Albrecht Ackerland über Konsequenz

„Konsequenz“

Einst war auch ich auf dem Gymnasium. Und hätte es damals schon die achtjährige Variante gegeben, ich hätte gejubelt. Denn mein persönliches G8 hatte ich schon in der zehnten Klasse erreicht. Ich wiederholte diese unsägliche Klassenstufe gerade, war also – ich hatte auch in der achten schon eine Ehrenrunde gedreht – in meinem achten Gymnasialjahr.

Wahrscheinlich hatte ich Wirrkopf geglaubt, acht Jahre sind acht Jahre, dann hab ich´s ja bald geschafft und muss nichts mehr tun.

In dieser Zeit entwickelte sich vieles bei mir und in meinem Umfeld, nur eben kein Verständnis für den Sinn von achsensymmetrischen Figuren, der Struktur von Molekülen oder der Wirkung von Hormonen auf den menschlichen Körper. Dabei betrafen mich gerade diese Hormone sehr. Sie waren Schuld am mangelnden Interesse an Schulbildung, und dem dafür übersteigerten Drang nach zwischengeschlechtlicher Beziehungsbildung.

Ins vollkommene schulische Leistungstief stürzte mich schließlich ein Mädchen aus der Parallelklasse, das fest verbandelt war mit einem stillosen Hauptschüler. Das aber hinderte sie nicht daran, mit konsequenter Regelmäßigkeit ihre Sehnsucht nach mir mittels kleiner Zettelchen zu bekunden. Konsequent war sie aber nur darin, ihr sonstiges Handeln war alles andere als zielgerichtet. Ich war verstört. Und konsequent – im Nichtstun nämlich. Das hatte wiederum Folgen. Ich flog zwar nicht von der Schule, aber mein Flug in die Elfte war schon im April besiegelt.

Ich wäre also einer der Kandidaten gewesen, die das Kultusministerium heute als „am Lernen persönlich gehinderte Schüler“ beschreibt und denen inzwischen mit mehr Nachsicht begegnet wird. Doch geholfen hätte mir die neue Durchfallregelung trotzdem nicht: Ich hatte zwar mehr als einen Fünfer, aber eben nicht weniger als drei. In ungefähr jedem Fach außer Religion und Deutsch wurden die Noten beinahe zweistellig.

Vielleicht hätte mir damals das G8 geholfen, eine Schule in der der Lehrplan „auf das Wesentliche konzentriert“ werden soll. Aber wahrscheinlich wäre auch das sinnlos gewesen, zumindest wenn der Stoiber das eingeführt hätte. Innerhalb von wenigen Monaten den Stoff von neun auf acht Jahre zusammenstampfen, anstatt die Idee wohlüberlegt reifen zu lassen und sie gemeinsam mit allen Beteiligten - vor allem mit den Schülern – umzusetzen, das schaut schwer nach Wirrkopf aus.

Aber die Eile hat einen ganz banalen Hintergrund, das erkenne ich auch nach meinen Ehrenrunden: Würde das G8 etwa erst 2008 eingeführt, würde es für Stoiber schwer, 2006 mit dieser „Elite-Neuerung“ Wahlkampf zu machen. Derweil hat die Schuldauer nichts mit der persönlichen Entwicklung zu tun, schaun’s mich an: Hat mir mein ganz persönliches G11 geschadet? Und falls es Sie noch interessiert: Mit dem Zettel-Girl gab es nicht mal eine LB1.

Artikel vom 13.05.2004
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