Veröffentlicht am 24.08.2013 00:00

Hubert Aiwanger im Gespräch


Von red

Die Freien Wähler kommen – jedenfalls sieht das ihr Spitzenkandidat bei der bayerischen Landtagswahl am 15. September so. Hubert Aiwanger spricht im Münchner SamstagsBlatt über die Demokratiefähigkeit der CSU, Lobbyismus und Familienpolitik.

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Münchner SamstagsBlatt: Warum können Sie sich vorstellen, Juniorpartner in einer CSU-geführten Koalition zu werden?

Hubert Aiwanger: Als demokratische Gruppe der Mitte muss man sich jede Konstellation vorstellen können. Natürlich verbunden mit der Zielsetzung, die eigenen Themen möglichst durchzusetzen und eine CSU dann auch zu läutern, dann wär’s auch mit der CSU denkbar.

Das klingt nicht nach Ihrer favorisierten Konstellation.

Aiwanger: Wir können uns eine Regierung mit beiden Lagern vorstellen und beide müssten Positionen räumen, damit sie für uns ein Koalitionspartner wären. Sollten sie nicht auf unsere Linie einschwenken in vielen wichtigen Dingen, würden ­wir lieber in der Opposition bleiben, ansonsten stehen wir gerne für eine Regierung zur Verfügung.

Glauben Sie, dass es mit der SPD leichter wäre, Positionen zu erkämpfen?

Aiwanger: Ich glaube, dass die SPD zugänglicher wäre für Themen. Die CSU ist sturer, ist es gewohnt, über 50 Jahre zu bestimmen, was passiert. Eine SPD hat ähnlich wie die Freien Wähler die Oppositionserfahrung und ist kompromissbereiter, davon bin ich überzeugt.

Die CSU hat jahrzehntelang mit absoluter Mehrheit Politik machen können, zuletzt in der Koalition mit den Liberalen. Wohin steuert Bayern mit der CSU am Ruder?

Aiwanger: Schwarz-Gelb hat keine Visionen. Sie politisieren so in den Tag hinein und schauen, was die Themen so bringen, haben aber selbst keine Ziele und werden immer mehr von der Realität überholt. Das ist eigentlich das Fatale. Ich glaube, dass sie nicht wissen, was morgen ist.

Das wäre ja eher fahrlässig. Man wird gewählt, um Politik zu machen.

Aiwanger: Um im Sinne der Bürger zu gestalten. Wenn Schwarz-Gelb gestaltet, dann im Sinne der Lobbyisten. Dann im Sinne dessen, »wir wollen eine dritte Startbahn«, obwohl sie die Bürger nicht wollen; »wir wollen Verkehrsgroßprojekte wie eine Donaustaustufe« – die haben sie jetzt auf die lange Bank geschoben, aber noch nicht aufgegeben. Die CSU steht auch für die Energiemonopole und die Fortsetzung der falschen Banken-Rettungsschirm-Politik. Das ist einfach das, was ich der CSU vorwerfe. Wenn sie einen Finger rühren, dann für die Lobbyisten, aber nicht für die Bürger.

Ist die Politik der Wirtschaft näher als den Bürgern?

Aiwanger: Es kommt drauf an, was man unter Wirtschaft definiert. Wir sind auch der Wirtschaft nahe, aber eher der mittelständischen und regionalen Wirtschaft, aber nicht den ganz großen Lobbyisten. Und die CSU steht den großen Finanzinstituten, den großen Wirtschaftskonzernen näher als dem Mittelstand. Wir müssen wieder mehr auf die kleineren Leute hören und auf die mittelständische Wirtschaft, nicht nur den Global Playern zuspielen, sondern auch den regionalen.

Heißt Nähe zur Wirtschaft gleichzeitig größere Distanz zum Bürger?

Aiwanger: Die Nähe zu den Großkonzernen verursacht teilweise eine Entfremdung von der Bevölkerung, siehe Liberalisierung der Trinkwasserversorgung, was in meinen Augen auf keinen Fall passieren darf, da sind wir bei der ganzen Thematik EU-Freihandelsabkommen mit den USA, wo Hormon- und Genfleisch importiert werden würde und die kleinen Bauern bei uns kaputt gemacht würden. An der Stelle stünde wieder Schwarz-Gelb eindeutig an der Seite der großen Lebensmittelimporteure und nicht bei der regionalen Metzgerei, beim kleinen Schlachthaus, beim kleinen Ab-Hof-Vermakter. Das ist der Unterschied zwischen Freie-Wähler-Politik und CSU-Politik. In vielen Fällen ist diese Marktverzerrung zugunsten der großen Strukturen ein großes Problem und das ist auch das Ende der sozialen Marktwirtschaft.

Ist das auch der Grund für die Politikverdrossenheit? Die Wahlbeteiligung geht fast ausnahmslos zurück.

Aiwanger: Die Bürger merken, dass die Politik immer mehr zu Marionetten gemacht werden soll oder teilweise schon ist. Konzernspenden beeinflussen natürlich die Politik. Der Bürger merkt ganz genau, dass die Dinge wie die Strompreise, die Spritpreise, alle diese Dinge dann zu seinen Ungunsten entschieden werden, weil die Politik mit den Großen unter einer Decke liegt. Das müssen wir lüften, da müssen wir wieder eine bürgernahe Politik durchsetzen.

Wie stehen die Freien Wähler zu Konzernspenden?

Aiwanger: Wir lehnen sie ab, haben auch vor Kurzem eine Wirtschaftsspende abgelehnt. Das waren mehrere Zehntausend Euro von einem Wirtschaftsverband. Wir fordern, die Konzernspenden auf 20.000 Euro pro Partei, Konzern und Jahr zu deckeln.

Das Angebot und die Annahme von Parteispenden habe auch mit Verantwortung zu tun. Die Bürger fordern ein, dass Politik und Wirtschaft die Verantwortung für ihr Handeln tragen. Diese Verantwortung trägt aber auch jeder Einzelne für sich selbst. Glauben Sie, dass diese Verantwortung für das eigene Handeln auf dem Rückzug ist?

Aiwanger: Ich glaube, dass die Menschen durchaus bereit sind für ehrenamtliche Tätigkeit, für Verantwortungsübernahme. Das Ehrenamt vor Ort hat eine Bedeutung, wo die Menschen sehen, dort gilt meine Stimme was, dort kann ich mitgestalten. Dort tun sie das auch. Andererseits ist es durchaus so, dass die große Politik das Engagement teilweise aus dem Feld drängt und dann die Menschen sagen: Wenn es schon nicht erwünscht ist, dann muss ich’s auch nicht unbedingt haben. Beispielsweise wenn ehrenamtliche Vereinsvorstände im Ernstfall in Haftung genommen werden. Der sagt dann: »Nie mehr wieder! Ich will damit nichts mehr zu tun haben.« Bei der politischen Struktur ist es unsere große Zielsetzung, politische Verantwortlichkeit möglichst weit nach unten zu geben und weniger Fördertopfpolitik zu machen. Der Kommune zu sagen, du hast in deinem Gebiet soundsoviel Kinder unter drei Jahren, dafür kriegst du einen Betrag X. Bitte organisier damit die Kinderbetreuung so, wie sie bei euch passt. Und nicht: Es gibt einen Zuschuss für eine Kinderkrippe. Je teurer die gebaut wird, desto mehr Zuschuss gibt es. Dann sagt die Kommune, ich nehm das teuerste Modell mit Architektenwettbewerb und Glasfassade, da krieg ich 90 Prozent Zuschuss, ist egal, woher das Geld kommt. Da wird eine Steuerverschwendungsmentalität geradezu gezüchtet. Diese Denke findet sich auch in unserer politischen Struktur de facto wieder. Wir würden den Münchner Zentralismus, also die Staatsregierung, deutlich zurückdrängen und wo immer es geht, mehr Eigenverantwortung der Kommunen fördern.

Aber es kann doch nicht die Lösung sein, öffentliche Aufgaben wie die Kinderbetreuung einfach so lange unerledigt zu lassen, bis die Eltern zwangsweise Eigenverantwortung übernehmen im Rahmen von privaten Initiativen.

Aiwanger: Ich glaube, das Thema der Kinderbetreuung, der frühkindlichen Erziehung wird eines der großen Zukunftsthemen. Da ist der Staatsregierung noch gar nicht bewusst, welche Verantwortung auf die Politik zukommt. Diese Rahmenbedingungen optimal zu setzen – wir fordern eine bessere Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher als wichtigen Punkt, damit dort mehr Qualitätspersonal reinkommt und nicht, wie es derzeit ist, dass eine Kommune froh sein muss, wenn sich überhaupt noch jemand um die Stelle bewirbt und man dann Leute anstellen muss, die man früher nicht genommen hätte. Also besser bezahlen, etwa Grundschullehrerniveau. Die Erzieherin mit fünf Jahren Ausbildung hat eine hohe Verantwortung. Dann kommen dort auch wirklich Qualifizierte in ausreichender Zahl. Ich kann die Gruppengröße reduzieren. Ich kann den Eltern sagen, du kannst dich drauf verlassen, dass dein Kind optimal gefördert wird. Das würde auch den Kinderwunsch wieder fördern. Auf der anderen Seite fordern wir finanzielle Zuwendungen für Familien. Da ist unser Ziel, ganz einfach, das Kindergeld zu erhöhen, ungefähr um 300 Euro pro Jahr, das sind 25 Euro pro Monat. Damit die Eltern sich dann wirklich mit etwas mehr Geld in der Tasche entscheiden können und dass dieses Geld auch bei den sozial Schwächeren ankommt. Steuersparmodelle nutzen ja nur dem, der viel verdient.

Das ist jetzt die Forderung, aber wo kommt das Geld dafür her?

Aiwanger: Ich muss ganz klar sagen, Bildungs- und Familienpolitik ist eine Zukunftsinvestition par excellence. Da kann ich alles andere hintanstellen. Wir müssen hier die Dinge so umstricken, dass dafür mehr Geld ausgegeben wird, dass weniger Geld für Eurorettungsschirmmaßnahmen ausgegeben wird, weniger Geld für internationale Steuersparmodelle der Großkonzerne. Das muss bei den Familien bleiben, denn dort beginnt das ganze Ding sich zu drehen. Was ich bei dieser Staatsregierung vermisse, ist, dass sie auf erkannte Fehlentwicklungen schneller reagiert und dass sie bei Debatten künftiger Entscheidungen objektiver vorgeht. Ich glaube, dass wir in einer Koalition ständig Druck ausüben müssten und eine CSU wirklich demokratiefähig werden müsste. Das ist die Grundvoraussetzung für eine Koalition. Wenn sie das nicht werden, brauchen sie vielleicht mal fünf Jahre Opposition, um Demokratie auch von der anderen Seite zu sehen. Ich glaube, dass sich die Welt auch dann ganz normal weiterdrehen wird.

Was ist Ihre Politik wert? Wie viel Prozent holen die Freien Wähler am 15. September?

Aiwanger: Wir wollen 15 Prozent. Ich gehe davon aus, dass wir stärker werden als die Grünen. Wir werden auf dem Land gut abschneiden, in vielen Gebieten zweitstärkste Kraft noch vor der SPD sein. Und ich glaube, dass die CSU überschätzt wird. Von Carsten Clever-Rott

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