Seit einem guten halben Jahr wohne ich in München, habe Meer gegen Berge, Pils gegen Helles, Moin gegen Servus getauscht. Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen und wo geht das besser als auf der Wiesn.
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»So seh ich das!« - zur Münchner Wiesn Artikel vom 28.09.2018: Wochenblatt-Redakteur Carsten Clever-Rott über ein Volksfest für eigentlich alle
Ich habe sogar das Glück, eine Akkreditierung für die Bildtribüne beim Anstich ergattert zu haben. So lerne ich dann gleich aus nächster Nähe, wie ein echtes Oktoberfest abläuft, gleich von Anfang an. Journalisten aus aller Herren Länder warten auf den einen Moment, wenn das erste Bier fließt. Die durstigen Zuschauer warten ebenfalls sehnsüchtig auf den Anstich. Es ist ein Gefühl, als würde die ganze Welt stehen bleiben und alle darauf warten, wenn Oberbürgermeister Reiter »Ozapft is« ausruft.
Doch Geduld ist auch vor dem Anstich eine Tugend. Also unterhalte ich mich mit den anderen Journalisten und bekomme hier und da einen unabsichtlichen Ellenbogenstoß ab, wenn sich ein Fotograf mal wieder vordrängelt. Die Arbeit eines Reporters ist gefährlich.
Dann gehts los und ist auch schon wieder vorbei. Schon mit dem zweiten Schlag hat der Oberbürgermeister seine Arbeit erledigt. Nah dran an der Quelle, erhalte ich eines der ersten Biere und trinke somit quasi mit den »hohen Tieren«. Doch dass die Arbeit als Reporter nicht nur gefährlich, sondern auch schwer ist, beweist das anschließende Fotoshooting im Festzelt: mit Fotokamera in der einen Hand und einer Maß in der anderen erfordert das nämlich etwas Geschick.
Als das Münchner Kindl vom Podium herabsteigt, kommt die größte Herausforderung: Ich will ein Selfie. Links die Maß, rechts die Kamera, geschickt auf den Auslöser drücken, und dabei das Lächeln nicht vergessen.
Nach der Zeremonie und dem ersten Bier geht es dann auf in den (Oktoberfest-)Kampf. Auf der Wiesn wird gefeiert, was das Klischee über Bayern und München hergibt. Dabei ist es egal, ob Oberbayer, Amerikaner, Chinese alle in Tracht unterwegs. Die Nationalität spielt hier keine Rolle. Beim Anblick der zahlreichen Nationalitäten fühlt sich das Nordlicht schon geradezu bayerisch.
Eine typische Tracht, sowas gibt es in der Region, aus der ich komme, irgendwie nicht. Vielleicht ein Matrosen-Outfit? Das würde man als Kieler oder Schönberger nur an Fasching tragen. Die bayerische Tracht ist elegant und anfangs etwas unbequem, dazu ganz schön teuer, aber das spielt auf einem Fest, auf dem sich die ganze Welt trifft, eine untergeordnete Rolle.
In einer schnelllebigen Welt voller Anonymität ist es beeindruckend, wie in einer Großstadt Werte und Traditionen gelebt werden. Sie spiegeln Werte von Heimat wider und selbst ein Kieler Fischkopf wie ich fängt an, mehr und mehr Verbundenheit mit der Region herzustellen.
So banal es klingt: Dabei helfen mir die Fischbrötchen. Heimat ist für mich überall da, wo ich ein Fischbrötchen bekommen kann. Vom dünnbesiedelten Küstengebiet bin ich in die Bayernmetropole gezogen, die mir gerade auf dem Oktoberfest eindrucksvoll zeigt, was sie in sich hat. Nämlich Zigtausende Menschen zusammengepfercht auf einem relativ engen Raum. Das ist im Alltag, etwa beim Andrang auf die U-Bahn, gar nicht viel anders als auf dem Fest. »Das größte Volksfest der Welt« wird, das sehe ich sofort, seinem Ruf gerecht. Mein erster Eindruck also: Es ist hier ziemlich voll.
Einige Leute sind es aber auch, das sehe ich gleich. Jede Menge Bier, man (und frau) trägt um die zehn oder mehr Krüge auf einmal, schiebt sich durch die Masse: Das ist richtiger Sport.
Ich erlebe viel Neues. Die bayerische Volksmusik und Schlager gehören aber nicht dazu. Die kenne ich von der Ostsee. Einmal im Jahr wird die Ostseeküste so richtig »boarisch«, denn auch dort feiern wir Oktoberfest nach Münchner Vorbild. Man darf sich nichts vormachen: Das Oktoberfest gehört nicht allein nur zu Bayern, sondern auch zu Deutschland. Viele Ausländer assoziieren schließlich auf die Frage hin, was typisch deutsch sei, Dinge, die dem Grunde nach rein bayerisch sind.
Erstaunlich, wie auch einige bayerische Wirtshäuser ihre Schmankerl als »typical German cuisine« verkaufen. Hinter guter bayerischer Küche steht auch, wie ich selbst geprüft habe, eine gute Qualität. Was bei uns als Eisbein serviert wird, gibt es hier als Haxe und schmeckt mir irgendwie besser. Die Münchner machen es mir leicht, mich hier zuhause zu fühlen. Auch, wenn gerade nicht Oktoberfest ist. Von Daniel Mielcarek