Ab 1. Januar wird umgestellt: Rund 58.000 Münchner erhalten das neue Arbeitslosengeld II

„Armutsgrenze wird unterschritten“

Hartz IV soll mehr Leute in Arbeit bringen Fotos: mh

Hartz IV soll mehr Leute in Arbeit bringen Fotos: mh

Der Countdown läuft erst jetzt. Auch wenn das Jahr 2005 offiziell schon begonnen hat – das Hartz IV-Jahr beginnt erst an diesem Montag. Dann erhalten die Langzeit-Erwerbslosen und derzeitigen Sozialhilfeempfänger der Bundesrepublik und in der Landeshauptstadt München zum ersten Mal das neue Arbeitslosengeld II, von Politik und Presse auch zärtlich „Alg II“ genannt.

„Alle Menschen, die bis zum Stichtag am 17. Dezember ihre Anträge eingereicht haben, werden einen Leistungsbescheid erhalten“, versicherte Hans Werner Walzel, der Geschäftsführer der Münchner Agentur für Arbeit (das ehemalige Arbeitsamt) am vergangenen Dienstag. Und das sind gar nicht wenige.

Laut Sozialreferat und der Bundesagentur haben in München etwa 90 Prozent der bisherigen 65.000 Arbeitslosen- bzw. Sozialhilfeempfänger ihre Anträge eingereicht. „Wir sind sehr zufrieden mit der Rücklaufquote“, betonte Walzel. Noch im Herbst wurde eine große Plakataktion gestartet, damit sollten „Alg II“-Berechtigte auf den Stichtag für die Anträge aufmerksam gemacht werden. Rund 58.000 Münchner in 34.000 Haushalten werden somit durch „Alg II“ unterstützt, 3.000 Anträge von bisherigen Arbeitslosenhilfe-Empfängern wurden bis zum Jahreswechsel abgelehnt.

Insgesamt werden zehn Prozent der bislang unterstützungsberechtigten Münchner im Januar leer ausgehen. „Die Schwundquote kommt aus den unterschiedlichsten Gründen zusammen“, erklärte Walzel. „Ich vermute, dass die meisten von ihnen genau wissen, dass ihre Anträge abgelehnt würden. Viele bereiten wohl eine Neuordnung ihrer Vermögensverhältnisse vor, um in den Genuss von „Alg II“ zu kommen.“

Wobei von Genuss nicht wirklich die Rede sein kann. Gerade in einer so teuren Stadt wie München ist es schwer, mit gerade mal 345 Euro monatlich auszukommen. „Dieser zentrale Regelsatz ist in keiner Weise an die Verhältnisse dieser Stadt angepasst“, gab Sozialreferent Friedrich Graffe zu.

„Selbstverständlich wird in einigen Fällen die Armutsgrenze unterschritten.“ In eine neue Wohnung umziehen, weil sie zu teuer ist, muss vorerst allerdings niemand: Sechs Monate lang wird die bisherige Miete von der Stadt weiterbezahlt. Danach müsse nach Lösungen gesucht werden, wenn die Miete die zulässigen Obergrenzen überschreiten sollte, erklärte Graffe. Wer noch keinen Fragebogen ausgefüllt hat, aber dennoch „Alg II“ in Anspruch nehmen möchte, könne auch weiterhin zum Formular greifen. „Jeder Antrag wird genauestens geprüft“, versprach Walzel.

Michael Baab ist künftig dafür zuständig, möglichst viele Menschen über die Anspruchsgrenze zu heben und ihnen Arbeit zu verschaffen. Er ist Geschäftsführer der neuen „Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung München GmbH“. Diese koordiniert ab sofort die Betreuung und Versorgung der Arbeitslosen. Knapp 600 Sachbearbeiter und Arbeitsvermittler werden sich um die bisher 34.000 Haushalte kümmern, die „Alg II“ beziehen. „Wir bieten in den sieben Sozialbürgerhäusern Münchens Arbeitsvermittlung und Fallmanagement an.“

Dazu gehören auch die berüchtigten neuen „Ein-Euro-Jobs“. „Bisher stehen etwa 1.500 Stellen in Krankenhäusern und bei Wohlfahrtsverbänden zur Verfügung“, erklärte Baab. Dabei soll die Arbeitszeit die 30-Stunden-Woche nicht überschreiten. „Die Stellen werden erstmal auf sechs Monate vergeben. Wir möchten ja nicht, dass jemand sein ganzes Leben lang einen solchen Job macht.“

Den Machern von Hartz IV gelten die Ein-Euro-Jobs im Gegenteil als erster Schritt zurück in den Arbeitsmarkt. Dennoch spielen sie eine vergleichsweise geringe Rolle in der Beschäftigungspolitik. „Die Ein-Euro-Jobs sind nicht das primäre Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“, betonte Baab. „Viel wichtiger sind die Fortbildungen und Kurse, die wir anbieten.“ Außerdem sollen in den Sozialbürgerhäusern professionelle Arbeitsvermittler zum Einsatz kommen.

Eine weitere Aufgabe, der sich die Arbeitsgemeinschaft verschrieben hat, ist die besondere Betreuung der Arbeitslosen unter 25 Jahren, etwa 5.000 Personen in München. „Wir wollen diese Leute fördern und fordern“, kündigte Jakob Grau, stellvertretender Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft an. Dazu wird zunächst eine ausführliche Analyse nötig sein. „Wir müssen feststellen, wie diese jungen Leute ausgebildet sind, welche Schulabschlüsse sie haben und welche Schritte unternommen werden müssen, damit sich ihre Beschäftigungssituation verbessert.“ Das alles soll nach konkretem Bedarf und für die individuelle Lage maßgeschneidert stattfinden.

„Die Arbeitsvermittlung ist das Tor aus der Bedürftigkeit“, betonte auch Friedrich Graffe. Doch dieses Tor kann nicht alleine von Sozialamt und Agentur für Arbeit geöffnet werden. „Die Münchner Wirtschaft muss sich an dieser Reform beteiligen“, forderte Graffe. „Ich hoffe auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Politik.“ Auch Hans-Werner Walzel warnte vor zu wenig Engagement seitens der Wirtschaft. „Wenn sich die Münchner Unternehmen dieser Reform verweigern, wird Hartz IV scheitern. Es gibt derzeit einfach zu wenige offene Stellen.“

Unterdessen geht der Protest gegen die Sozialreform weiter: Erst am vergangenen Montag demonstrierten einige hundert Münchner am Siegestor gegen den „Sozialterror“. Und unter dem Motto „Agenturschluss“ haben Arbeitslosen-Initiativen in ganz Deutschland heute zu Protesten aufgerufen, in Nürnberg soll sogar die Bundeszentrale der Arbeitsagentur „lahm gelegt“ werden. Von Meredith Haaf

Artikel vom 30.12.2004
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...