Veröffentlicht am 11.01.2012 00:00

Bogenhausen · Channel crossing for life


Von red

»Ich wollte mit meiner Zeit und meinem Einsatz dazu beisteuern, dass sie den bestmöglichen Job machen können.« Diese Motivation nennt Kaise Stephan für seine Idee, den Ärmelkanal zu durchschwimmen, um Geld für das »Children’s Hospital at Westmead« zu sammeln und zu spenden. Denn als sein 13-jähriger Cousin Mark an Leukämie erkrankte und zur Chemotherapie in dieses Krankenhaus musste, suchte der Australier eine außergewöhnliche Herausforderung und entschied sich für den Ärmelkanal mit all seinen Gefahren wie zum Beispiel Stürmen, starken Strömungen, zwei Meter hohen Wellen oder einer Wassertemperatur von ungefähr 15 Grad.

12-teilige Reihe: Wir hinterfragen Geschichten

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Jeden Tag durchqueren ungefähr 600 Tanker und 200 Fähren diesen Kanal. Kaise wählte die Strecke von den Shakespeare Cliffs in Dover nach Cap Gris-Nez, die ungefähr 35 Kilometer beträgt.

Einmal quer durch den Ärmelkanal

Der im Schwimmen wenig Erfahrene begann im Februar 2006 mit den Vorbereitungen und stellte schnell fest, dass er einen Trainer benötigte, um das anstrengende Sportprogramm durchzuziehen. Er fand schließlich Daniel Esposito, der ihn ehrenamtlich unterstützte. So begann der Versicherungsmathematiker an sechs Tagen die Woche jeden Morgen um 4.30 Uhr für zwei Stunden zu trainieren, um schließlich jede Woche 80 bis 90 Kilometer zu schwimmen. Zusätzlich zu seinem regulären Training legte der ehrgeizige Familienvater auch lange Schwimmstrecken im kalten Wasser zurück, da er nur eine Badehose im Ärmelkanal tragen durfte.

So schwamm er einmal elf Kilometer von der Harbour Bridge zu Manly und sogar einmal am Regatta Centre bei Penrith 30 Kilometer in zehn Stunden. Als mentales und physisches Training aß er nach einem Zehn-Kilometer-Wettkampf nur drei Bananen und trank einen Kakao, um danach für einen Wettkampf über zwei Kilometer ins Wasser zu springen. Zwischenzeitlich gab es auch eine Phase, in der der Aus­tralier assyrischer Abstammung aufgeben wollte. Als er im Winter in einem zwei Grad kalten See trainieren sollte, konnte er sich zunächst nicht dazu überwinden, in das Wasser zu gehen. Doch als er einen ihm bekannten älteren Herren sah, der ihn mit seinen Ersparnissen bisher unterstützt hatte, nahm Kaise doch allen Mut zusammen und stieg ins kalte Wasser. Auch sein Arbeitgeber in Sydney unterstützte ihn bei seinem Vorhaben, bot dem engagierten Mann flexible Arbeitszeiten an und organisierte sogar eine Präsentation für ihn, um sein Projekt vorzustellen und um Spenden dafür zu bitten.

Natürlich musste der 33-Jährige auch seine Ernährung umstellen, damit er mindestens fünf Kilogramm zunahm, um das Idealgewicht für eine lange Ausdauer und optimalen Kälteschutz zu erzielen. Durch das intensive Training war es sehr schwer für ihn, an Gewicht zuzulegen, sodass er am Tag sechs Mahlzeiten zu sich nehmen musste. Oft aß er einfach im Auto oder neben den Spendenveranstaltungen, um überhaupt Zeit für das Essen zu finden. So trainierte Kaise Stephan zweieinhalb Jahre für seinen großen Tag am Samstag, den 13. Juli 2008. Er schwamm in seinem Training insgesamt 4500 Kilometer, um die für ihn ­größte mentale und physische Herausforderung zu schaffen. Mit Badekappe, Schwimmbrille und Badehose ausgerüstet schaute der braunhaarige Schwimmer kurz vor dem Start um 17 Uhr nervös in den Himmel und dachte: »Oh mein Gott, wie soll ich das nur schaffen?«

Ihn begleiteten auf einem Beiboot sein Trainer, der ihm alle 40 Minuten Getränke und Essen zuwarf, und der Schwimmer Ryan, der alle zwei Stunden ins Wasser sprang, um den

Wagemutigen ein Stück zu begleiten. Außerdem versicherte sich ein neutraler Beobachter, dass alle Regeln eingehalten wurden.

Auf die Frage, ob er ­während des Schwimmens einmal aufgeben wollte, antwortete der gläubige Christ, dass Gott ihm half, alle Herausforderungen zu meistern, wie das unangenehme Schwimmen bei Nacht, bei dem man nicht weiß, was sich unter einem befindet. Besonders schwierig war die Phase, als Kaise weder vor noch hinter sich Land sah. Natürlich war es auch schwer zu atmen, aber der hartnäckige Kämpfer wollte nicht aufgeben. Auch wenn Kaise für alles trainiert hatte, trat trotzdem etwas Unerwartetes auf. Er musste sich anfangs im Wasser immer wieder nach dem Essen übergeben und dehydrierte, da das Wasser einen extremen Salzgehalt aufweist und er durch die Energy-Drinks nicht genügend Wasser aufnehmen konnte. So stieg er von den Energy-Drinks auf Mineralwasser um und aß eine Stunde lang nichts mehr, um sich wieder zu regenerieren. Der Willensstarke wollte ­alle Aufgaben meistern, weil die Unterstützung der schwerkranken Kinder seine große Motivation waren. Am Ende nahm er 170.000 Dollar für das Krankenhaus ein, in dem der 18-jährige Cousin, der gerade den Abschluss an der High School erfolgreich abgeschlossen hat, behandelt und geheilt wurde.

Ankunft wie im Traum erlebt

Als er nach zwölfeinhalb anstrengenden Stunden ankam, beschrieb Kaise: »Mir ging so vieles durch den Kopf und es war wie ein Traum, als ich schließlich den Sand eines verlassenen Strands beim Cap Gris-Nez am frühen Sonntagmorgen betrat.« Nachdem er viele emotionale Umarmungen, eine warme Decke und eine heiße Suppe bekommen hatte, setzte Kaise sich völlig erschöpft hin, den Kopf in die Hände gestützt, um den magischen Moment aufzufangen.

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