Veröffentlicht am 19.06.2017 00:00

»Ein Neuanfang aus eigener Kraft«

Bild: Vorsitzender des Verwaltungsrats des TSV München von 1860 e.V.: Dr. Markus Drees.  (Foto: Anne Wild)
Bild: Vorsitzender des Verwaltungsrats des TSV München von 1860 e.V.: Dr. Markus Drees. (Foto: Anne Wild)
Bild: Vorsitzender des Verwaltungsrats des TSV München von 1860 e.V.: Dr. Markus Drees. (Foto: Anne Wild)
Bild: Vorsitzender des Verwaltungsrats des TSV München von 1860 e.V.: Dr. Markus Drees. (Foto: Anne Wild)
Bild: Vorsitzender des Verwaltungsrats des TSV München von 1860 e.V.: Dr. Markus Drees. (Foto: Anne Wild)

Der Vorsitzende des Verwaltungsrats des TSV München von 1860 e.V. ist der Chemiker Dr. Markus Drees. Die Münchner Wochenanzeiger sprachen mit Drees über die Entwicklung seit dem Abstieg der Profifußballer aus der Zweiten Bundesliga, die Verwerfungen im Verhältnis mit dem Investor und den Neustart in Giesing.

Herr Drees, warum hat der Verwaltungsrat Robert Reisinger als Interims-Präsident für den zurückgetretenen Peter Cassalette bestellt?

Der Verwaltungsrat wollte in dieser schwierigen Phase einen Interimspräsidenten, der keine Einarbeitungszeit braucht, die Abläufe kennt, eine klare Linie fährt und die Interessen des e.V. als Gesellschafter vertritt. Robert Reisinger hat sich dazu dankenswerterweise bereit erklärt.

Auf der Mitgliederversammlung am 2. Juli müssen die Mitglieder den Präsidenten bestätigen?

Das stimmt. Die Vize-Präsidenten Heinz Schmidt und Hans Sitzberger sind bis zum Ende der Amtszeit 2019 gewählt – Reisinger würde das Präsidium, vorbehaltlich der Zustimmung der Mitglieder, komplettieren. Im Jahr 2019 ist dann ein neues Präsidium zu wählen.

Sie sollen im Rückspiel gegen den SSV Jahn Regensburg zusammen mit Robert Reisinger und Peter Cassalette die Arena vorzeitig verlassen und so die aufgeheizte Stimmung in der Nordkurve gar nicht mehr persönlich mitbekommen haben. Manche Kritiker interpretieren das als Interesselosigkeit der Funktionäre.

Mitglieder des Präsidiums und des Verwaltungsrats haben die Arena eine Viertelstunde vor Spielschluss verlassen, um nach dem Rücktritt von Ian Ayre als Geschäftsführer und dem vermuteten Abstieg zu einer Dringlichkeitssitzung mit den Vereinsanwälten zusammenzutreten – die Handlungsfähigkeit des Klubs musste sichergestellt bleiben. Den Teilnehmern daraus einen Vorwurf zu konstruieren, wäre böswillig.

Hasan Ismaik unterstellt öffentlich einzelnen Verwaltungsräten wie Robert von Bennigsen und Richard Ostermeier, sie würden eigennützig handeln und in ihren Ämtern persönlichen Interessen nachgehen.

Ja, diese Geschichten wurden auch an mich herangetragen. Damit wird Politik gemacht und der Versuch unternommen, einzelne Verwaltungsräte gezielt zu diskreditieren. Ich habe mich natürlich nach den Hintergründen erkundigt. Nach meiner Überzeugung ist absolut nichts dran an den Vorwürfen.

Wer Richard Ostermeier kennt, der weiß, wie stark ihm eine Lösung der Stadionfrage für den Profifußball am Herzen liegt – das ist sein großes Thema, für das er immer schon mit Enthusiasmus und oft auch im Überschwang gestritten hat. Als nun Hasan Ismaik mit seinen ambitionierten Bauplänen für eine eigene Arena an die Öffentlichkeit trat und mit Ian Ayre eine Personalie der XXL-Klasse anheuerte, glaubte Ostermeier seine Vision plötzlich zum Greifen nah. In dieser Situation äußerte er gegenüber dem Bruder des Investors sein Interesse, im Realisierungsfall unter Geschäftsführer Ian Ayre in der KGaA beruflich dafür tätig sein zu können. Daraus den Vorwurf zu stricken, Ostermeier hätte sich an seinem Ehrenamt im e.V. bereichern wollen oder unseriös gehandelt, halte ich für albern. Er ist vielleicht einer schillernden Luftblase gefolgt. Aber das ist nicht verwerflich. Das sind viele andere auch.

Im Fall Robert von Bennigsen verhält es sich meines Wissens nach ähnlich. Der Mann ist Jurist und Betriebswirtschaftler und beruflich gut vernetzt. Ismaik hat bei seinem Antritt 2011 erklärt, er würde beim TSV 1860 München einsteigen, weil er an Geschäften aller Art in Deutschland interessiert wäre. Von Bennigsen reichte damals ein Expose für ein Bauprojekt in Hamburg an Ismaik weiter, das zahlreiche andere potentielle Investoren auch erhielten. Ismaik war daran nicht interessiert und damit der Fall erledigt. Das ist Jahre her. Von Bennigsen handelt als Verwaltungsrat aus Verantwortung für den Verein. Alles andere ist eine ehrabschneidende Behauptung, bei der schon die große zeitliche Distanz einen deutlichen Hinweis auf die Motivlage gibt. Ich habe keinerlei Zweifel an seiner persönlichen Integrität.

Haben Sie selbst Ismaiks verwegenen Stadionplänen eigentlich Glauben geschenkt?

Na ja, ich bin Naturwissenschaftler – wir ticken anders in Sachen Glaube. Ich war zugegeben skeptisch, was Ismaiks Ankündigungen anbelangt, aber jederzeit bereit, mich positiv überraschen zu lassen. Ich hatte schon auch leise Hoffnung, dass er das wahr macht. Das will ich gar nicht verhehlen.

Was hat Ihre Skepsis genährt?

Stark irritiert hat mich, wie das Projekt von seinem Ablauf her angepackt wurde und dazu immer die seltsamen Wasserstandsmeldungen über Facebook und Twitter, noch ehe die Gremien überhaupt informiert waren. Das geht so nicht – zumindest nicht in Deutschland. Da war er, glaube ich, schlecht beraten. Der Hinweis von Oberbürgermeister Dieter Reiter, der Investor möge bitte erst wieder bei der Stadt vorstellig werden, wenn er was Substantielles in der Hand hat, war in der Hinsicht überdeutlich.

Ihnen wird von der Investorenseite vorgeworfen, Sie hätten einen beleidigenden Liedtext – das berühmt gewordene »Scheichlied« – veröffentlicht und so Ihren Mitgesellschafter öffentlich brüskiert.

Nein, das habe ich nicht getan. Nachdem viele Fans beim letzten Saisonspiel der zweiten Mannschaft das Lied lautstark auf der Tribüne gesungen hatten, erschienen die Zeilen ohne weiteren Kommentar auf der Facebookseite des Vereins »Freunde des Sechzger-Stadions«, dessen Vorsitzender ich bin. Der Facebook-Account wird aber nicht von mir verwaltet und ich hätte das auch nicht veröffentlicht. Das war nicht in meinem Sinne. Ich habe erst spät von dieser Taktlosigkeit erfahren und mich in einer persönlichen E-Mail an Hasan Ismaik dafür entschuldigt. Der Verein »Freunde des Sechzger-Stadions« ist weder mein persönliches Eigentum, noch bin ich dort der Zampano, auf dessen Geheiß hin Dinge geschehen oder unterbleiben.

Der Liedtext blieb aber im Netz?

Natürlich. Es wäre auch albern gewesen, ihn im Nachgang zu löschen, nachdem alle bereits davon sprachen. Für mich ist das ein satirisches Spottlied, das dem darin Angesprochenen nicht gefallen mag, das verstehe ich sehr gut, das aber definitiv von der freien Meinungsäußerung gedeckt ist. Als Person des öffentlichen Lebens muss man damit klarkommen. Zumindest in unserer Gesellschaft. Fußballfans singen nun mal Spottlieder. Bezeichnend finde ich, dass das Ganze erst zum Thema aufgebauscht wurde, als es der Investorenseite ins Kalkül zu passen schien.

Dafür sind Sie jetzt Teil des Feindbildes des Investors geworden.

Ja, aber darauf habe ich keinen Einfluss. Das ändert auch mein Verhalten nicht. Ich habe nie in Schwarz-Weiß-Kategorien oder Freund-Feind-Schemata gedacht. Das ist generell nicht meine Art.

Die angeblich Schuldigen am Niedergang der Profi-Fußball-Tochter des TSV 1860 München waren im Nachgang für die Investorenseite rasch ausgemacht. Es handelt sich um Sie als Vorsitzender des Verwaltungsrats des e.V., um den Fußballabteilungsleiter des e.V., Roman Beer, aber auch um die Vize-Präsidenten Heinz Schmidt und Hans Sitzberger.

Das hat mich ehrlich gesagt erschüttert. Der Versuch nach dem Abstieg und der Nichtlizenzierung für die Dritte Liga, den Misserfolg der Profis auf abstruseste Weise mir als Verwaltungsratsvorsitzendem oder dem ausschließlich für die Jugend und Amateure zuständigen Fußballabteilungsleiter Roman Beer und anderen ehrenamtlichen Verwaltungsräten des e.V. ans Bein zu binden. Das ist ungeheuerlich.

Ich bin Heinz Schmidt und Hans Sitzberger überaus dankbar, dass sie sich nicht nach dem Abstieg ihrer Verantwortung entzogen haben, sondern im Sturm an Deck blieben und das Ruder gehalten haben.

Nicht wenige Anhänger verwechseln den Stammverein mit der ausgegliederten Fußball-Tochter.

Das passiert häufig. Deshalb scheint auch einigen die These von der vermeintlichen Schuld einleuchtend, auch wenn sie in Kenntnis der tatsächlichen Strukturen völlig abwegig ist.

Wenn ich in Gesprächen mit Fans und Vereinsmitgliedern mit pauschalen Urteilen konfrontiert werde und gezielt nachfrage, woher die Personen ihr vermeintliches Wissen haben, kommen sie oft schnell in Erklärungsnot und verweisen am Ende auf ein Internetblog, auf dem leider selten mit kühlem Kopf argumentiert, dafür umso mehr mit Emotionen statt Fakten gearbeitet wird.

Das Ganze übrigens mit der Konsequenz, dass mir und anderen Funktionären finsterste anonyme Beleidigungen und Drohungen auf schwere Körperverletzung bis hin zum Mord ins Haus flatterten. Das ist völlig inakzeptabel. Ich habe in dieser Sache Anzeige bei der Polizei erstattet. Eine unselige Rolle spielt dabei leider besagtes Online-Medium, das durch seine Art der Meinungsmache solche Exzesse gewollt oder ungewollt befördert.

Wie gehen Sie mit dem Investor jetzt um?

Ich reiche ihm die Hand, denn er ist als Gesellschafter der Profi-Fußballtochter ein Teil des TSV 1860 München. Aber es gibt klare und verbindliche Regeln, auf deren Einhaltung der Verein bestehen muss. Ich vertrete als Verwaltungsrat die Interessen des e.V., mein Mandat ist da eindeutig.

Hatten Sie eigentlich persönlichen Kontakt zu Hasan Ismaik?

Bei seinen Besuchen in der Arena schon, dazu in Telefonkonferenzen, meist aber nur schriftlich. Den engsten persönlichen Draht zu unserem Mitgesellschafter hatte für den Verein Peter Cassalette. In der Kommanditgesellschaft befindet sich die Geschäftsführung naturgemäß im Austausch mit den Gesellschaftern.

Ex-Präsident Peter Cassalette hat in einem Interview behauptet, Sie hätten als Verwaltungsrat in einer entscheidenden Phase nicht zur Rettung des Klubs beitragen wollen?

Cassalettes Rolle ist mittlerweile leider eine indifferente geworden. Sein Vorwurf entbehrt jeder Grundlage und kann nur politisch gedeutet werden – als ein letzter Dienst, an wem auch immer. Leider nicht am e.V., dessen Präsident er war. Mehr will ich dazu gar nicht sagen.

Haben die Gremien beim TSV 1860 München den Kurs von Cassalette eigentlich mitgetragen?

Ja, definitiv. Der erhebliche Gestaltungsfreiraum, der unserem Mitgesellschafter nach dem Ende der Saison 2015/2016 eingeräumt wurde, war kein Alleingang von Cassalette. Das war mehrheitlich so abgestimmt und gewollt von allen Gremien.

Was haben Sie sich davon versprochen?

Wir hatten die Hoffnung, dass unserem Mitgesellschafter als unternehmerische Persönlichkeit auf diese Weise das Projekt Profi-Fußball beim TSV 1860 München mehr Spaß macht und es ihn emotional enger an den Verein binden würde. Das war auch der Fall, nur standen am Ende dieses Experiments leider ein sportlicher Abstieg und ein finanzieller Zwangsabstieg. Jetzt gilt es, den Klub neu auszurichten und wieder zukunftsfähig zu machen.

Ohne Investor?

Ich persönlich bin kein genereller Gegner von Investoren. Wenn die Rahmenbedingungen und das kulturelle Klima passen, kann das im Einzelfall eine fruchtbare Zusammenarbeit sein.

Leute wie Sie oder auch der Fußballabteilungsleiter Roman Beer gelten manchen als ewige Traditionalisten und »Steineanbeter«, die sich ausschließlich für das Grünwalder Stadion interessieren würden.

Das sind stumpfe Vorurteile, die auf Klischees basieren, die von ständiger Wiederholung nicht wahrer werden. Von der Satzungsreform, die zur Demokratisierung der Verhältnisse im e.V. beigetragen hat, über die Gründung neuer Abteilungen und Sportangebote bis zur von Karl Rauh initiierten Vision vom modernen Breitensportverein sind Verwaltungsräte und Abteilungsleiter ehrenamtlich engagiert. Alles was im Profi-Fußball geschieht, ist Sache der KGaA.

Eines muss im Zusammenhang mit dem Grünwalder Stadion aber erwähnt werden. Mit den Unterstützern aus Fanszene und Politik ist es vor Jahren gelungen, durch zahlreiche Aktionen die Spielstätte vor dem Abriss und als Zufluchtsort zu bewahren. Wohin würden die Löwen in der jetzigen Situation in der Regionalliga sonst gehen können?

2011 wollte der TSV 1860 unter seinem Präsidenten Dieter Schneider um jeden Preis eine Insolvenz und einen Neuanfang in der Regionalliga Bayern verhindern – die Rettung glaubte man in Investor Hasan Ismaik gefunden zu haben. Sechs Jahre später steht man mit eben jenem Investor genau dort, wo man 2011 partout nicht hin wollte: in der Regionalliga. Das klingt doch wie ein Witz?

Na ja, zum Lachen ist mir nicht dabei. Aber Sie haben recht, das Ergebnis hätte man deutlich früher haben können. Ich kann jeden Fan verstehen, der vom Wiederaufstieg in die Bundesliga und mit Hilfe des Investors von Auftritten auf internationalem Parkett geträumt hat – mir ging es ebenso. Das wirkt wie eine Droge. Die Realität ist jedoch eine andere und die gilt es jetzt anzunehmen und das Beste daraus zu machen.

Was ist Ihre Vision für den Profi-Fußball beim TSV 1860 München?

Wir Löwen starten mit der Unterstützung unserer treuen Mitglieder, Fans, Sponsoren und Partner aus eigener Kraft einen glaubhaften Neuanfang, der verloren gegangene Sympathien zurückbringt. Die Positionierung als bayerischer Verein mit Münchner Herz und Seele in Giesing. Unsere Nachwuchsarbeit spielt dabei eine entscheidende Rolle. Sportlich werden wir mit der ersten Mannschaft zunächst kleinere Brötchen backen müssen. Aber unser Ziel ist immer, den TSV 1860 München zurück in die Bundesliga zu führen.

Interview: Alfons Seeler

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