Veröffentlicht am 28.07.2009 00:00

München: »Energiestadt mit Weltruf«


Von red

»Politik zum Anfassen« machte es den Münchner Wochenanzeiger-Lesern Gerhard Petschat, Karin Linge und Thomas Wimmer möglich, den Bundestagsabgeordneten Dr. Axel Berg in einem persönlichen Gespräch kennen zu lernen. In der vergangenen Woche trafen sich die interessierten Leser mit dem SPD-Politiker im Aumeister-Biergarten in lockerer Atmosphäre zu einer sachorientierten Diskussion.

Politik zum Anfassen

Wir fühlen Politikern auf den Zahn Serie der Münchner Wochenanzeiger vor der Bundestagswahl

Thomas Wimmer: Was halten Sie von Atomkraftwerken in der Zukunft?

Dr. Axel Berg: Meine Meinung dazu ist ganz klar: Wir müssen so schnell wie möglich raus aus der Atomkraft. Von mir aus könnten wir sofort morgen alle Atomkraftwerke abschalten. Wenn Isar 1 hochgeht, was nicht ausgeschlossen ist, ist Bayern für 200 Jahre nicht mehr bewohnbar. Das Risiko ist winzig klein. Aber wenn es trotzdem eintritt, schauen wir in die Röhre. Zudem haben wir ein Lagerungsproblem der Radioaktivität. Es gibt weltweit kein Endlager, noch nicht mal ein Konzept dafür. Und es ist die teuerste Form Energie zu erzeugen. Wir haben doch gar nicht so viel Geld, um solche brandgefährlichen Hobbys zu pflegen. Ich würde auch keinen Cent in den Bau eines Kohlekraftwerks stecken. Natürlich habe ich größtes Verständnis dafür, dass die Eigentümer der Atomkraftwerke eine Verlängerung der Laufzeit haben wollen. Die Technik wurde auf Staatskosten erforscht. Die OECD-Länder haben seit dem zweiten Weltkrieg fast 90 Prozent ihrer Energieforschungsmittel für die Erforschung der Atomkraft ausgegeben. Deswegen sind wir auch auf anderen Gebieten immer noch so mau. Weltweit werden übrigens nur zwei bis drei Prozent der Energie atomar erzeugt. Um ein Atomkraftwerk zu bauen, muss man schon mal zwei bis drei Milliarden in die Hand nehmen. Das haben die Eigentümer bezahlt. Die Meiler sind aber längst abgeschrieben. Die laufenden Kosten sind minimal. Klar, die Preise für Uran sind sehr hoch, was aber nicht wirklich ausschlaggebend ist. Hinzu kommt, dass Atomkraftwerke kaum versichert sind. Mit einem abgeschriebenen Atommeiler kann der Eigentümer Pi mal Daumen eine Million Euro Gewinn machen. Am Tag! Das ist betriebswirtschaftlich natürlich ein Riesengeschäft für die Betreiber. Da geht es um wahnsinnig viel Geld.

Wimmer: Sie plädieren für den Ausstieg?

Berg: Aber so schnell wie möglich! Ich war damals übrigens gegen den Ausstiegsvertrag. Denn ich habe gesagt, lasst uns die Atomkraftwerke einfach versichern. Dann fliegen die von ganz alleine aus dem Markt. Für mich war von Anfang an klar, dass man der Atomindustrie nicht trauen kann. Der Deal damals war ganz einfach: Die Politik verspricht, der Atomwirtschaft keine Knüppel zwischen die Beine zu werfen, und die Atomwirtschaft verspricht, nach 20 Jahren aufzuhören. Ich habe gleich gesagt, dieser Vertragspartner ist unseriös. Heute zeigt sich leider, dass ich Recht hatte. Jetzt kommen die Energieversorger plötzlich wieder und machen einen auf umweltfreundlich mit CO2-freien Kraftwerken. Das ist gelogen, denn ein Atomkraftwerk ist in der Gesamtenergiebilanz mit einem Gaskraftwerk vergleichbar.

Wimmer: Ist das jetzt Ihre Meinung oder die der ganzen SPD?

Berg: Mit dem Atomausstieg bin ich auf Linie. Das ist Meinung der SPD.

Gerhard Petschat: Ist doch klar, wer versichert schon solche Risiken?

Berg: Das Gefährlichste in unserer Gesellschaft ist nicht versichert beziehungsweise nur bis fünf Milliarden. Es wurde bereits ausgerechnet – das können die Versicherer ja relativ genau – dass eine bestimmte Versicherungsprämie möglich wäre. Die wäre wiederum so hoch, dass der Kilowattstundenpreis über zwei Euro läge. Das heißt, wäre Atomkraft versichert, wären sie sofort aus dem Markt, weil keiner mehr kaufen würde. Also übernimmt der Staat aus ideologischen Gründen und politischer Überzeugung die Haftung.

Wimmer: Aber was ist die Alternative?

Berg: Am schnellsten und am billigsten sind Effizienzenergien. 80 Prozent unserer Häuser in Deutschland sind nicht anständig isoliert. Das ist für mich ein Jobmotor für das Handwerk, Anlagenbau, Mess- und Regeltechnik usw. und Wertschöpfung hier bei uns. Eine mittlere und längere Perspektive bedeuten die erneuerbaren Energien. Jetzt mache ich die Rechnung auf: Wir sind derzeit bei zirka 15 Prozent erneuerbar im Strom. Jährliche Steigerung knapp drei Prozent. Wenn ich das jetzt nur linear weiter rechne, sind wir bis in die 30er Jahre zu 100 Prozent regenerativ versorgt – beim Strom. Wertschöpfung 100 Prozent in Deutschland, hier laufen die Windmühlen, hier ist die Photovoltaik, hier sind die Biomasse-Anlagen. Wenn es jetzt wie bei jeder Technologie auch noch Massenproduktion, Skaleneffektive und Technologiesprünge gibt, dann schaffen wir es wahrscheinlich sogar schon in den 20er Jahren. Die Grid Parity (= Netzparität, der Zeitpunkt, bei dem Strom aus einer Photovoltaikanlage zum gleichen Preis wie »normaler« Strom für Endverbraucher angeboten werden kann, Anm. d. Red.) erwarten unsere Apologeten in fünf bis acht Jahren. Das heißt, in fünf bis acht Jahren ist erneuerbarer Strom billiger als der momentane Strom aus der Steckdose. Zudem verursachen erneuerbare Energien weniger Probleme: Man löst keinen Klimawandel aus, es kann nicht explodieren, man hat kein Müllproblem. Ich bin radikal und sage: »Lasst uns 5000 Windmühlen in Bayern aufstellen!« Dann können wir sowohl Kohle- als auch Atomkraftwerke vergessen. Natürlich macht das unser Land nicht schöner. Aber, wenn wir die Windmühlen in 20 Jahren nicht mehr brauchen, werden sie wieder abgesägt und recycelt. Wind gibt es überall in 100 Metern Höhe. Wir haben zwischen 15.000 und 20.000 Windräder in Deutschland stehen. Wenn wir die einfach umrüsten und zum Beispiel neue Propeller dran machen, hätten wir schon die doppelte Ausbeute. Davon bin ich überzeugt, das ist meine Vision. Deshalb würde ich keinen Cent mehr in Atomkraft investieren.

Petschat: Ich habe eine Frage zum Thema Diskussionskultur. Wie kann man den Wettbewerb der besten Ideen unterstützen? Für mich stellt sich grundsätzlich die Frage, ob man überhaupt immer Kompromisse finden muss. Muss das immer der niedrigste gemeinsame Nenner sein? Wie schafft man es, aus einer Konstellation von Ideen einen Mehrwert zu generieren? Ich bin mir in der politischen Diskussion nicht sicher, ob man sich nur auf einen Kompromiss einigt, der dann drei Jahre trägt, damit irgendwelche Koalitionen funktionieren. Wie kann man das erklären, ohne dass bei den Leuten eine Demokratieverdrossenheit ankommt? Nach dem Motto: »Die streiten ja eh bloß dauernd.«

Berg: Streit finde ich im Grunde etwas sehr Gesundes.

Petschat: Das ist Ihre persönliche Meinung. Die öffentliche Meinung ist anders.

Berg: Oft wird etwas als zerstritten gebrandmarkt, was eigentlich urdemokratisch ist: nämlich dass man Argumente austauscht. Da darf ruhig Emotionalität dabei sein. Ich würde mir eher Sorgen um die Demokratie machen, wenn alles klar wäre. Dann würde ja selbst innerhalb einer Partei keine Diskussion stattfinden. Ich schätze, dass mehr als 90 Prozent von dem, was in Parteien entschieden werden muss, geräuschlos im Konsens verabschiedet wird. Was man in der Zeitung mitbekommt, sind vielleicht fünf Prozent aller Probleme überhaupt. Das jetzt mal zur Ehrenrettung der Politik. Unheimlich viel passiert geräuschlos hinter verschlossener Tür – nicht nur in der eigenen Partei, auch zwischen Koalition und Opposition. Da wird sachlich gearbeitet. Es gibt natürlich auch immer wieder gesellschaftliche Debatten. Außer vielleicht beim Rettungsschirm für die Banken. Da musste man einfach ganz schnell entscheiden. Vielleicht haben wir falsch entschieden, aber es wäre noch fataler gewesen, wenn wir nichts entschieden hätten. Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Was die Debatten an sich angeht, da denke ich immer an die alten Griechen, die zwei Zeitbegriffe hatten – Chronos und Kairos. Chronos ist die Zeit wie wir sie kennen – sprich: Heute Abend ist später als heute Mittag. Kairos bezeichnet den günstigen Augenblick. Ich habe den Eindruck, manche Debatten plätschern so vor sich hin, über Monate, zum Teil auch über Jahre. Irgendwann kommt es dann zur Entscheidung und das kann dann innerhalb kürzester Zeit sein. In Berlin versuche ich deshalb immer meine Kairos-Antennen auszufahren und schaue, wann irgendetwas kurz vor der Entscheidung ist, damit ich dann den Menschen, die bei dieser Entscheidung am wichtigsten sind, eine Botschaft mitgeben kann.

Petschat: Aber ist die SPD nicht deswegen nur bei 20 Prozent, weil sich ihre Diskussionskultur negativ nach außen darstellt? Es ist zum Teil gar nicht mehr nachvollziehbar, wer wie argumentiert. Das kostet die SPD fünf Prozent, meiner Meinung nach.

Berg: Ich gebe Ihnen den Ball jetzt zurück: Zwei Prozent der Deutschen sind Mitglieder in irgendwelchen Parteien. Die politischen Parteien stellen aber 100 Prozent des politischen Personals. Auf München herunter gebrochen bedeutet das: Die Stadt hat 1,2 Millionen Einwohner. Die Münchner SPD hat um die 5000 Mitglieder, wovon mindestens die Hälfte Karteileichen sind. Demnach bedeutet das, dass weniger als ein halbes Prozent der Stadtbevölkerung darüber entscheidet, wer beispielsweise als Kandidat für den nächsten Oberbürgermeister aufgestellt wird, wer in den nächsten Stadtrat kommt usw. Im Stadtrat wiederum wird zum Beispiel entschieden, ob die Stadtwerke privatisiert werden. Das ist für eine Stadt eine wahnsinnig wichtige Entscheidung.

Karin Linge: Das ist genau das, was ich in der Bevölkerung feststelle: Es wird viel geredet, aber niemand mischt sich ein.

Wimmer: Man muss aber doch nicht zwangsläufig in einer Partei sein, um etwas zu verändern. Das geht doch auch außerparlamentarisch, zum Beispiel über Interessengruppen.

Berg: Ich bin froh um jeden, der sich in irgendeiner Form engagiert. Fakt ist trotzdem: Entschieden wird in den Gremien – im Stadtrat oder im Bundestag. Dort sitzt niemand, der nicht Mitglied in einer Partei ist. Als Parteiloser kommt man so gut wie nicht mehr in ein Parlament. Dessen bin ich sicher. Mein Erfolg in der Vergangenheit hängt mit der SPD zusammen. Ein Axel Berg alleine zerreißt nichts und umgekehrt. Politik wird ja auch immer über Personen verkauft.

Petschat: Seit den 90ern wurde die kapitalgedeckte Altersversorgung diskutiert. Dabei wird suggeriert, dass durch Ansparung in der Erwerbszeit ein quasi fester Anspruch auf spätere Rentenzahlungen entsteht, unabhängig von der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung. Das ist nach meiner Meinung ein Trugschluss. Ein Rentenfonds investiert in Firmen, Immobilien usw. und seine Auszahlungen erwirtschaftet er über die Erträge dieser Invests. Diese werden wieder von den zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich Handelnden erbracht. Oder vereinfacht: Was ändert sich beim System der kapitalgedeckten Altersversorgung für den Arbeiter? Ist es nicht egal, ob er die ältere Generation über Rentenbeiträge oder über Dividenden seines Arbeitgebers bezahlt?

Berg: Ich habe den Eindruck, dass Sie die beiden Systeme durcheinander gebracht haben. Das Grundproblem ist doch immer folgendes: Wir können nur in der mittleren Lebensphase Wertschöpfung hinkriegen. Als Kind und später auch als alter Mensch braucht man praktisch jemand anderen, damit man überleben kann. Das Umlagesystem bei den Renten ist eine Erfindung von Konrad Adenauer. Er hat gesehen, es gibt viele ältere Menschen, die kein Geld haben. Daraufhin wurde beschlossen, dass die arbeitende Bevölkerung, die Geld verdient und Wertschöpfung erzeugt, die Alten finanziert. Die alten Menschen aber hatten nie in den Rententopf einbezahlt und trotzdem eine Rente bekommen. Für die erste Generation war das genial, weil sie keinen Cent Beitrag bezahlt, aber trotzdem eine Rente bekommen haben. Seitdem ist das System so, dass die derzeit Arbeitenden ihre Beiträge zahlen. Die Beiträge wandern in einen Topf, aus dem die Renten ausbezahlt werden. In diesem Topf wird kein Geld angelegt. Das Geld wird sofort an die jeweiligen Rentner weitergegeben. Von der Idee her ist in dem Topf immer so viel drin, dass es für die Rentner reicht. Adenauer ging damals allerdings von einigen Grundvoraussetzungen aus, die nicht nachhaltig sind. Adenauers Grundannahme war, dass jeder Arbeit hat. Damals gab es ja auch Vollbeschäftigung, zum Teil gab es mehr Arbeit, als Menschen zur Verfügung standen. Aus diesem Grund hat man ja zum Beispiel auch die Gastarbeiter geholt. Zudem wurde davon ausgegangen, dass es genügend Kinder gibt – pro Kopf ein Kind – und dass die Leute nach Renteneintritt ziemlich schnell sterben. Diese Kriterien haben sich aber heute verändert: Es hat nicht mehr jeder einen Job, die Leute bekommen zu wenig Kinder und die Menschen werden immer älter. Deshalb auch die Rente mit 67 Jahren. Abgesehen davon wurde das System schon immer zweckentfremdet. Das ist das nächste Problem. Der letzte große Missbrauch war nach der Wende, als zirka 15 Millionen Ostdeutsche ins Rentensystem eingegliedert wurden. Keiner der damaligen Rentner hatte aber Beiträge bezahlt. Das ist kein Vorwurf, sie konnten es ja auch nicht. Trotzdem haben aber alle eine Rente bekommen. Und so etwas verbiegt natürlich das System. Dann gibt es noch die Eliteversicherer, mit denen ich ein großes Problem habe. Als Anwalt bin ich zwangsrentenversichert in der Anwaltsversorgung. Das gibt es auch für Ärzte, Apotheker, Architekten usw. Da gibt es eine ganze Menge Einzelversorger. Und diese Versicherungen funktionieren wunderbar. Wenn jetzt als Beispiel die 300 Anwälte, die es in der DDR gab, integriert werden, ist das natürlich kein Problem. Das hat man kaum gemerkt. Aber in der gesetzlichen Rentenversicherung, die ja viel größer ist, da funktioniert das natürlich nicht mehr. Mittlerweile wird ein Viertel des Staatshaushaltes als Zuschuss für die Rente hergenommen, sprich aus normalen Steuermitteln. Damit versucht man, ein System, das nicht nachhaltig und nicht überlebensfähig ist, irgendwie zu retten. Das ist nicht gut.

Wimmer: Das Problem ist doch, dass immer weniger in dieses System einbezahlen. Wenn der Topf immer kleiner wird, dann werden auch die Zuschüsse immer höher.

Berg: Ich fand das kapitalgedeckte System früher eigentlich ganz gut, weil mir das auch in den USA so gut gefallen hat. Da sitzen die Rentner zum Beispiel im Central Park und unterhalten sich über die Wirtschaft. Als dann natürlich die neuen Märkte zusammengebrochen sind und jede Menge ihre Altersvorsorge verloren haben, bin ich auch vorsichtig geworden. Es gibt einfach keine Garantie. Auch wenn man unser Rentensys­tem jetzt umstellen würde, hätten wir eine Verlierergeneration. Und zwar die erste Generation, die es betrifft. Im Grunde sind das wir – die so genannte »Sandwichgeneration«. Denn wir müssen uns heutzutage um die Rentner und um unsere eigene Altersversorgung kümmern.

Wimmer: Deswegen ändert man doch auch das Eintrittsalter der Rente und schiebt es nach oben. Das ist doch im Grunde nichts anderes als eine Rentenkürzung.

Berg: Es läuft oft auf eine Kürzung hinaus. Aber die Leute werden auch immer älter. Die Generation, die heute geboren wird, hat eine errechnete Lebenserwartung von mehr als 80 Jahren. Warum sollen die mit 65 in Rente? Wir müssen versuchen, das ganze System umzustellen. Es gibt im Rentensystem ja drei Säulen: die gesetzliche, die betriebliche und die kapitalgedeckte Rentenversicherung. Die SPD will das Sozialsystem generell langsam umstellen, und zwar von Abgaben auf Steuern. Damit weniger derjenige »bestraft« wird, der arbeitet. Das ist gleichzeitig auch eine Maßnahme gegen das Auseinanderbrechen der Gesellschaft.

Petschat: Warum wird dann nicht gleich eine Grundversorgung eingeführt?

Berg: Das wäre meiner Meinung nach das Sinnvollste. Wie auch immer man das dann nennen mag: Grundgeld oder Bürgergeld usw. Ich bin ein großer Fan des Grundgeldes, also Einkommen ohne Leistung. Dadurch könnte man einen großen Teil des Verwaltungsapparates ein­sparen. Inzwischen wird das Thema von vielen Parteien auch diskutiert. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

Wimmer: Was können Sie aus dem weiten Berlin für Ihren Wahlkreis tun? Gibt es Erfolge aus den letzten Jahren zu verzeichnen?

Berg: Ich bin sicher kein Kirchturmpolitiker, der sich nur um seinen Wahlkreis kümmert. Das geht bundespolitisch nicht. Aber mein Wahlkreis hier in München ist sehr spannend. Denn dieser Wahlkreis ist praktisch ein Spiegel der Welt. Ich habe in meinem Wahlkreis ein halbes Dutzend Dax-Unternehmen, aber auch Armut, schwierige Bevölkerung, Intellektuelle, Künstler, »kleine« Leute usw. Das macht meinen Job auch so anspruchsvoll. Ich bin praktisch die Brücke zwischen dem Wahlkreis und der Regierung. Mit meinem Bus stehe ich zwei Mal pro Woche auf der Straße und habe so unmittelbar Kontakt zu den Leuten. Das Ganze übrigens nicht nur vor einer Bundestagswahl, sondern Woche für Woche, seit elf Jahren. Das macht kein anderer Bundestagsabgeordneter. So bekomme ich auch immer eine unmittelbare Rückmeldung. Mit den Problemen, die mir dann zugetragen werden, gehe ich nach Berlin und spreche mit Fachpolitikern. Ein weiteres Beispiel ist der Transrapid. Den habe im Grunde ich verhindert, denn ich war der erste Mandatsträger in München, der gegen den Transrapid war. Ich habe einen nach dem anderen umgebogen, weil ich davon überzeugt war, dass der Transrapid reine Geldverschwendung wäre. Dieses Thema war für den Münchner Norden, also für meinen Wahlkreis, extrem wichtig. Als einzig direkt gewählter SPD-Bundestagsabgeordneter Bayerns falle ich zudem in Berlin auf. Bayern gilt als komplett schwarz, mit einer kleinen roten Insel. Jeder Minister und jeder Abgeordnete in Berlin weiß, dass es in Bayern eine Besonderheit gibt, und das ist der Münchner Norden. Das gibt mir Macht und Einfluss. Und so kann ich sehr viel bewegen. Ich kämpfe in Berlin dafür, dass die Gewerbesteuer erhalten bleibt. Das heißt, ich kümmere mich auch um Belange, die direkt die Stadt betreffen. Außerdem mache ich in irgendeiner Form bei jedem Gesetz mit und habe Einfluss­möglichkeiten. Und dann gibt es noch die Energiepolitik: Ich bin überzeugt, dass das Thema Energie die größte Herausforderung der Menschheit ist. Uns droht der ökologische Zusammenbruch. Wir Deutsche sind zwar mitverantwortlich für einen eventuellen Zusammenbruch, haben aber auch den Schlüssel zur Lösung in der Hand. Wir sind weltmeisterlich unterwegs, was die Technik für erneuerbare Energien anbelangt. Wir machen die besten Windräder, die beste Photovoltaik, die beste Biomasse usw. Die ganze Welt braucht diese Produkte. Wir sind zudem ein exportorientiertes Land. Ich versuche also weltweite Entwicklungen einzuschätzen und sage dann den Unternehmen vor Ort, wie sie sich vorbereiten sollen. Als Abgeordneter bin ich praktisch eine Art Moderator. Ich habe in Berlin einen großen Zugang zu Informationen. In den letzten zehn Jahren sind im Bereich der erneuerbaren Energien rund 300.000 neue Jobs entstanden. Und hier in München tut sich auf diesem Sektor jede Menge. Wir sind eine Hightech-Stadt und müssen uns an den Zukunftsbranchen beteiligen. Mein Traum ist, dass München eine Energiestadt mit Weltruf wird.

Das Gespräch wurde aufgezeichnet von Simone Bauer und Brigitte Bothen.

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