»Giesinger TatWort Flüchtlinge in Giesing, Erfolg oder Drama?« Unter diesem so zeitgemäßen und spannenden Titel lud der Nachbarschaftstreff am Walchenseeplatz in Obergiesing vor Wochenfrist zu einem Themenabend in die eigenen Räumlichkeiten an der Bayerischzeller Straße 5 ein.
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Die Einladung zum Themenabend der Serie TatWort klang spannend und hoch interessant, gerade in diesen wechselvollen Tagen. So sollten Mitarbeiter der nahen Erstaufnahmeeinrichtung in der ehemaligen Mc-Graw-Kaserne als »Augenzeugen« mit dabei sein ebenso Flüchtlinge, die schon lange in Giesing leben. Am Ende war zwar das Besucheraufkommen groß, die Zahl der Engagierten und Interessierten erklecklich. Doch die eigentlichen Giesinger Vor-Ort-Hauptprotagonisten fehlten auch vonseiten der privaten Betreibergesellschaft. Eine Themenrecherche im weiten Feld der Flucht und der Geflüchteten fiel somit trotz des Wohlmeinens der Veranstalter und Gäste schwer. Dass der Abend dennoch ein relativer Erfolg wurde, war am Ende dem Gastauftritt von Monika Steinhauser zu danken.
Die langjährige Mitstreiterin und Geschäftsführerin des Münchner Flüchtlingsrates bestach mit einem informativ hochwertigen Referat zur Causa Flucht, lieferte Detail- ein- und -ansichten aus dem Alltag der Flüchtlinge und zu deren Helfern und beantwortete schließlich eine Vielzahl von Fragen der Anwesenden. Wertvoll an der Veranstaltung auch: In der weiteren Folge entspann sich ein intensiver Dialog auch zwischen den Gästen. Meinungen wurden ausgetauscht, Profile sinnvoller Hilfe erarbeitet und die Anwesenden berichteten von eigenen Erfahrungen und Begegnungen mit Menschen auf der Flucht. So erfüllte die engagierte Diskussionsrunde trotz des Fehlens wichtiger Teilnehmergruppen am Ende den eigenen Anspruch einer »innovativen, gesellschaftspolitischen Diskussionsrunde«. Allerdings: Mehr internationale und sachkundige Ausrichtung hätte man sich an dieser Zeitgeist prägenden Veranstaltung dann doch gewünscht.
So herrschte auf die Eingangsfrage von Gastgeberin Birgit Flemisch, wer denn aus den Reihen der nahen Erstaufnahmeeinrichtung gekommen sei, ein von kollektiv suchendem Rundumblick begleitetes, gebanntes Schweigen im Auditorium. Gut, dass Flüchtlingsrätin Monika Steinhauser inhalts- und detailsicher überbrückte. »300 bis 400 Flüchtlinge leben derzeit in der von der Inneren Mission betreuten Obergiesinger Einrichtung, die Verweilzeit bis zu einer weiteren Verteilung auf Gemeinschaftsunterkünfte variiert zwischen drei und sechs Wochen aber es wird manchmal auch um einiges länger«, runzelte die seit rund 20 Jahren in der Flüchtlingsarbeit Aktive erstmals die Stirn. Sie hatte reichlich Kritik im Gepäck: »auch Willkür sei im Spiel, wenn Flüchtlinge länger als den avisierten Zeitraum in der Einrichtung bleiben müssten.« Einer Einrichtung, die nach der Ortsbeschau des Flüchtlingsrates noch längst nicht winterfest sei. »Die Container sind einfachster Bauarbeit«, so Steinhauser. Winterlichen Kälteschüben würden sie jedenfalls nicht standhalten.
Während das Umland im Landkreis »aufgeholt« habe, sei die Errichtung und Verteilung der Menschen in die längerfristige Unterbringung einer Gemeinschaftsunterkunft »eine zähe Sache«. Allerdings beschrieb Steinhauser mit Blick auf das private Engagement auch deutliche Positivzeichen. »Die ehrenamtliche Bereitschaft der Menschen zu helfen ist riesig«. Helferabende beim Flüchtlingsrat an der Goethestraße regelmäßig hoch frequentiert. »Da gibt es viele gute Ideen, die streckenweise aber nur schwer zu koordinieren« seien. Auch den Freistaat sah Steinhauser hier in der Bringschuld, Strukturen des Helfens zu verbessern. Energisch sprach sich Steinhauser auch gegen Vorbehalte gegenüber den Flüchtlingen vom Balkan aus. »Auch hier werden Menschen wie etwa die Roma politisch verfolgt und sind einer Art Apartheid ausgesetzt«. Anders als in Deutschland widerspiegle sich diese Problematik etwa in Frankreich mit einer rund 18prozentigen Schutzquote.
Auch mit einer weiteren Mär räumte Steinhauser auf. »Die Menschen auf der Flucht sehen ihr Handy nicht als Statussymbole, wie es ihnen einige vorhalten«. Eine Flucht ohne Handy sei heutzutage schlicht nicht mehr denkbar und unmöglich. »Kein Mensch flieht heute ohne Handy«, hielt Steinhauser auch einer Anwesenden entgegen. Die Dame hatte entsprechende Technik-Auswüchse auch unter Flüchtlingen beklagt. »Anders kommen die Leute doch gar nicht an und können auch keine Verbindung zu den Verwandten und Freunden halten Handys sind doch längst auch auf diesem Gebiet usus«, hielt ein Gast entgegen. Gerade auch Sim-Karten und Handy-Spenden seien willkommen.
Die Menschen vor Ort können insgesamt umfangreich tätig werden. Während die Kleidersammlungen derzeit vielerorts aufgrund massiver Spendenleistungen fast aus allen Nähten platzten, so die Flüchtlingsrats-Geschäftsführerin, sei auf anderen Pfaden durchaus Entwicklungspotential vorhanden. Oftmals seien gerade einfache Hilfen willkommen. »Beim gemeinsamen Fußballspiel oder beim Backgammon fallen Sprachbarrieren nicht so ins Gewicht«, beschrieb die erfahrene Sozial-Werkerin. Hier würden Berührungsängste im wahrsten Wortsinne »spielerisch abgebaut«. Auch Zeitpatenschaften mit einem intensivem Austausch zwischen Geflüchteten und engagierten Helfen seien denkbar. Detailinfos vermittle der Flüchtlingsrat ebenso wie etwa die Innere Mission.
Ein tolles Projekt sei auch »Ein Teller Heimat« im Nachbarschaftstreff (wir berichteten) , sparte Steinhauser nicht mit Lob. Hier lädt der Treff in regelmäßigen Abständen Menschen aus Flüchtlingsunterkünften im Umkreis zum interkulturellen Kochen mit vielen engagierten und begeisterten Köchen unterschiedlichster Herkunftsländer. »Ein sehr wichtiger Ansatz, um Barrieren abzubauen«, erklärte auch Treff-Leiterin Birgit Flemisch. Zuletzt allerdings hatte es offenbar auch störende Nebengeräusche gegeben. Teilweise in harscher Form hätten sich einige Nachbarn über die Lautstärkenentwicklung im Rahmen der Veranstaltungen beschwert. »Teilweise wurden Leute auch wüst beschimpft«, erklärte Flemisch auf Nachfrage. Sogar eine Unterschriftenaktion gegen die Veranstaltung sei forciert worden. Bei der örtlichen Wohnungsbaugesellschaft GEWOFAG bemüht man sich allerdings darum, den Ball flach zu halten. »Bei einer der Veranstaltungen ( ) kam es zu Beschwerden der Anwohner«, räumte GEWOFAG-Pressereferentin Sophie Plessing auf Nachfrage des Südost-Kuriers ein. »Frau Flemisch reagierte darauf sofort. Seitdem enden die Veranstaltungen bereits um 20 Uhr und es gab keine diesbezüglichen Beschwerden mehr«, verwies Plessing auf Verbesserungen im kommunikativen Umgang miteinander.
Zudem sei dem »Beschwerdeführer« auch ein Gesprächsangebot unterbreitet worden. »Die GEWOFAG schätzt das Programm des Nachbarschaftstreffs«, unterstrich Plessing die Bedeutung des Hauses. Hier würden »gesellschaftlich relevante Themen aufgegriffen«. Wichtige Vernetzungsarbeit für ein »gutes Miteinander« in einer Siedlung »mit Menschen jeden Alters, mit unterschiedlicher Herkunft und geprägt von verschiedenen Kulturen, Religionen und Weltanschauungen«. Auch beim TatWort-Abend wurde diese eigene Vorgabe erfüllt. Auch wenn dieses Mal einige wichtige Protagonisten fehlten: Die Anwesenden zeigten durch ihr Engagement in der Sache deutlich auf, dass vielen Menschen das Flüchtlingsthema unter den Nägeln brennt und sie gerne helfen wollen. Allein schon dafür hatte sich der Abend gelohnt. HH