Freiheit in einer Wertegesellschaft wie der unseren steht die Freiheit über allem. Freiheit, das wollte auch Dr. Rupprecht Gerngross für Deutschland erreichen, als er am 27. April 1945 zum Widerstand aufrief. Nur ein Jahr später wurde in Schwabing der Feilitzschplatz im Gedenken an die Widerstandsaktion umbenannt. Seitdem trägt er den Namen »Münchner Freiheit«.
Am kommenden Mittwoch jährt sich diese denkwürdige Aktion zum 60. Mal. Aus diesem Anlass ruft ein Veranstalterkreis von zwölf Initiativen und Einrichtungen zu Gedenkveranstaltungen am 27. April und 6. Mai auf. Den Auftakt bildet »Geh denken« an der Münchner Freiheit im Forum (27. April, 14 Uhr), gefolgt von der Gedenkfeier in der Großen Aula der Universität (27. April, 19 Uhr) und der Lesung und Filmpräsentation »Der vergessene Rebell« mit Felix Haldenberger in der Seidlvilla am Nikolaiplatz (6. Mai, 19.30 Uhr).
Der vergessene Rebell, das war Gerngross, der 1996 in München starb, wirklich. Zu Lebzeiten hat niemand die Leistung erkannt, die Gerngross 1945 vollbracht hat. Erst jetzt melden sich Zeitzeugen und Weggefährten zu Wort und fassen in Worte, was damals passiert ist und was damals nicht passiert ist. Berichten von Geistlichen aus den letzten Kriegstagen zufolge war die von Gerngross geleitete Freiheitsaktion Bayern erfolgreicher als bisher vermutet.
In einer waghalsigen Aktion hat Gerngross als Hauptmann einer Dolmetscherkompanie die Sender in Freimann und Erding besetzt und die Deutschen europaweit und in verschiedenen Sprachen zum Widerstand gegen die Nazis aufgerufen.
Die Aktion wurde von den Nazis rasch unterbunden und die Rädelsführer verfolgt und ermordet. Gerngross hatte entkommen können.
Was nach einer unbedeutenden Aktion in den letzten Kriegstagen aussieht, bekommt mit dem Bekanntwerden weiterer Augenzeugenberichte eine weitaus größere Tragweite. »Die deutschen Soldaten haben die Aufrufe gehört und haben ihren Ohren nicht getraut«, erzählt Peter Erwand von der Bayerischen Akademie für Außenwirtschaft, einer der Veranstalter. Die Mutigen, die sich dem Aufruf anschlossen, riskierten damals ihr Leben. Marodierende SS-Einheiten kannten kein Pardon. Dennoch setzte sich der Widerstand, unterstützt von der Kriegsmüdigkeit im deutschen Volk durch.
Die »Goldfasane«, wie man die Nazi-Bonzen insgeheim nannte, hatten ausgespielt. Wenige Tage nach der Aktion war der Krieg vorüber. Der Nazi-Widerstand gegen die einmarschierenden Soldaten der Alliierten war gebrochen. Sinnlose Aktionen hätten den Krieg verlängert und sehr wahrscheinlich dazu geführt, »dass in München erheblich mehr zerstört worden wäre, als es ohnehin der Fall war«, wie Buch- und Filmautor Felix Haldenberger vermutet.
München sei auch durch die mutige Aktion von Dr. Rupprecht Gerngross von der »Hauptstadt der Bewegung« zur Hauptstadt des Widerstands
geworden, wie Hannes Schacht sagt. Schacht hat ein besonderes Verhältnis zu Gerngross. Er hatte dem in Shanghai geborenen Münchner nämlich ein Schiff abgekauft, die »Mau Yee«, zu deutsch: »Münchner Freiheit«. Die Dschunke »Mau Yee« hatte Gerngross 1962 in Hongkong in Auftrag gegeben.
Nach einer stürmischen Überfahrt durch den indischen Ozean gelangte Gerngross mit dem Schiff in die Adria, die er 20 Jahre besegelte. Dabei verbreitete er seinen ganz persönlichen Freiheitsgedanken und machte die Münchner Freiheit bekannt.
Hannes Schacht kaufte das Schiff 1982 und trat damit ein schweres Erbe an, dessen er sich aber als würdig erwies. Er war mit dieser einzigen chinesischen Dschunke im Mittelmeer an der Küste des ehemaligen Jugoslawien unterwegs. »Wir hatten Jugendliche aus dem ganzen Land an Bord«, erzählt er, »Kroaten, Serben, Bosnier, Slowenen. Wir wollten ihnen vermitteln, dass man miteinander reden muss, anstatt mit den Knüppeln aufeinander loszugehen.« So profitieren die Menschen bei den Törns noch heute vom Geist des Rupprecht Gerngross.
Die Erinnerung an den Widerständler von einst fällt an der Münchner Freiheit in Schwabing zu klein aus. Das findet jedenfalls Liesa Siegelman von der Perspektive Münchner Freiheit. Sie setzt sich für eine Neugestaltung des Platzes ein, bei der auch Gerngross angemessen berücksichtigt werden soll. Denn in den letzten 60 Jahren sei er einfach immer mehr in Vergessenheit geraten, klagt der Veranstalterkreis. Für viele ist die Münchner Freiheit ein bekannter Platz und Verkehrsknotenpunkt. In Wahrheit steckt aber viel mehr dahinter.
Carsten Clever-Rott