Er war Fackelläufer bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München. Damals ging für Gerhard Ochsenkühn vom TSV Milbertshofen ein Traum in Erfüllung. »Es war ein einmaliges Erlebnis«, erinnert sich der heute 70-Jährige. Er war der fünftletzte Läufer, ehe im Olympiastadion mit der Fackel das olympische Feuer entzündet wurde. Auf einem Stück von rund 800 Metern durfte der damals 30-Jährige die Fackel durch die Ackermann- und Schleißheimer Straße tragen.
In Gedenken an die Opfer des Olympia-Attentats 1972 Themenseite zur Entwicklung der Gedenkstätte im Olympiapark München
Viele Menschen hatten zugeschaut und die Straßen gesäumt. »Wichtig war es, die Fackel gerade zu halten, aufrecht zu laufen und einen guten Laufstil zu haben«, erinnert sich Ochsenkühn. Der Fackellauf sei in emotionaler Hinsicht ein absoluter Höhepunkt in seiner Sportlerkarriere gewesen, »das war eine ganz große Ehre und eine besondere Auszeichnung.«
Der TSV Milbertshofen sei damals gebeten worden, einen Fackelläufer zu benennen. Der Verein habe daraufhin den erfahrenen Handball-Bundesligaspieler Ochsenkühn wegen seiner Treue zum TSV auserwählt. Ochsenkühn war mit zwölf Jahren eingetreten, wurde mit 17 Jahren bayerischer Meister im Jugendhandball in der Halle und schaffte dann mit der Mannschaft alle Aufstiege in die Bundesliga.
Genau 808 Bundesliga-Spiele absolvierte der gebürtige Milbertshofener, das war zwischen 1970 und 1976. Die Handballspieler des TSV Milbertshofen seien während den Olympischen Spielen zweimal Trainingspartner von Olympiamannschaften gewesen, erzählt der Sportler voller Stolz: gegen die ungarische Nationalmannschaft und gegen die russische. Letztere sei Weltklasse gewesen, trotzdem sei die Mannschaft aus dem ehemaligen Jugoslawien dann 1972 Olympiasieger im Handball geworden. Natürlich verfolgte Ochsenkühn damals als Zuschauer in der Olympiahalle an zwei Tagen die Spiele der Handball-Mannschaften aus aller Welt mit. »Es waren heitere Spiele, die Stimmung und das Wetter, alles hat gepasst. Jeder hat sich gefreut.«
Und dann das Olympia-Attentat am 5. September 1972: Palästinensische Terroristen drangen in das Olympische Dorf an der Connollystraße 31 ein und nahmen elf Athleten der israelischen Mannschaft als Geiseln. Alle wurden schließlich ermordet. »Ich war extrem schockiert und traurig«, erinnert sich der Milbertshofener. Trotzdem fand er es gut, dass die Olympischen Spiele fortgesetzt wurden: zum einen, weil man sonst dem Zweck der Terroristen nachgegeben hätte und zum anderen, weil die Sportler jahrelang trainiert hatten und für so manchen Athleten den Höhepunkt in seiner Karriere bedeuteten.
Die Spiele gingen nach der Geiselnahme von München weiter, »aber es war nicht mehr die Euphorie«, sagt Ochsenkühn. Auch er sah die Leichtathletik-Wettbewerbe im Olympiastadion. Alles lag ja quasi vor seiner Haustüre. Ochsenkühn wuchs in Milbertshofen auf und radelte als Bub mit seinen Freunden gerne über das Oberwiesenfeld. »Das heutige Olympiagelände war damals eine riesengroße Wiese.« Es hat dort einen Flugplatz gegeben und die Kinder hätten gerne den Segelfliegern zugeschaut. Der Olympia- war damals noch der Schuttberg, eine Art Müllhalde. Dann kamen die Bagger und Kräne und gestalteten den Olympiapark mit seinem weltberühmten Zeltdach. »Es ist eine tolle Sache, dass wir das Olympiagelände bekommen haben«, freut sich der gebürtige Milbertshofener heute noch. Inzwischen wohnt er in Gauting. Trotzdem hält er seit 58 Jahren dem TSV Milbertshofen die Treue, ist Ehrenmitglied und Ehrenspielführer des Vereins. Die Erlebnisse von Gerhard Ochsenkühn und von rund 40 anderen Zeitzeugen kann man ab September im »Olympia 72 Lesebuch« erfahren, das nun vorab vorgestellt wurde. Ein Münchner schildert darin zum Beispiel seine Freude als kleines Kind, mit der Familie als Sonntagsausflug zum Besichtigen der Olympia-Baustelle auf dem Oberwiesenfeld zu fahren, erzählt die Journalistin Verena Müller-Rohde. Sie hat mit der Politologin und Buchautorin Susanne Rieger das »Lesebuch« über Olympia 1972 geschrieben.
Es handele sich dabei nicht etwa um ein Nachschlagewerk über die sportlichen Ereignisse, also um ein typisches Olympiabuch. Stattdessen kommen dort in erzählerischer Schreibweise viele Zeitzeugen zu Wort. Diese berichten »lebensnah, interessant und lebendig«, freuen sich die beiden Autorinnen. Es sind ehemalige Olympiateilnehmer wie der Goldmedaillengewinner im Speerwerfen Klaus Wolfermann dabei, aber auch Zuschauer, Hostessen, Organisatoren und Sicherheitsleute. Die Frauen und Männer »lassen die strahlenden und die rabenschwarzen Tage von München noch einmal aus ihrer ganz persönlichen Sicht lebendig werden«, sagen die Autorinnen. Vom »Bullen-Vierer« ist die Rede und vom boomenden »Millionendorf«. Durch diese Geschichten werde aber auch das Lebensgefühl und der Zeitgeist der 1970er-Jahre eingefangen. In dem Buch kann man zudem einen Blick auf viele bislang unveröffentlichte Fotos aus Privatarchiven werfen. Das »Olympia 72 Lesebuch« von Verena Müller-Rohde und Susanne Rieger, 220 Seiten, Verlag Testimon, erscheint Mitte September. Es kostet 14 Euro. W. Schmidt