Veröffentlicht am 08.08.2016 00:00

Landrat Christoph Göbel zur aktuellen Flüchtlingssituation


Von red
Die Traglufthallen sollen nach und nach aus unserem Ortsbild verschwinden und anderen Unterbringungsmöglichkeiten, wie beispielsweise den Feel-Home-Häusern weichen.	 (Foto: hw)
Die Traglufthallen sollen nach und nach aus unserem Ortsbild verschwinden und anderen Unterbringungsmöglichkeiten, wie beispielsweise den Feel-Home-Häusern weichen. (Foto: hw)
Die Traglufthallen sollen nach und nach aus unserem Ortsbild verschwinden und anderen Unterbringungsmöglichkeiten, wie beispielsweise den Feel-Home-Häusern weichen. (Foto: hw)
Die Traglufthallen sollen nach und nach aus unserem Ortsbild verschwinden und anderen Unterbringungsmöglichkeiten, wie beispielsweise den Feel-Home-Häusern weichen. (Foto: hw)
Die Traglufthallen sollen nach und nach aus unserem Ortsbild verschwinden und anderen Unterbringungsmöglichkeiten, wie beispielsweise den Feel-Home-Häusern weichen. (Foto: hw)

Im Landkreis München wurden in den letzten Wochen zahlreiche neue Unterkünfte eröffnet: In Unterhaching eine weitere Traglufthalle, in Oberhaching mehrere »Feel-Home-Einrichtungen«, ebenso wie in Höhenkirchen-Siegertsbrunn.

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Asylbewerber in München und im Landkreis

Der Grund für diese Eröffnungen war aber mitnichten das Ansteigen der Flüchtlingszahlen, sondern vielmehr der verstärkte Abbau von Traglufthallen, von denen aus die Asylbewerber nun in verbesserte Unterbringunsmöglichkeiten umziehen können. Wie es aussieht in Punkto Asyl haben wir Landrat Christoph Göbel befragt.

Münchner Wochenanzeiger: Sehr geehrter Herr Göbel, bei unserem letzten Gespräch im Januar sah es nicht nach einer Entspannung in der Flüchtlingssituation aus. Hat sich daran inzwischen etwas geändert, nachdem die Zahlen ja deutlich herunter korrigiert wurden?

Landrat Christoph Göbel: Was unsere Arbeit im Bereich Asyl anbelangt, kann ich nicht von einer deutlichen Entspannung, aber zumindest von einer kleinen Drosselung des Tempos und leichtem Durchatmen sprechen. Wir leben jetzt nicht mehr so von der Hand in den Mund wie zu den Zeiten, als wöchentlich 145 Asylsuchende vor unserer Tür standen, für die wir unverzüglich ein Dach über dem Kopf gebraucht haben. Der auferlegte Akquise-Stopp für neue Unterkünfte hat insofern für einen neuen Adrenalinstoß gesorgt, weil wir ja unsere Traglufthallen, die nur als Notunterkünfte für maximal ein Jahr gedacht sind, wieder freibekommen müssen. Jetzt dürfen wir immerhin an einigen Projekten weitermachen.

Gibt es neue Prognosen über die noch zu erwartenden Flüchtlingszahlen in den kommenden Jahren, an denen sich auch der Landkreis München bei seinen Planungen orientiert? Wie sieht es in diesem Zusammenhang mit dem Thema »Familiennachzug« aus. Wie viele Menschen werden hier realistisch erwartet?

Göbel: Wir sind schon froh, wenn wir halbwegs belastbare Prognosen auf Jahressicht bekommen. Ich denke jedoch, die politische Situation in so vielen Krisengebieten ist so unberechenbar, dass längerfristige Prognosen jeglicher Seriosität entbehren würden. Klar ist aber, dass aktuell die Zahl der z.B. in Italien ankommenden Flüchtlinge bereits wieder stark zunimmt.

Zwar zögert sich deren mögliche Weiterreise nach Mitteleuropa, wohl auch wegen der Kontrollen an den Grenzübergängen zu Österreich, derzeit noch hinaus. Meiner Meinung nach ist aber fest damit zu rechnen, dass sich diejenigen, die fest dazu entschlossen sind, nach Deutschland zu gelangen, nicht dauerhaft davon abhalten lassen werden. Wir müssen uns also darauf einstellen, dass sie über kurz oder lang bei uns auftauchen werden.

Zum zu erwartenden Familiennachzug eine verlässliche Prognose abzugeben, gestaltet sich noch schwieriger. Derzeit beschäftigt uns noch in erster Linie der rechtsuntechnische Familiennachzug, d.h. die Zusammenführung von Familien, deren Mitglieder zunächst in unterschiedlichen Bundesländern untergebracht wurden oder in verschiedenen europäischen Staaten Asyl beantragt haben und die es gilt, an einem Standort wieder zusammenzubringen. Hier haben wir in den vergangenen Monaten mehrere Dutzend Asylbewerber neu in unserem Zuständigkeitsbereich aufgenommen. Auch in diesem Zusammenhang zu nennen sind Familienmitglieder, die sich noch auf dem Weg befinden und als Ziel ihrer Flucht natürlich die Länder und Orte anpeilen, in denen sich der Rest der Familie befindet.

Auf absehbare Zeit werden wir aber auch mit der Aufgabe konfrontiert sein, Neubürger unterzubringen und zu integrieren, die im Familiennachzug im rechtstechnischen Sinne neu zu uns kommen. Dabei handelt es sich um Familienmitglieder (insbesondere Ehegatten und Kinder), die sich noch im Ausland befinden, aber zu ihren bei uns inzwischen anerkannten Verwandten nachziehen wollen. Die Besonderheit besteht darin, dass diese Personen einen Anspruch auf Erteilung eines Visums haben können und dann so mit einem Aufenthaltstitel ausgestattet erstmals bei uns auftauchen. Zu den bereits anhängigen und zu erwartenden Visaverfahren, die vom Auswärtigen Amt bearbeitet werden, liegen uns auf Landkreisebene keine Zahlen vor.

Nach welchem Schlüssel wird die Verteilung vorgenommen. Mehr zentral oder dezentral?

Göbel: Im Landkreis München haben wir uns einvernehmlich auf eine Verteilung der Asylbewerber auf die Kommunen anhand der Einwohnerzahl verständigt. Ob in einer Stadt oder Gemeinde eine oder mehrere eher größere Unterkünfte oder viele kleinere errichtet oder genutzt werden, liegt in der Entscheidung der einzelnen Kommunen und an den räumlichen Möglichkeiten. Die Errichtung oder Anmietung größerer Unterkünfte geschieht stets im Einvernehmen mit der jeweiligen Kommune. In Oberhaching beispielsweise hat man sich für mehrere kleinere Unterkünfte zur Erfüllung der Quote entschieden, in Unterschleißheim, das natürlich auch eine entsprechend höhere Zahl an Menschen unterbringen muss, gibt es mehrere recht große Unterkünfte.

Die Planungen für Neubauten waren für einige Zeit auf Eis gelegt. Was war der Grund? Und wie wird jetzt weiter vorgegangen?

Göbel: Grund war der vorübergehende Einbruch der Flüchtlingszahlen, nachdem die europäischen Grenzen stärker gesichert wurden und einige Flucht­routen kaum mehr passierbar waren. Man wollte sicher auch einer gewissen Freizügigkeit in der Wohnraumakquise entgegenwirken, denn unter dem großen Zeitdruck, unter dem die Behörden die Unterbringung so vieler Flüchtlinge realisieren mussten, mag auch mal ein nicht ganz so wirtschaftliches Projekt genehmigt worden sein. Das Aufatmen verschaffte den übergeordneten Behörden Zeit, die Wirtschaftlichkeitsprüfung wieder verstärkt in den Fokus zu nehmen. Im Landkreis München haben wir inzwischen für eine Reihe von Projekten die Freigabe erhalten und ich gehe fest davon aus, dass wir auch weiterhin unsere fundierten Planungskonzepte abarbeiten können.

Werden weitere Unterkünfte gebaut? Und wenn ja, für wie viele Personen und in welcher Bauweise?

Göbel: Ja, es werden weitere Unterkünfte gebaut bzw. angemietet. Zum einen müssen wir die Traglufthallen leer bekommen, denn diese sind explizit nur für einen sehr begrenzten Zeitraum als Notunterkünfte errichtet worden und böten den Menschen auch längerfristig keinen menschenwürdigen Lebensraum. Zum anderen glaube ich fest daran, dass bald schon wieder mehr Menschen in Deutschland und Europa Zuflucht suchen werden. Die aktuellen Nachrichten lassen in meinen Augen nichts anderes erwarten. Bis Ende 2016 gehen wir derzeit von insgesamt 6.000 unterzubringenden Personen aus.

Wie steht es um das eingeplante Budget? Sind die Kosten derzeit geringer oder höher als erwartet? Wie hoch sind die Ausgaben insgesamt veranlagt? Wer bezahlt das und müssen andere Projekte deshalb verschoben werden?

Göbel: Bei der Anmietung oder Planung und Errichtung von Asylbewerberunterkünften handeln die Landratsämter als Staatsbehörde, entsprechend beanspruchen die damit einhergehenden Kosten den Haushalt des Freistaats Bayern. Zu dessen Budgetplanung können wir auf Landkreisebene keine Auskünfte geben. Ich gehe aber davon aus, dass sich alle mit der Thematik befassten Behörden bewusst darüber sind, dass die Schaffung von Unterbringungsplätzen für Asylbewerber nicht unerhebliche Kosten verursacht.

Gibt es noch einen planerischen und finanziellen Notfallpuffer für unerwartete Entwicklungen?

Göbel: Was die Kapazitäten unserer Unterkünfte betrifft, versuchen wir, nicht zu knapp zu planen. Aber Unwägbarkeiten gibt es viele: die Entwicklung der Flüchtlingsströme, der Familiennachzug und nicht zuletzt die Tatsache, dass anerkannte Asylbewerber kaum eine Chance haben, auf dem freien Wohnungsmarkt zeitnah eine eigene Bleibe zu finden. Zu den finanziellen Notfallplänen des Freistaats Bayern kann ich mich nicht äußern. Ich bin aber davon überzeugt, dass im Fall des Falles die nötigen finanziellen Mittel bereitgestellt würden. Denn niemand will, dass Asylbewerber bei uns »auf der Straße landen«.

Viele Münchner Bürger befürchten auf Dauer negative Auswirkungen auf die ohnehin schon angespannte Wohnraumsituation. Können Sie Entwarnung geben?

Göbel: Das wäre nicht seriös. Auch wenn der Landkreis und die Kommunen sich wieder verstärkt engagieren, kann hier kurzfristig keine Entwarnung gegeben werden. Klar ist aber: Die Schaffung von Wohnraum für all diejenigen, die sich die hohen Lebenshaltungskosten am Standort München aus eigener Kraft nicht leisten können und daher auf dem freien Wohnungsmarkt kaum eine Chance haben, hat über alle Ebenen in unserer Region größte Priorität. Das ist im Übrigen ganz unabhängig vom sozialpolitischen Anspruch eine Frage der Wirtschaftsförderung, Stichwort Fachkräftebedarf!

Wie geht es mit der Integration der Flüchtlinge voran, gibt es bereits Erfolgsmeldungen, macht sich die Zuwanderung bereits auf einigen Gebieten positiv bemerkbar? Oder auch negativ? Sind die Straftaten höher als noch vor dem großen Flüchtlingsstrom?

Göbel: Die Ansätze sind positiv. Viele der Flüchtlinge sind bereits sehr gut integriert, sprechen zum Teil gut, manchmal auch sehr gut Deutsch. Auch gibt es sehr gute Beispiele für erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt. Die Beziehungen zwischen den Menschen in den Helferkreisen und in den Unterkünften sind anhaltend fest, das merke ich bei jeder Eröffnung einer neuen Asylbewerberunterkunft. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung können wir nicht feststellen.

Die Statistik der Straftaten weist Erhöhungen aus, die registrierten Fälle in Asylbewerberunterkünften richteten sich aber nahezu ausschließlich gegen Mitbewohner und nicht gegen die einheimische Bevölkerung. Ich gehe nach wie vor davon aus, dass sich die Anstrengungen der ganzen Gesellschaft lohnen und wir optimistisch sein dürfen.

Heike Woschée

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