Veröffentlicht am 19.01.2016 00:00

Hilfe-Schreiben von Ebersbergs Landrat an Horst Seehofer vom 15. Januar


Von red

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Seehofer, beginnen möchte ich mein Schreiben mit einem aufrichtigen Dankeschön für die große und in Deutschland wohl einzigartige Unterstützung der Kommunen bei der Unterbringung von Asylbewerbern durch die Bayerische Staatsregierung.

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Asylbewerber in München und im Landkreis

Auch ist die Bayerische Staatsregierung die einzige und insbesondere federführende politische Kraft in Deutschland, die die Sorgen und Nöte der Landkreise und kreisfreien Städte sowie der Kommunen im Allgemeinen und damit der Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt und mit Nachdruck an die Bundesregierung und auch Richtung Europa weiterleitet und Lösungen einfordert, was 2015 auch zu entscheidenden Fortschritten geführt hat.

Mein Schreiben müsste ich eigentlich an Frau Bundeskanzlerin Merkel senden, allerdings wird dies wohl die Wirkung nicht erzielen, da bereits ein Schreiben vom vergangenen Sommer zusammen mit unserem Stimmkreisabgeordneten Thomas Huber nur in sehr allgemeiner Form und unkonkret vom Kanzleramtsminister beantwortet wurde.

Im Landkreis Ebersberg sind derzeit gut 1.700 Asylbewerber untergebracht, viermal so viele wie Anfang 2015. Da wir gerade in der Metropolregion München ohnehin unter einer massiven Wohnraumknappheit leiden, Immobilienleerstand hier ein Fremdwort ist, es z.B. auch keine leeren Bundeswehrkasernen oder ähnliche Liegenschaften in unserem Landkreis gibt, waren wir schon 2013 darauf angewiesen, Asylsuchende auch in Liegenschaften des Landkreises unterzubringen, sprich in unseren Schulen und Schulturnhallen.

Der Landkreis Ebersberg verfügt dabei über 10 landkreiseigene Schulen, von denen mittlerweile 7 in die Unterbringung von Asylbewerbern einbezogen werden mussten, davon 6 Schulturnhallen. Gut die Hälfte der Asylbewerber im Landkreis Ebersberg sind also in Schulturnhallen untergebracht. Wenn nun in zwei Wochen auch die Schulturnhalle in Poing mit dann 282 Menschen vollbelegt ist, stehen dem Landkreis Ebersberg bis auf die Nutzung eines bisherigen Arbeiterwohnheims in Poing vorübergehend kaum mehr neue Kapazitäten zur Verfügung!

Wir sind uns darin einig, dass Schulturnhallen auch für Asylbewerber auf Dauer keine menschenwürdige Unterkunft darstellen und es gerade dort auch zu Problemen zwischen den Asylbewerbern kommt. Aber ganz unabhängig davon fehlen sie den Schülerinnen und Schülern nun schon mitunter sehr lange Zeit für den Schulsport und zudem leidet auch der Vereins- und Breitensport im Landkreis bzw. in den betroffenen Gemeinden massiv unter der derzeitigen Situation.

Der Trainings- und Spielbetrieb ist nur noch rumpfartig darstellbar, was zu nachhaltigen

Schäden im Vereins- und Breitensport führt – eine wichtige Säule unserer Gesellschaft.

In der Summe ist eine solche Situation nicht mehr lange tragbar und für Bevölkerung auf Dauer nicht zumutbar!

Insofern habe ich dem Regierungspräsidenten von Oberbayern im Rahmen unseres letzten persönlichen Gespräches im Dezember 2015 mitgeteilt, dass die Dreifachhalle der Realschule in Poing die letzte Halle sein wird, die ich – vorübergehend – und auch nur widerwillig zur Verfügung stellen werde und dass wir umgekehrt aus den Hallen wieder heraus müssen. Selbstverständlich wird der Landkreis Ebersberg auch in Zukunft bei dieser größten gesamtgesellschaftlichen Herausforderung seit der Nachkriegszeit mitwirken und sich nicht verweigernd oder gar trotzend zur Seite stellen.

Diesen Wunsch hatten Sie mir gegenüber auch anlässlich Ihres Neujahrsempfangs in der Münchner Residenz persönlich artikuliert, als Sie um weitere Mithilfe baten. Unser Landkreis setzt z.B. bei der Integration in Bildung und Arbeitsmarkt besondere Akzente. Auch sind derzeit für 2016 in Zusammenarbeit mit den 21 Gemeinden Kapazitäten für mindestens 1.500 Menschen geplant, darunter aktuell 2 Traglufthallen mit jeweils 300 Plätzen in Pliening (Umsetzungsphase) und Poing / Grub (konkrete Planungsphase).

Mit diesen Traglufthallen und den weiteren Kapazitäten verbinde ich allerdings die klare Absicht und Ankündigung – die ich hiermit an höchster Stelle noch einmal schriftlich fixieren möchte – Zug um Zug die Sporthallen wieder dem Schul- und Breitensport zurückzugeben. Hier stehe ich bei meiner Bevölkerung und unseren Schulen im Wort. Wir stehen also kurz davor, zumindest vorübergehend die weiße Flagge zu hissen und zu vermelden: Wir können derzeit leider nicht mehr und werden vorübergehend keine neuen Flüchtlinge aufnehmen können! Wie gesagt, wir verweigern uns nicht aus Trotz oder weil die besorgte Bevölkerung dies beklatschen würde, sondern weil es dann vorübergehend nicht mehr geht!

In Ihrer Rede am Parteitag der CSU am 21. November haben Sie folgenden treffenden Satz formuliert: »Niemand kann gezwungen werden, mehr zu tragen, als er tragen kann.« Diesen Satz kann ich nur voll und ganz unterstreichen, er trifft den Nagel auf den Kopf und beschreibt die Situation in unserem Lande, die meines Erachtens von unserer ansonsten sehr geschätzten Frau Bundeskanzlerin nach wie vor deutlich unterschätzt wird, um es vorsichtig zu formulieren. Egal ob unsere Hauptamtlichen oder auch die große Anzahl an Ehrenamtlichen, ohne deren Tatkraft wir in Deutschland schon lange gescheitert wären: Wir alle stehen am Limit und können ein Jahr wie 2015 kein zweites Mal stemmen, das schaffen wir nicht!

Insofern unterstütze ich auch Ihre klare Forderung nach Obergrenzen bzw. gerne auch Kontingenten. Sollte also in Kürze die Situation eintreten, dass wir vorübergehend nicht mehr aufnehmen können, so bitte ich Sie und die Bayerische Staatsregierung, dies zu akzeptieren und uns darin zu unterstützen, dass wir nicht etwa durch nachgelagerte Ebenen mit staatlichen Repressalien bedacht werden. Niemand sollte uns zwingen können, mehr zu tragen als wir tragen können!

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich weiß, Sie kennen unsere Not und haben schon lange verstanden und unterstützen uns. Dies gilt aber leider immer noch nicht für Teile unserer Bundesregierung in Berlin. Sie dürfen abschließend versichert sein, dass ich mir meiner Verantwortung als »staatlicher Landrat« bewusst bin, darauf werden wir von einschlägiger Seite auch regelmäßig hingewiesen. Allerdings bin ich kein vom Staat eingesetzter sondern ein von der Bevölkerung demokratisch gewählter Landrat! In dieser für mich handlungsleitenden Funktion fühle ich mich dem Gesamtwohl und dem sozialen Frieden meiner Bürgerinnen und Bürger verantwortlich und muss darauf achten, dass die Balance des Machbaren und der Frieden in der Bevölkerung gewahrt bleibt. Dies sehe ich derzeit in großer Gefahr! Unsere Bevölkerung ist in Sorge und Beunruhigung – die Ereignisse in Köln haben hierzu einen weiteren Beitrag geleistet, was ich auf den bisher drei Asyl-Informationsabenden im neuen Jahr deutlich gespürt habe.

Mit den besten Grüßen aus dem Landkreis Ebersberg: Robert Niedergesäß

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