Wo die Bürger im Stadtteil Untergiesing-Harlaching besonders der Schuh drückt, das war bei der Bürgerversammlung am letzten Donnerstag deutlich abzulesen: Der verzweifelte Kampf um die Gartenstädte und das vertraute Quartiersantlitz zieht die Harlachinger in seinen Bann.
Wohnen statt Industrie
Auf dem Osram-Gelände in Giesing/Harlaching sollen 370 Wohnungen entstehen Themenseite
In Untergiesing vor allem ist die Gentrifizierung längst angekommen, sorgen sich die Menschen um bezahlbaren Wohnraum und erschwingliche Mieten. Besonderes Augenmerk in diesem Jahr war von Bürgerseite dem Wandel auf dem Osram-Areal geschuldet.
Gartenstädte in Gefahr
Seit Jahren ist in traditionellen Gartenstädten wie Harlaching die Angst spürbar, wenn immer mehr Altbauten weichen müssen und immer größer dimensionierten, das geltende Baurecht bis an die Grenzen ausschöpfende Neubauten weichen. Die aktuellen Entwicklungen waren auch bei der mit rund 250 Anwesenden gut besuchten Bürgerversammlung in der Sporthalle an der Säbenerstraße Thema vieler Wortmeldungen besorgter Anwohner. »Wir verlieren ein angestammtes Gebäude nach dem anderen«, kleidete Andreas Dorsch von der sehr aktiven Bürgerinitiative Gartenstadt Harlaching die Sorge vieler Menschen in Worte.
Die Folgen seien überdimensionierte Flächenversiegelungen und der Verlust wertvoller alter Baumbestände auf den umfangreichst nachbebauten Grundstücken. Auf einen besonders augenfälligen, aktuell drohenden Substanzverlust für Harlaching machte Jürgen Zähle aufmerksam. Mit dem drohenden Abriss des traditionsreichen Café Deml am Tiroler Platz droht erneut ein tiefer Einschnitt. Denn anstelle des schmucken Gründerzeitanwesens drohe laut Zähle, der hunderte von Unterschriften gegen den Abriss gesammelt hatte, am sogenannten Harlachinger Tor »eine brutale Entstellung« des Viertels. »Hier ist trotz massiver Einwände vieler die zweieinhalbfache Überbauung des Areals geplant«, schimpfte Zähle über die »fehlgeleiteten Konstruktionspläne« eines Investors.
Der will den Neubau mit neuem Café, Wohnbereichen, Arztpraxis und Geschäftsräumen gegen den Widerstand der örtlichen Bevölkerung und des Bezirksausschusses durchziehen. »Wir müssen alles in unserer Macht stehende tun, um diesen Wahnsinn zu verhindern«, rief Zähle unter Applaus der Anwesenden. Mit großer Mehrheit wurde sein Antrag angenommen, die »brutale Neubaumaßnahme« zu verhindern. Doch offenbar stehen die Zeichen für einen Deml-Erhalt weiterhin äußerst schlecht. Die leitende Baudirektorin Ulrike Klar von der Münchner Lokalbaukommission (LBK) bekundete einmal mehr die relative Ohnmacht der Stadt. »Aufgrund der aktuellen Gesetzeslage« sei das Vorhaben zulässig, argumentierte die kommunale Behördenvertreterin mit Blick auf den viel kritisierten, nach Meinung vieler zu lax abgefassten Paragraphen 34 des Baugesetzbuches. In diese Kerbe schlagen vermehrt die Interessensvertreter für einen Erhalt der Gartenstädte, die den Schutz des erhaltenswerten vereinfachen wollen.
Johannes Stöckel will der aktuellen Entwicklung durch Rahmen- und örtliche Bauleitpläne zu Leibe rücken und damit die Bauwut in den Gartenstädten eindämmen. Die große Mehrheit der Bürgerversammlung sah dies ebenso. Andreas Dorsch goss dabei einen weiteren Teilaspekt in Antragsform. Er forderte die Überarbeitung der Baulinienpläne, um in der Zukunft Vorgärten zu erhalten. Derzeit werde das Baurecht derart ausgenutzt, dass bisweilen bereits »bis an die Gehsteigkante gebaut« werde. Gegen lediglich einzelne Stimmen wurde sein Antrag mit großer Mehrheit unterstützt. »Allein 2000 Bäume sind in den letzten Jahren in Harlaching den Neubaumaßnahmen zum Opfer gefallen«, rechnete Stöckel vor. Man könne dem Ende der Grünzone damit wohl zusehen und sich anhand dieser Zahlen ausrechnen, »wann der letzte Baum fällt«. Stöckel hat immerhin mit seinem Anstoß wohl auch bei der Stadt einen Nerv getroffen.
Wie Baudirektorin Klar ausführte, werde seitens des städtischen Planungsreferates derzeit ein Entwurf für künftige Rahmenplanungen ausgearbeitet, der das allzu liberal gefasste Baurecht örtlich auf Umgebungsniveau einbremsen könnte. Das Papier soll im kommenden Frühjahr dem Stadtrat zur Genehmigung vorgelegt werden. Bislang freilich war auch die Stadt München im Kampf um den Erhalt der Gartenstädte gescheitert. Augenfälligstes Beispiel war der Erlass einer Gartenstadtsatzung im Jahr 2000, die bereits drei Jahre später durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wieder aufgehoben wurde. Die Folgen sind in Harlaching zu sehen, argumentieren die Bürger seither im Chor.
Bürger wollen bei Osram-Überplanung mitreden
In Harlaching prägen die Sorgen um die Gartenstädte die Gedanken der Anwohner, in der Stadtteilschwester Untergiesing geht es seit Jahren um den Erhalt vorrangig um den Erhalt bezahlbaren Wohnraums vor dem Hintergrund eines knappen Angebots bei großer Nachfrage.
Längst haben Investoren hier die Reize eines früheren Arbeiterstadtteils in unmittelbarer Isarnähe erkannt und ist Untergiesing auf direktem Weg zum »In-Viertel«. Angesichts des strukturellen Wandels fallen große anstehende Projekte wie die Umwandlung des riesigen Osramgeländes am Mittleren Ring besonders ins Auge (wir berichteten). Weil der Technik-Konzern nach Jahrzehnten in Untergiesing seine Zentrale in den Münchner Norden verlegt, soll zwischen Mittlerem Ring und Isarkante vor allem ein neues Wohnquartier geschaffen werden. Bei der Ausgestaltung wollen die Bürger vor Ort ein deutliches Wort mitreden. Das wurde auch in der Bürgerversammlung überdeutlich. »Eine intensive Bürgerbeteiligung« forderte auch Maximilian Heisler von der Aktionsgruppe Untergiesing, die sich gegen die Schattenseiten der Gentrifizierung mit steigenden Mieten und Entmietung alteingesessener Bevölkerung etwa durch Luxussanierungen entschieden zur Wehr setzt.
Gleich ein ganzes Paket an Forderungen thematisierte das Osram-Gelände und dessen geplante Umstrukturierrung. Eine deutliche Mehrheit der Anwesenden forderte vonseiten der Stadt, das im Firmeneigentum befindliche Gelände zu erwerben. Wie vonseiten der Stadt und aus der Osram-Immobilienverwaltung zu erfahren war, besteht aber kein Vorkaufsrecht. »Immobilien sind nicht unsere Kernkompetenz«, unterstrich derweilen in der Versammlung eine Osram-Sprecherin. Ein Verkauf werde in der Vorstandsetage des Unternehmens geprüft.
Sollte die Stadt dereinst doch Handlungsspielraum auf dem Gelände gewinnen, dann will die deutliche Mehrheit der Versammlung ein ganzes Paket an Forderungen festgezurrt sehen: Vor allem regionale Genossenschaften sollten dann zum Zug kommen und weite Teile der Immobiliensubstanz dort einem rein profitorientierten Marktstreben entziehen. Auf dem Gelände solle auch ein homogener Mix zwischen sozial gefördertem Wohnungsbau und freier Vermarktung entstehen. Zudem forderte die Mehrheit der Anwesenden ein eigenes Infoportal ein, mit dessen Hilfe die Bürger in den Phasen der Planung und Realisierung stets mit aktuellsten Informationen versorgt sein müssten. Zudem solle der Stellplatzschlüssel reduziert werden, um durch Einsparungen beim Tiefgaragenbau Mittel für soziale Ausrichtungen auf dem Gelände forcieren zu können.
Auch einen Einwand zur praktischen Umsetzung der Großbaumaßnahme gab es von Bürgerseite: Die Zufahrt gerade für die Baustellenfahrzeuge müsse durch eine Ertüchtigung der Hellabrunner Straße forciert werden. Stadt wie Osram versprachen eine breit angelegte Beteiligung der Bürger mit verschiedensten Maßnahmen öffentlicher Beteiligung. So soll im kommenden Jahr eine eigene Einwohnerversammlung über Details des Wandels auf dem Osram-Gelände informieren. An mangelndem Interesse der Stadtteil-Bürger wird diese Veranstaltung jedenfalls nicht scheitern. Die Bürger in Untergiesing-Harlaching werden dem forsch voranschreitenden Wandel des eigenen Stadtteils nicht tatenlos zusehen. H. Hettich