Michael Köllner beim TSV 1860 München freigestellt

»Sehen unsere Saisonziele akut in Gefahr«

Übernimmt Verantwortung: Günther Gorenzel. Foto: Anne Wild

Übernimmt Verantwortung: Günther Gorenzel. Foto: Anne Wild

München/Giesing · Der TSV 1860 München hat seinen Trainer Michael Köllner entlassen. Lange Zeit war es eine echte Liebesbeziehung zwischen dem TSV 1860 München und dem gebürtigen Oberpfälzer. Er schien die Idealbesetzung für den in vielfältiger Hinsicht fordernden Posten des Cheftrainers in Giesing zu sein. Mit Diplomatie, rhetorischem Geschick und Gelassenheit verstand er es, die schnell erregbare Medienlandschaft rund um den Klub und die Emotionen des weiß-blauen Anhangs zu bedienen. Auch die sich nicht immer grünen Gesellschafter wusste Köllner erfolgreich für einen gemeinsamen Kurs zu gewinnen.

Die sportliche Entwicklung geriet rasch nach dem Geschmack seines Arbeitgebers. Unter Köllners fachlicher Anleitung mauserte sich der TSV 1860 zu einem Aufstiegskandidaten. Zahlreiche Nachwuchsspieler wurden in den Kader integriert. Allerdings verpasste man zwei Mal in Folge mit dem vierten Rang knapp den Sprung auf das Podest. Heuer sollte es im dritten Anlauf endlich klappen in Giesing. Doch die Beziehung zwischen Verein und Trainer bekam zunehmend Risse. Nie zuvor in seiner Karriere war Köllner eine mediale Aufmerksamkeit wie in München zuteil geworden. Woche für Woche hingen Presse und Fans förmlich an seinen Lippen. Der Übungsleiter wurde über Nacht zum heimlichen Star des Klubs.

Köllner redete viel und gern. Es folgten zahlreiche Einladungen bis hin zu einem Fanklub von Abgeordneten im Bayerischen Landtag. Die Omnipräsenz blieb nicht ohne Wirkung auf den Übungsleiter. Immer häufiger verließ Köllner nun das ihm vertraute Terrain des Fußballs und referierte ungefragt zu gesellschaftspolitischen Themen. Mal las er dem deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach öffentlich die Leviten und erklärte nach 35 Jahren Mitgliedschaft aus der SPD ausgetreten zu sein oder kritisierte das Justizurteil gegen Boris Becker in England. Dann wieder gab er sich als Freund des umstrittenen WM-Gastgeberlandes Katar zu erkennen und verbat sich die seiner Ansicht nach inflationären Gedenkminuten im Deutschen Fußball.

Fans des TSV 1860 München hingegen erteilte Köllner den Rat, sich im Stadion nicht politisch zu äußern, weil dort kein geeigneter Ort dafür sei. Als unangemessen politisch wertete Köllner das offensive Eintreten der Ultras des TSV 1860 für den Erhalt von »50+1« im Deutschen Fußball und die damit verbundene Kritik an Klubgesellschafter Hasan Ismaik, dessen erklärtes Ziel bekanntermaßen die Abschaffung der Regelung ist. Die anfangs betonte Zurückhaltung in klubpolitischen Fragen gab Köllner spätestens nach dem Ende der vergangenen Spielzeit auf. Das sicherte ihm das Wohlwollen der Investorenvertreter, die fortan nicht müde wurden, ihm ihr grenzenloses Vertrauen auszusprechen. Als Zeichen der persönlichen Zuneigung wurde vor einigen Wochen eine Reiseplanung veröffentlicht. Laut Social Media Kanälen, die dem Investor zugerechnet werden, sollen Ismaik und der sich gläubig gerierende Köllner während einer Begegnung in Dubai eine gemeinsame Pilgerfahrt in den Vatikan zu Papst Franziskus vereinbart haben.

Ein öffentlicher Flirt Köllners mit dem FK Austria Wien im Frühjahr 2021 entpuppte sich im Nachgang als deutlich ernster als vermutet. Nur die Weigerung der Veilchen, die festgeschriebene Ablösesumme für einen vorzeitigen Vertragsausstieg zu bezahlen, soll einen Wechsel in die österreichische Bundesliga verhindert haben. Köllner blieb in Giesing. Im Sommer 2022 wiederholte sich das Schauspiel. Wieder kokketierte der Oberpfälzer, trotz eines bestehenden Vertrags, mit seinem Abschied. Das kam nicht gut an. Weder beim Verein und seinen Funktionären noch bei den Mitgliedern und Anhängern der Weiß-Blauen. Auch Köllners Vorgesetzte, die Geschäftsführer Günther Gorenzel und Marc-Nicolai Pfeifer, wirkten zunehmend genervt vom exzentrischen Auftreten ihres leitenden Mitarbeiters.

Nebenbei gerieten die sportlichen Ergebnisse immer weiter in Schieflage. Zwar wurden die ersten fünf Begegnungen gewonnen, doch seit Monaten spielt der TSV 1860 München nicht mehr wie ein erklärter Aufsteiger. Im Gegenteil, die Bilanz der vergangenen Partien ist die eines Absteigers. Im Winter-Transferfenster sollte deshalb eine Verstärkung an Land gezogen werden. Gorenzel bemühte sich erfolgreich um eine Leihe des ÖFB-Internationalen Raphael Holzhauser. Weil sich das Freigabeprocedere für den in Belgien Beschäftigten zog, sah sich Köllner bei der Rückkehr aus dem Trainingslager veranlasst, am Abfluggate in Antalya mit spitzen Bemerkungen gegenüber wartenden Journalisten Gorenzel zu rügen. Der um Contenance ringende Sport-Geschäftsführer enthielt sich eines öffentlichen Kommentars dazu.

»Ein bissl Zündeln schadet nie, wenn man weiß, wie es gemeint ist«, erklärte Köllner auf Nachfrage vor den Kameras des TV-Senders Magentasport in Mannheim dazu fröhlich. Kurz zuvor war unerwartet Ismaik in München aufgetaucht. Der Jordanier bestellte seine persönlichen Vertreter und die Klubverantwortlichen zu einer Audienz in ein Luxushotel in der Innenstadt. Im Anschluss unter seinem Namen gepostete Social Media-Beiträge ließen Zweifel daran, wer beim TSV 1860 München in Personalfragen die Entscheidungshoheit hat. Köllner schien von Ismaik eine persönliche Jobgarantie erhalten zu haben. Diesem Eindruck trat die Geschäftsführung der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA mit einer als »Stellungnahme zur aktuellen sportlichen Situation« überschriebenen Erklärung entgegen, in der sie betonte, dass »alleine die Geschäftsführung des TSV 1860 München, insbesondere die fachliche Einschätzung des Geschäftsführers Sport, über die Strukturen der Profi-Mannschaft und die Zusammensetzung des Trainer- und Funktionsteams entscheidet«.

Der Auftakt nach der Winterpause geriet zum Fiasko. Zwei von drei Partien gingen verloren. Nun zogen die Verantwortlichen die Notbremse. In einer Mitteilung heißt es: »Der anhaltende sportliche Negativtrend mit vier Punkten aus den letzten sieben Pflichtspielen entspricht unabhängig von der Zielsetzung nicht dem Anspruch und der Erwartungshaltung des TSV 1860 München, insbesondere mit Blick auf das Potential, das in den Spielern und in der Mannschaft steckt.« Die Geschäftsführung habe sich deshalb »nach reiflicher Überlegung und schweren Herzens« dazu entschieden, Köllner mit sofortiger Wirkung freizustellen. Interimsweise übernimmt Gorenzel selbst mit Co-Trainer Stefan Reisinger das Traineramt. Der Österreicher verfügt über die erforderliche Fußballlehrer-Lizenz.

Dem Scheidenden attestieren die Geschäftsführer, er habe langjährig sehr gute Arbeit auf dem Platz und außerhalb geleistet und tiefe Spuren im Klub hinterlassen. Man sehe aber »die Saisonziele akut in Gefahr« und sich deshalb »gezwungen zu handeln«. Weiter heißt es von Gorenzel wörtlich: »Trotz vieler Gespräche und gemeinsamer Aufarbeitung von Problemfeldern hat sich die gewünschte Entwicklung der Mannschaft nicht eingestellt und Muster, die bereits vor der zweimonatigen Winterpause zu erkennen waren, treten immer wieder zum Vorschein.« Diese zu beheben, ist nun nicht mehr Köllners Problem.

(as)

Artikel vom 31.01.2023
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...