Über den Candidplatz fließt der Verkehr des Mittleren Rings. Dennoch ist der Charakter des ehemaligen Arbeiterviertels Untergiesing noch heute erkennbar.
Nutzen Sie Ihre Chance auf Mitbestimmung
Wer durch den Bezirk radelt, entdeckt abwechslungsreiche Bebauung, mediterran anmutende Plätze und den sanft fließenden Auer Mühlbach. Saftiges Grün sprießt beidseits der Isar, lädt zum Spazieren und Verweilen ein. Bald ahnt man: Das Paradies muss in München sein!
Allerdings ist die bayerische Landeshauptstadt der Garten Eden nach dem Sündenfall. Denn die Vertreibung hat längst begonnen. Immer mehr Münchner müssen ihre Wohnungen verlassen, weil sie die Miete einfach nicht mehr aufbringen können.
Vom Ringen um den Erhalt der Kutscherhäuser in der Birkenau erzählt Maximilian Heisler, Projektleiter der »Aktionsgruppe Untergiesing e.V.«, der sich seit Jahren dafür einsetzt, dass Wohnen im Viertel bezahlbar bleibt. Zur Fahrt mit dem Conference-Bike eingeladen hat ihn Prof. Dr. Michael Piazolo, MdL und Generalsekretär der Freien Wähler (FW), um über die Gentrifizierung in Untergiesing vor Ort zu sprechen.
Wenn zwei sich
streiten, freut sich der Spekulant
Beispiele gibt es genügend, so etwa das Hans-Mielich-Karrée. Die gleich neben dem Candidplatz gelegenen Wohnblocks aus den 1950er Jahren gehörten einst zum Bestand der Wohnungsbaugenossenschaft GBW. 2009 wurden sie an die Firma Rock Capital Partners verkauft, die derzeit einer der größten Investoren auf Münchens Immobilienmarkt ist. Unverzüglich gabs eine Mieterhöhung von 20 Prozent. Noch heftiger traf es jedoch die Bewohner in der Arminiusstraße 24: Rund eine halbe Million habe die energetische Sanierung und der Anbau des gläsernen Lifts gekostet, erzählt Heisler: »Um 60 Prozent stiegen daraufhin die Mieten.«
Die gewachsenen sozialen Strukturen in den Stadtbezirken vor Zerstörung durch unkontrolliertes Profitstreben zu schützen, zählt zu den Aufgaben der Politik. Dass die der unseligen Entwicklung jedoch nicht effektiv genug entgegenwirke, liege vor allem am Zwist zwischen den politischen Gruppen, meint Michael Piazolo: »Denn während Vertreter der FDP stets vorschlagen, durch Steuererleichterungen Neubauprojekte zu erleichtern, streiten sich SPD/Grüne und CSU, welche Maßnahmen adäquat seien und blockieren sich dadurch gegenseitig.« Wichtig sei schließlich nicht, welche Partei was erreicht, sondern vielmehr das Ergebnis, betont Piazolo.
Freie Wähler wollen Wahlfreiheit G8 / G9 durchsetzen
Weiteres Thema der Konferenz auf dem Rad war die Bildungspolitik, genauer gesagt die Diskussion ums G8. Seit dessen Einführung ziele das Lernen nur noch auf Noten anstatt auf echtes Aneignen von Wissen und Fähigkeiten, kritisiert Alexandra Cavelius. Erst kürzlich publizierte die freie Journalistin ihr Buch »Der Staatszirkus«, in dem sie Mutter von zwei Gymnasiasten sati(e)rische Schulgeschichten erzählt.
Cavelius will aufzeigen, wie sinnlos und destruktiv die Hetze beim Lernen ist: »Zum Nachfragen oder Üben bleibt keine Zeit, gefragt ist der Einsatz der Ellenbogen. Viele Eltern berichten, dass ihre Kinder an Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Bauchweh und Erschöpfungszuständen leiden. Schon die Kleinen haben Rückenschmerzen durch das lange Sitzen und den Bewegungsmangel. Letztlich macht der anhaltende Stress die Schüler und die ganze Familie krank!« Aber das sei halt nun mal so, und lasse sich nicht ändern, denken viele.
Schon 14.000
Unterschriften fürs Volksbegehren
»Viele Mütter und Väter wollen ihren Kindern und sich selbst diese Strapaze ersparen. Sie schicken ihren Nachwuchs also lieber gar nicht erst aufs Gymnasium«, weiß Michael Piazolo. Damit die Bildungschancen der Kinder nicht vom Sozialstatus oder der Finanzkraft der Eltern abhängen, plädiert der Landtagsabgeordnete für mehr Zeit zum Lernen, mehr Unabhängigkeit der Schulen von den Anweisungen des Kultusministeriums, und für mehr gezielte Förderung der Schüler innerhalb eines neuen G9.
Um diese Ziele durchzusetzen, haben die Freien Wähler eine Initiative für ein Volksbegehren gestartet, das künftig die Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 ermöglichen soll. Mittlerweile haben bereits knapp 14.000 Menschen das Ansinnen unterschrieben, das sind mehr als 50 Prozent der zur Einreichung benötigten Quote von 25.000 Unterstützerunterschriften. »Wir wehren uns gegen eine Politik über die Köpfe der Menschen hinweg«, so Piazolos Fazit: »Es muss möglich sein, politische Entscheidungen, die sich als falsch erwiesen haben, zurückzunehmen!« AH