Veröffentlicht am 16.10.2013 00:00

Das Fair-Play gewinnt


Von red

Kaum eine Sportart vermag es, so viele Menschen zu Vereinen und solch große Emotionen zu wecken wie Fußball. Millionen Bürger verfolgen wöchentlich die Bundesliga, auch lokal betrachtet erfreut sich der Massensport unabhängig von Alter und Geschlecht großer Beliebtheit.

In der Saison 2011/2012 fanden allein in Bayern rund 243.000 Amateurfußball-Spiele statt – eine beeindruckend große Anzahl.

Doch Fußball hat zwei Gesichter: Denn trotz des vereinenden Charakters birgt diese Sportart sehr großes Konfliktpotenzial in sich. Wo viele Menschen aufeinandertreffen, können Emotionen rasch überkochen – sowohl auf dem Rasen als auch neben dem Platz. In den vergangenen Jahren häufen sich die Negativschlagzeilen in den Lokalblättern, es ist von Übergriffen auf Schiedsrichtern, Beleidigungen und Ausschreitungen unter Spielern und Zuschauern die Rede.

Das Fair-Play gewinnt

»Fairplay München«-Aktionen gegen Gewalt auf Fußballplätzen

Vorstände, Trainer, Schiedsrichter und Spieler Münchner Fußballvereine zum Thema

Auf diese Missverhältnisse möchte der Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter (BVDA) aufmerksam machen. Unter dem Motto »Das geht uns alle an!« wird das Thema »Gewalt auf Fußballplätzen im Amateurfußball« von Anzeigenblättern verlagsübergreifend redaktionell ausgeleuchtet und auf lokaler Ebene untersucht. Ziel ist es, anhand der vielen Recherchen eine Vergleichsbasis zu schaffen, die Aussagen über den Amateurfußball in den verschiedenen Städten und Ländern ermöglichen soll. Die Münchner Wochenanzeiger möchten einen Einblick in den Münchner Amateurfußball und die hiesige Gewalt-Problematik geben. Unsere Redakteure sind ausgeschwärmt und haben Vorstände, Trainer, Schiedsrichter und Spieler Münchner Fußballvereine zu dem Thema befragt. Deren Aussagen liefern eine Übersicht über die Situation in den einzelnen Stadtteilen, aus denen sich ein deutlicher Trend abzeichnet: Krawalle gibt es – und sie dürfen nicht totgeschwiegen werden. Aber München ist auf dem besten Weg zur Genesung und stürmt Richtung Fairplay.

»In München ist statistisch gesehen ein deutlicher Rückgang der von den Sportgerichten behandelten Fälle erkennbar«, erklärt Bernhard Slawinski, Funktionär des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV). Unsportliches Verhalten, rohes Spiel, Tätlichkeiten sowie Schiedsrichter-Beleidigungen werden demnach seltener. Dennoch trübt eine Tatsache die Freude über diese zunächst positiv wirkende Entwicklung: »Es gibt zwar weniger Ausschreitungen, doch deren Intensität steigt«, so der Funktionär. Die Verletzung der Platzdisziplin führte vergangene Saison bayernweit zu 77 Spielabbrüchen, zwölf davon in München. Ein ständig wiederkehrendes Problem sei hier das Klischee, Ausschreitungen seien mit der hohen Anzahl an Migranten in der Landeshauptstadt in Verbindung zu setzen. Diese Auffassung weist Bernhard Slawinski entschieden zurück: »So pauschal darf man das nicht sagen, schon allein deshalb nicht, weil es in München kaum monokulturelle Vereine gibt. Abgesehen davon wurden die letzten Spielabbrüche fast immer durch Provokationen von deutscher Seite ausgelöst.« Der Münchner Amateurfußball benötigt also ein Umdenken und eine Rückkehr zur Sportlichkeit. Diese Ziele können nur dann erreicht werden, wenn Werte und positives Gedankengut in die Vereine getragen werden. Aus der Sehnsucht nach gegenseitigem Respekt, Toleranz, Integration und einem fairen Fußball wie er früher gespielt wurde, entstand die Initiative »Fairplay München«, dessen Gründervater der Bezirksvorsitzende Horst Winkler ist.

In den vergangenen Monaten entwickelte sich eine Kooperation des BFV und der Münchner Wochenanzeiger, die sich mit Bernhard Slawinski an der Spitze gegen Gewalt und Rassismus im Amateurfußball einsetzt. »Prävention statt Strafe«, lautet dabei das Motto und diese Vorgehensweise trägt bereits erste Früchte: Das »Spiel der Woche«, dem immer ein besonderer Rahmen mit Profifußball-Charakter verliehen wird, ist vielen Vereinen mittlerweile ein Begriff. Insbesondere auf Risikospiele hat dies eine positive Wirkung: Musste beispielsweise das Spiel zwischen FC Croatia und TSV Milbertshofen im Mai 2012 noch abgebrochen werden, so verlief die letzte Begegnung als »Spiel der Woche« entspannt und ganz im Sinne der Initiative.

Erste Erfolge sind auch daran erkennbar, dass »Fairplay München« auf Facebook immer mehr Mitglieder gewinnt. Vor einem Monat erst gegründet, hat die offene Gruppe bereits über 330 Anhänger und erweist sich als solides Netzwerk für gegenseitige Hilfeleistungen und Meinungsaustausch. Vergangene Woche stießen sogar erste prominente Unterstützer zur Gruppe: Vedad Ibisevic vom VfB Stuttgart und Sejad Salihovic von TSG 1899 Hoffenheim. »Ich bin gespannt, wann uns der erste Münchner Bundesligaspieler entdeckt«, schmunzelt Bernhard Slawinski.

Zudem wird als neues Projekt innerhalb von »Fairplay München« Anfang kommenden Jahres vom BFV und den Münchner Wochenanzeigern der »Fairplay-Preis« verliehen. Hierfür können alle Mitwirkenden eines Fußballspiels, die sich durch sportliches Verhalten und Ehrlichkeit hervortun, von anderen (auch auf Facebook) nominiert werden. Als Belohnung wartet auf die »Fairplayer-Gewinner« ein gemeinsames Abendessen mit anschließendem Theaterbesuch.

Natürlich gibt es auch Stimmen, die sich kritisch über das Projekt und dessen bislang zu geringe Reichweite äußern. Was bringt schließlich ein einziges »Spiel der Woche«, wenn es an anderen Austragungsorten an Verbandsleuten und Spielbeobachtern mangelt und die Mannschaften auch keine Medienpräsenz befürchten müssen? »Fairplay ist keine Medizin, die man einmal auf einen Fußballplatz wirft, damit sofort alles gut ist«, weiß Bernhard Slawinski. »Fairplay ist eine Einstellung, die von uns allen gelebt und gefördert werden muss – dauerhaft und nachhaltig.«

Um das Konzept in ganz München vollständig durchsetzen zu können, bedarf es einsichtiger Vorstände und Trainer, die vereinsübergreifend zusammenarbeiten und den Fairplay-Gedanken bereits an die Kleinsten herantragen. Es bedarf weltoffener Spieler und Zuschauer, die frei von Vorurteilen und Rassismus aufeinander zugehen und miteinander kommunizieren. Und es bedarf vieler Freiwilliger, die sich weiterhin für fairen Fußball engagieren.

Nur gemeinsam kann man letztendlich beweisen, dass gegen Münchens Amateurfußball definitiv nicht die Rote Karte gezogen werden muss. red

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