind schon deshalb unbedingt zu begrüßen.
Harald Hettich