Veröffentlicht am 30.01.2012 00:00

München · Briten sind Weltmeister im Smalltalk


Von red
Obwohl mancher erst verschlossen wirkt, können doch Freundschaften entstehen.	  (Foto: phil)
Obwohl mancher erst verschlossen wirkt, können doch Freundschaften entstehen. (Foto: phil)
Obwohl mancher erst verschlossen wirkt, können doch Freundschaften entstehen. (Foto: phil)
Obwohl mancher erst verschlossen wirkt, können doch Freundschaften entstehen. (Foto: phil)
Obwohl mancher erst verschlossen wirkt, können doch Freundschaften entstehen. (Foto: phil)

Noch interessanter als Landschaft und Sehenswürdigkeiten sind die Menschen in einem fremden Land. Das weiß auch der Giesinger Austauschschüler Philipp von der Wippel (16) und versucht trotz kleiner Hindernisse, neue Kontakte zu knüpfen.

Goodbye Germany, England we’re coming

Philipp auf der Insel - Kolumne: Austauschschüler Philipp berichtet drei Monate lang über seine Erlebnisse und den Unterschieden bzw. Gemeinsamkeiten von Deutschen und Engländern

Live auf Facebook: „Philipp auf der Insel“ Verfolgen Sie Philipps Erlebnisse und stellen Sie Ihre Fragen!

»How are you? All right? See you later!« Hier auf der Insel wird mir jeden Tag aufs Neue bewiesen, dass eine erschöpfende Unterhaltung aus acht Wörtern bestehen kann und jedes weitere eine Zumutung für den Gesprächspartner sein könnte. Alle Briten sind Weltmeister im Smalltalk, scheinen sich jedoch vor jeder ausführlicheren Unterhaltung zu fürchten. Das brachte mich schwer zum Nachdenken: Woher kommt diese Eigenheit?

Zuallererst der bewundernswerte Grund, warum Engländer selbst Menschen, die ihnen sus­pekt sind, immer und immer wieder nach ihrem Wohlbefinden fragen: die uneingeschränkte Höflichkeit gegenüber wirklich jedermann und der große Respekt, für den die Inselbewohner ja weltweit bekannt sind. Hinter der anerzogenen Disziplin, fremde Menschen anzusprechen und zu fragen, ob es ihnen auch gut gehe, steht freilich nicht immer das echte Interesse an einer Antwort.

Wenn mir eine Frage gestellt wird, beantworte ich sie – so bin ich es aus der Heimat gewöhnt. Aus dieser Selbstverständlichkeit heraus habe ich in den ersten Tagen auf alle »All right?« stets brav und nicht zu kurz geantwortet und mich anschließend resigniert gefragt, warum es denn keinen freue, dass es mir bestens geht und was ich alles erlebt habe. Eine Frage unbeantwortet im Raum stehen zu lassen ist sehr ungewohnt. Ich versuche mich anzupassen und glaube, ich habe es schon drauf.

Die endgültige Bestätigung dafür bleibt aber leider aus, denn es entspräche wiederum nicht dem »Gentle« der Briten, Verbesserung oder gar Kritik ungefragt anzubringen. Dieser spezielle englische Respekt äußert sich sogar manchmal in verwehrter Hilfsbereitschaft. So kann es Ihnen (wie mir tatsächlich letzte Woche) passieren, dass Sie stolpern und selbst Personen in nächster Nähe keine Anstalten machen, ihnen aufstehen zu helfen. Das geschieht keinesfalls aus Faulheit oder Unhöflichkeit, sondern vielmehr aus der Befürchtung, Sie könnten sich vor ihm schämen, gestürzt zu sein. Der Engländer denkt eben anders!

Ein weiterer Aspekt ist die scheinbare Angst vieler Inselbewohner vor tiefer gehenden Gesprächen. Die ist wohl auf die gelebte unantastbare Privatsphäre zurückzuführen. »Nichts Besonderes, nur entspannen!« ist die meistgehörte, erste und blitzschnell herausgeschossene Antwort auf die Frage nach der Planung des Wochenendes. Auf den Vorschlag, sich zu verabreden, kommt dann der rasche Widerspruch »Es ist sehr stressig zur Zeit«. Die eine Antwort schließt für mich die andere aus, aber sie ist ja auch nicht als Argument gedacht, sondern viel mehr als Signal, das man keinesfalls ignorieren sollte.

Eine ganz andere Situation ist es aber, wenn ein Engländer mich von sich aus anspricht. Denn dann kann ich sicher gehen, dass dieser das wirkliche Gespräch sucht. Dabei redet der Brite dann gerne über Privates und auch sonst Unausgesprochenes – diskutiert wird jedoch niemals, ausschließlich erzählt! Bin ich also dann angesprochen worden, fehlt zu einer Verabredung nicht mehr viel. Ab diesem Moment dreht sich die Eigenart nämlich drastisch um: Aus dem erst abweisenden Engländer wird rasch der gastfreundlichste Gefährte, aber eben nur wenn die Initiative von ihm ausgeht.

Das Musterbeispiel stellt mein Freund in London dar. Ein guter Freund von mir hatte uns beide über E-Mail vorgestellt. Die Einladung zu ihm nach London folgte in einer E-Mail zwei Wochen später. Als ich zwei Tage später noch nicht zugesagt hatte, weil ich unsicher war, ob und wie ich die Einladung denn annehmen sollte, fragte er verunsichert nach. Ich sagte generell zu. Wir trafen uns (wie berichtet) unverhofft kurzfristig in London und haben innerhalb von sechs Stunden eine echte Freundschaft entwickelt. Seitdem schreibt er mir zweimal wöchentlich, ob es mir gut gehe und wann ich das nächste Mal nach London kommen würde.

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