Veröffentlicht am 20.08.2014 00:00

Asiatischer Laubholzbockkäfer sorgt für große Fäll-Aktion in Haar


Von red
Baumkletterer im Garten von Edda Schindler bei der Arbeit: Ehe die 50 Jahre alten Birken gefällt werden können, werden mit einer Motorsäge die Äste entfernt.	 (Foto: ikb)
Baumkletterer im Garten von Edda Schindler bei der Arbeit: Ehe die 50 Jahre alten Birken gefällt werden können, werden mit einer Motorsäge die Äste entfernt. (Foto: ikb)
Baumkletterer im Garten von Edda Schindler bei der Arbeit: Ehe die 50 Jahre alten Birken gefällt werden können, werden mit einer Motorsäge die Äste entfernt. (Foto: ikb)
Baumkletterer im Garten von Edda Schindler bei der Arbeit: Ehe die 50 Jahre alten Birken gefällt werden können, werden mit einer Motorsäge die Äste entfernt. (Foto: ikb)
Baumkletterer im Garten von Edda Schindler bei der Arbeit: Ehe die 50 Jahre alten Birken gefällt werden können, werden mit einer Motorsäge die Äste entfernt. (Foto: ikb)

Der Asiatische Laubholzbockkäfer – im behördlichen Jargon ALB abgekürzt – beißt sich Baum für Baum durch. Am Freitag, 18. Juli, wurde er bei Untersuchungen von Baumkletterern im Haarer Ortsteil Salmdorf entdeckt, auf einem Grundstück an der Johann-Karg-Straße.

Der Asiatische Laubholzbockkäfer

Der Asiatische Laubholzbockkäfer Themenseite zum meldepflichtigen, im Münchner Umland aufgetauchten, asiatischen Laubholzbockkäfer (Anoplophora glabripennis, abgekürzt: ALB)

Nach Angaben der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) befanden sich in einem »Ahorn eine lebende Larve und in einem zweiten Ahorn ein Gang einer Larve, die von einem Specht aufgeschlagen wurde.« Ausbohrlöcher vom Käfer gab es keine. Die Konsequenz laut Vorschriften: Alle bevorzugten Wirtsbäume des Käfers – Pappel, Weide, Birke, Ahorn und Rosskastanie – im Umkreis von 100 Meter um den befallsverdächtigen Baum, auf einem Dutzend Grundstücken und entlang des Straßenrands, mussten gefällt, zerkleinert, gehäckselt und im Heizkraftwerk Sauerlach verbrannt werden. Etwa drei Dutzend größere und mehr als 100 Bäume mit geringem Stammumfang wurden binnen vier Tagen abgesägt.

Anliegerin Edda Schindler reagiert spät aufs Läuten an ihrer Hausglocke, schleppt sich von Rheuma und Arthrose geplagt ins Freie, ist sichtlich niedergeschlagen: »Das ist eine Katastrophe. Ich bin völlig verzweifelt, ich weiß nicht mehr weiter. Mein ganzer Garten, auch eine 75 Jahre alte Rosskastanie und zwei seit 50 Jahren stehende Birken, gepflanzt von meiner Mutter – einfach zerstört. Und das alles, weil nur ein einziger Befund festgestellt wurde. Ich kann nicht mehr hinschauen, ich bleib jetzt in meinem Wohnzimmer. Und das alles heute, an meinem Geburtstag...« Die Rentnerin ist 74 geworden, sie hat im Erdgeschoss ihres kleinen alten Hauses sämtliche Vorhänge zugezogen: »Ich kann es nicht mehr hören, das Kreischen der Motorsägen geht mir auf die Nerven.« Sie klagt und fragt zugleich: »69 Sträucher und Bäume sind weg – und das soll kein Kahlschlag sein?« Sie widerspricht damit Einsatzleiter Hannes Lemme von der LfL, der darlegt, dass es kein Kahlschlag ist, dass eben die Wirtsbäume entfernt werden müssen.

Die Gesichtszüge der Rentnerin sind eingefallen, Tränen der Verzweiflung rollen ihr über die Wangen, sie wirkt müde, schläft nachts – wenn überhaupt – sehr schlecht, hat kaum mehr Appetit. Die Aktion – »das ging ja so schnell« – ist ihr auf den Magen geschlagen. Ihr etwa 1000 Quadratmeter großes Idyll, ein grünes Dickicht, ja ein kleines Urwäldchen ist nicht mehr so, wie es noch vor ein paar Tagen war. Angesichts der Ohnmacht ist es bewundernswert, wenn sie sagt: »Ich versuch stark zu sein, doch das fällt mir sehr schwer.«

Edda Schindler hat alles Menschenmögliche versucht, »um das Fiasko zu verhindern«. Sie hat einen Anwalt beauftragt, sie hat Widerspruch gegen die amtliche Verfügung der Fällungen eingelegt. Doch der Schlusssatz des Schreibens war eindeutig: »Dieser Bescheid ist unaufschiebbar.« Sie kontaktierte die Landtagsabgeordneten Peter Paul Gantzer aus Haar, die Grüne Margarete Bause aus München und Landwirt Nikolaus Kraus aus Ismaning. Niemand konnte sofort helfen. Kraus’ Fraktion der Freien Wähler hatte im Juli einen Antrag an die Regierung gestellt, »alternative Methoden wie Lockstofffallen oder Impfung der Bäume« zu prüfen. Doch die Abgeordneten sind jetzt im Urlaub.

Der Ausgangspunkt der grassierenden Seuche liegt in Feldkirchen. Am 8. Oktober 2012 hatte ein Mann in seinem Garten am Fasanweg den Käfer, einer der gefährlichsten Holzschädlinge weltweit, gefunden. Untersuchungen des bis zu vier Zentimeter großen Krabblers bestätigten, dass es sich um den gefräßigen Exoten handelt. Seine Spuren hatte der »unsichtbare Feind« 2004 erstmals in Europa hinterlassen, in Braunau am Inn. In den Münchner Osten war er wohl vor etwa zehn Jahren vermutlich mit Verpackungsholz in Containern voller Kisten aus Asien, Fachleute meinen aus China oder Korea, zum Feldkirchener Güterumschlagsbahnhof eingeschleppt worden.

Haars Umweltreferent Michael von Ferrari hatte seinerzeit, unmittelbar nach der Entdeckung, mehrfach gemahnt: »Der Käfer ist gefährlich, er befällt nicht nur geschwächte, sondern auch gesunde Bäume.« Und ein Förster hatte zudem vor den Dimensionen des Befalls gewarnt, vor Gefahren nicht nur für den Landkreis, sondern für ganz Bayern. Fakt ist heute: Der Käfer hat unermüdlich Bock auf Bäume, er ist auf dem Vor-, ja auf dem Durchmarsch. Die Zeitbombe tickt. Hat sich das gefräßige Viech erst einmal in einem Stamm eingenistet, hilft nur fällen und gesondert entsorgen. Denn der Schädling ist immun gegen jegliche chemische Keule.

Sein Werk in Feldkirchen ist nicht mehr zu übersehen: »Mehr als 1000 Bäume mussten abgeholzt werden«, erläutert Klaus Pitterle, Umweltbeauftragter im Feldkirchner Rathaus. Und: »Die erste Runde der Baumkletterer ist zwar abgeschlossen. Doch die Suche geht weiter, wohl noch jahrelang. Momentan haben wir im kompletten Ortsgebiet Fallen mit Lockstoffen aufgestellt, die regelmäßig kontrolliert werden. Bislang registrierten wir aber keinen weiteren Befall.« Die Feldkirchener Bilanz bis dato: Das Tucherwäldchen an der Oberndorfer Straße wurde eliminiert: »Mehr als 100 große und schöne Bäume, alles weg«, so Pitterer. Kahlschlag gab es auch auf einem drei Kilometer langen Abschnitt entlang der Passauer Autobahn, »denn dort war der Befall vor allem an den Böschungen sehr stark«. Des Weiteren mussten im Gewerbegebiet Süd, im Brunnenwäldchen – »etwa zwei Drittel aller Bäume waren betroffen« – und jüngst auch im Friedhof an der Friedenstraße im übertragenen Sinn die Axt angesetzt werden.

Im Februar 2013 war das Insekt dann ins Gemeindegebiet Haar vorgedrungen. Die Baumkletterer – sie haben bis dato rundum mehr als 1.500 Bäume bestiegen und weit mehr per Fernglas ins Visier genommen – fanden im Ortsteil Ottendichl und in der Salmdorfer Gärtnersiedlung überwiegend im oberen Drittel befallene Bäume. Fünf Dutzend mussten abgesägt werden. Der träge Käfer, der nur wenige Hundert Meter fliegen kann, hat sich wohl schon seit Jahren langsam Stück um Stück bis hierher durchgeknabbert. Der Beleg dafür: Es waren Ausbohrlöcher entdeckt worden, die sich bereits wieder verschlossen hatten.

Die Behörden hatten nach den ersten Erkenntnissen prompt reagiert, eine Quarantänezone erlassen, die im März wegen der Larvenfunde in Ottendichl und der Gärtnersiedlung zum zweiten Mal ausgeweitet worden war. Sie umfasst Feldkirchen, tangiert im Süden die S-Bahntrasse, reicht in Haar von Norden aus bis an die S-Bahnlinie heran und erreicht Teile des Klinikums.

Die Ausweitung erfasst auch Riem: Weite Abschnitte des Parks – die drittgrößte Grünanlage in München – fast die halbe Messestadt und den ganzen Riemer See. Das für die Areale zuständige Baureferat lässt seit Monaten regelmäßig die überwiegend jungen Bäume auf Käferspuren kontrollieren. »Bis heute kein Verdacht, kein Befall«, so Referatspressesprecherin Dagmar Rümenapf zum aktuellen Stand. Und auf dem Freigelände der Messe? »Bis dato wurde bei uns nichts gefunden«, erklärt Sprecherin Silvia Hendricks. In Riem kann man also – zumindest bislang – durchatmen.

Die Ausbreitung grundsätzlich einzudämmen und Übergriffe auf andere Bäume zu vermeiden, also die Maden zu isolieren, dürfte kaum möglich sein. Zu vielfältig sind die Möglichkeiten, dass sich die Schädlinge per Käferflug oder »per Anhalter« an und auf Traktoren, Last- und Personenwagen weiterbewegen, sich so also großflächig ausbreiten. Und selbst die Baumkletterer, die die Stämme penibel untersuchen, entdecken gerade mal zwei Drittel der befallenen Bäume. Überdies hat laut der LfL das Insekt hierzulande wie auch in Asien keine natürlichen Feinde. Veränderte Landschaftsbilder in einigen Jahren sind folglich keinesfalls auszuschließen.

Indes stößt bei manchem die Art auf, wie der Käfer bekämpft wird. Während die Landwirtschafts-Fachleute betonen, dass die einzige Möglichkeit die Fällung der befallenen und der umliegenden Bäume ist, sieht das beispielsweise Hans Stießberger, der ehemalige dritte Haarer Bürgermeister, anders: »Hier schießt man mit Kanonen auf Spatzen«.

Er sei sich sicher, dass es einen natürlichen Feind des Käfers geben muss. Denn: »Sonst gäbe es doch in ganz China keinen Laubbaum mehr. Was wir in vier Wochen kaputt machen, hat der Käfer in Jahren nicht geschafft. Und was wir hier machen, wird man auch in Jahren noch sehen. Das ist Raubbau an der Natur.«

I. K. Blessing

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