Dilo hat Glück. Bis jetzt. Der 19-Jährige hat sich sein Glück hart erarbeitet. Es ist nicht vollkommen, aber Dilo gibt den Kampf nicht auf. Er hat Mitstreiter auf seiner Seite, die sein Talent, seine Fähigkeiten und seinen Ehrgeiz erkannt haben: Sebastian Brunnhuber, sein Ausbilder, und Harald Zillner, Leiter der SWM Ausbildung (SWM).
Dilo Pso Namir hat eine bewegte Lebensgeschichte. Seit seiner Geburt litt er an einer Fehlstellung am linken Fuß. In seiner Heimat Irak konnte er nicht operiert werden. Auf abenteuerliche Weise kam er nach Deutschland, ließ seine Familie zurück. Ein Schleuser verlangte viel Geld. Da war Dilo gerade 14 Jahre alt.
Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen oder zu verstehen landete er in Hallbergmoos in einer Erstaufnahmeeinrichtung. Das war vor fünf Jahren. Wer Dilo heute sieht, kann das kaum glauben. Er spricht nahezu perfekt deutsch; ein leichter Akzent, na gut, aber Dilo drückt sich in einer einst fremden Sprache klar und gewählt aus. Mit großem Willen lernte er die Sprache, machte den Schulabschluss und wollte eine Ausbildung bei den SWM beginnen. Bei seinem ersten Praktikum, noch in der Schulzeit, hatte er auf ganzer Linie überzeugt. Fleiß und Disziplin prägen seine Arbeit nach wie vor.
Jetzt lernt er bei den SWM den Beruf des Industriemechanikers dabei weiß er nicht, ob er in Deutschland bleiben darf. Seine ersten beiden Asylanträge wurden abgelehnt. Derzeit läuft ein drittes Verfahren, das nur aufgrund der unsicheren Lage in Irak möglich geworden ist. Seit Juli wartet der 19-Jährige auf die Entscheidung. Entweder darf er hierbleiben oder er muss zurück in seine Heimat. Sein Wunsch ist klar: »Ich fühle mich anerkannt, ich möchte hierbleiben.« Und den SWM das wiedergeben, was er von ihnen bekommen hat. »Wir haben in seine Ausbildung etwa 100.000 Euro investiert«, erklärt Sebastian Brunnhuber. Wenn Dilo nach seiner Ausbildung nicht hierbleiben könnte, wäre diese Investition verloren. Noch schlimmer, wenn er noch vor Ende seiner Ausbildung das Land verlassen müsste.
Beides wäre für Brunnhuber ein Skandal. In seinen Augen ist der 19-Jährige ein exzellentes Beispiel für gelungene Integration. »Ich habe mir hier viel aufgebaut«, beharrt Dilo und erzählt, dass er seit Oktober in einer Wohngemeinschaft lebt. Wenn er seine Ausbildung beendet und von den SWM übernommen wird, macht er den nächsten großen Schritt in seinem Leben.
»Bei einer Ablehnung bin ich der Erste, der da reinrennt.« Sebastian Brunnhuber ist regelrecht aufgewühlt bei dem Gedanken, Dilos Asylantrag könnte scheitern. »Da rein«, das wäre das Kreisverwaltungsreferat. Er rennt natürlich nicht »da rein«, aber er würde sich für seinen Auszubildenden einsetzen: »Da muss man doch was tun.« Er will einen guten Azubi nicht verlieren, doch auch menschlich wäre es für den Ausbilder ein Verlust.
Dabei ist es einem glücklichen Umstand zu verdanken, dass Dilo seine Ausbildung überhaupt beginnen konnte. Das »Stadtwerkeprojekt« fördert seit 1988 Auszubildende, die privat mit schweren Problemen konfrontiert sind, bis hin zu Konflikten mit dem Gesetz. Die Sozialpädagogen in dem Projekt helfen den Auszubildenden ihre Probleme zu erkennen und zu überwinden. Anfangs war Dilo aufgrund seiner Biographie kein »gewöhnlicher« Azubi. Jetzt ist er es auch nicht. Aber aus »ungewöhnlich« ist »außergewöhnlich« geworden.
Bis hierher hat sich das Risiko, das die SWM eingegangen sind, bezahlt gemacht. Harald Zillner hat die Hoffnung, seinem Arbeitgeber einen guten Industriemechaniker gegen den Fachkräftemangel zur Verfügung stellen zu können. Ohne das Stadtwerkeprojekt hätten die SWM Dilo die Ausbildung nicht anbieten können. Täglich damit rechnen zu müssen, dass die Ausbildung durch eine Abschiebung abrupt beendet wird, stellt auch das wirtschaftliche Risiko einer Fehlinvestition dar, ganz nüchtern betrachtet.
Für die SWM-Geschäftsführung ist das nicht die maßgebliche Entscheidungsgrundlage. Werner Albrecht, SWM-Geschäftsführer Personal und Soziales, sieht mehr darin: »Neben Sprache sind Bildung und Ausbildung sicherlich die Schlüssel, um jungen Flüchtlingen einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu bieten: ein Muss, um sie in ihrer neuen Heimat zu verankern und zu integrieren. Wir freuen uns, dass wir mit unserer Ausbildung dazu einen Beitrag leisten können.«
Wie sich Dilo entwickelt hat, macht auch Zillner und Brunnhuber stolz. Dilo denkt nicht über eine Abschiebung nach. »Man darf die Hoffnung nicht verlieren«. Er kämpft weiter und er kämpft nicht allein. Er gehört in diese Gesellschaft! Von Carsten Clever-Rott
Hintergrundinfo:
Die in Deutschland ankommenden Asylbewerber werden nach dem »Königsteiner Schlüssel« auf die Bundesländer verteilt. Danach entfallen auf Bayern gut 15 Prozent.
Seit sechs Jahren steigen die Zugangszahlen. Im Vergleich gleichen Zeitraum des Jahres 2012 kamen von Januar bis Ende August 2013 zum etwa 88 Prozent mehr Asylbewerber nach Deutschland. Damit stiegen die Asylbewerberzahlen nach dem Tiefstand im Jahr 2007 bereits im sechsten Jahr in Folge an. Auch in Bayern erhöhte sich der Zugang der Asylbewerber im Vergleich zum Vorjahr um rund 97 Prozent.