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Ein Kommentar von Alfons Seeler
Ismaik hat die Schraube überdreht
Konstante beim TSV: die große Leidenschaft der Fans. Foto: Anne Wild
München/Giesing · Jeder Handwerker kennt den Vorgang: eine Schraube lässt sich fest anziehen, doch überdreht man sie, reißt sie ab. Dem jordanischen Investor Hasan Ismaik ist genau das mit seinem Investment beim TSV 1860 München passiert. Sein Forderungskatalog an den Verein geriet derart drastisch, seine Haltung unnachgiebig und sein Auftreten so brachial, dass am Ende das Drehmoment überzogen war.
Man kann den schwerreichen Jordanier emotional durchaus verstehen. Sein Sportspielzeug, das er vor sechs Jahren vergleichsweise günstig erworben hat, kam nie wie gewünscht in Fahrt. Dafür wurde aber der Unterhalt Jahr für Jahr teurer. Trotz immer neuer Kreditmittel und personeller Veränderungen auf allen Positionen, wollte sich kein Erfolg einstellen. Das ist enttäuschend. Für beide Gesellschafter, aber auch für die Fans und Mitglieder der Löwen.
Ausgerechnet in jener Saison in der Hasan Ismaik erstmals die komplette Kontrolle erlangte, er allein regieren durfte, weil Präsident Peter Cassalette mit Zustimmung aller Gremien des TSV 1860 München ihm in jeder Beziehung freie Hand ließ, ereilte die Löwen der Absturz bis in die Regionalliga Bayern.
Erfolge haben bekanntlich viele Väter und Mütter, in der Stunde des Misserfolgs hingegen mag niemand gern verantwortlich sein und wechselseitige Schuldzuweisungen bestimmen das Klagerepertoire. Beim TSV 1860 München treibt diese menschliche Verhaltensweise ganz besondere Blüten.
Der eilig zurückgetretene Cassalette ließ bereits Mitte Mai in einem Gespräch mit der »tz« in verblüffender Ungezwungenheit erkennen, wer seiner Ansicht nach der Misere gefälligst ins Auge blicken solle: »Die Verantwortung hat in erster Linie die KGaA, sie ist ja allein für den Profifußball zuständig.« Natürlich verspüre auch er in seinem Amt einen gewissen Druck. »Aber von Verantwortung würde ich da nicht sprechen. Ich habe ja die für unseren Profifußball relevanten Entscheidungen nicht getroffen. Diesen Schuh will ich mir nicht anziehen.«
Trotz Millioneninvestitionen im Sommer und Winter und mehrfach ausgetauschter Geschäftsführer und Sportdirektoren scheiterte der TSV 1860 München in der Relegation und muss die Liga verlassen. Er sei darüber »sehr enttäuscht«, teilte Ismaik seinen Anhängern via Facebook mit. Schließlich habe man »neben Stuttgart sowie Hannover den teuersten Kader« der Liga geführt. Er - immerhin - werfe sich vor, »sogenannten Fachleuten vertraut zu haben, ohne zu hinterfragen, was mit meinem Geld eigentlich passiert. Hier war ich blauäugig.«
Ein Ex-Präsident, der sich den Schuh partout nicht anziehen will und ein sich von fremden Mächten getäuscht fühlender blauäugiger Investor sind also selbsterklärtermaßen frei von jeder Verantwortung für den Sinkflug der Löwen. Doch wer könnte dann Verantwortung tragen für ein Ereignis, das der ebenfalls zurückgetretene Kurzzeitgeschäftsführer Ian Ayre ein »Desaster epischen Ausmaßes« nannte?
Zum Glück für alle Enttäuschten fand Ismaiks Leib- und Magen-Medium, das Meinungsblog des Ex-Journalisten Oliver Griss »dieblaue24«, in einigen ehrenamtlichen Funktionären des e.V. passende Prügelknaben, die »nicht auf Linie sind«, wie es der Blogger ausdrückt. Ihrer angeblichen Illoyalität gegenüber der gemeinsamen großen Sache sei die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit beim TSV 1860 München geschuldet. Eine groteske Vorstellung.
In einem Reizklima der Angst, des vorbeugenden Gehorsams und der Denunziation entsteht kein gedeihliches Miteinander. Der Versuch, das eigene Scheitern mit einer Kampagne auf den Schultern ehrenamtlich Tätiger im e.V. abzuladen, ist ein perfides Spiel mit den Wünschen, Träumen und Hoffnungen von Fans und Mitgliedern.
Als es darum ging, die finanziellen Mittel für die Saison in der Dritten Liga zur Verfügung zu stellen, mochte der Mitgesellschafter der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA, das Unternehmen HAM International Limited mit Sitz in Dubai, keinen Beitrag mehr zur Finanzierung leisten. Die Annahme liegt nahe, dass Ismaik dachte, in einer Liga außerhalb der Zuständigkeit von DFL und DFB würde innerhalb der Regionalverbände die 50+1-Regel nicht gelten und er könne dort den gesamten Klub organisatorisch nach seinem Gusto ausrichten. Eine Stellungnahme von DFB-Vizepräsident und BFV-Präsident Rainer Koch dürfte dieser Vorstellung einen herben Dämpfer versetzt haben, denn auch in der Regionalliga Bayern hat der Verein das letzte Wort.
Alfons Seeler
Artikel vom 09.06.2017Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp
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