Oktoberfest-Typen im Porträt

Ob Agenturdirndl oder gemeiner Münchner – auf der Wiesn feiert jeder zwei bis zwanzig Mal. Unser Kolumnist Albrecht Ackerland hat ihnen dabei zugeschaut:

Der Münchner

Der Münchner ist zwanzig, vierzig oder sechzig, spricht bestes Münchnerisch – und trägt Jeans. Er freut sich seit Sommeranfang auf die Wiesn. Er weiß, dass der Sommer nur deshalb so schön ist, damit das Warten auf den Anstich nicht so schwer fällt. Wenn der Sommer verregnet ist, ist das auch nicht schlimm, die Wiesn naht ja schon. Er geht am ersten Samstag hin und trinkt – in Ruhe – seine zwei, drei, vier und manchmal auch sechs Maß. Gut ist, wer trainiert hat. Spätestens gegen Ende der Woche nervt den Münchner das Fest, er war schon fünfmal draußen. Hingegangen freilich wird auch noch an den restlichen Tagen, man ist ja nicht zum Spaß ein Münchner. Aber zugegeben: Es gibt auch den Münchner, der einfach nur sei Ruah will (Hochdeutsch: seine Ruhe). Dem sollten sie dann besser sei Ruah lassen.

Das Agentur-Dirndl

Sie ist vor drei Jahren aus Moers nach München gezogen, weil sie einen Job bei einer Werbeagentur bekam. Bis dahin hat sie München gehasst, weil eine Frau von ihrem Niveau Provinzielles nicht mag. Als Münchnerin wird sich das Agenturdirndl auch in hundert Jahren nicht fühlen, die ganze Mentalität ist ihr suspekt. Nur die hohe Designer-Sonnenbrillen-Dichte, die gefällt ihr. Auf die Wiesn geht sie mit den Kollegen aus ihrer Agentur. Dort arbeitet genau ein einziger geborener Münchner: der Hausmeister. Was ihr am Oktoberfest gefällt, ist die Stimmungsmusik, urbayerische Knaller wie »Viva Colonia«. Bier mochte sie noch nie, auf der Wiesn trinkt sie drei Maß, ist danach schwer betrunken und wird ihrem Chef gegenüber ausfällig. Sie trägt ein kitschiges Mini-Dirndl, das so aussieht, wie sich die Moerser Bevölkerung ein Dirndl vorstellt. Genau dorthin schickt sie dann auch Bilder von sich im Wiesnzelt und sieht dabei aus wie Reisende aus dem 19. Jahrhundert, die sich im Bastrock in einem zentralafrikanischen Dorf ablichten lassen.

Der Kasperl

Seine Eltern sind keine Münchner, er ist zwar hier geboren, Bairisch aber spricht er freilich nicht. Wenn er unter dem Jahr jemanden Dialekt sprechen hört, dann denkt sich der Karnevalist: So ein Bauer. Während der Wiesn sagt er auf einmal seltsame Dinge wie »Füati«, und nennt die Bedienung pauschal Resi. Er trägt eine Lederhose, die bei einem Trachten-Set dabei war, das er sich vor ein paar Jahren zur Wiesn gekauft hat, weil das schließlich alle so machen – also Tracht tragen. Er fühlt sich darin immer etwas verkleidet, was man ihm auch ansieht. Dass sein rotes Halstuch und sein barock-bombastisches Rüschenhemd unglaublich lächerlich aussehen und eben auch nichts mit Tracht zu tun haben, das hat ihm noch keiner gesagt. Wer auch? Seine Freunde sehen alle so aus.

Die Familie

Mit der U-Bahn hinfahren, schon von weitem den typischen Geruch schnuppern, gebrannte Mandeln, Zuckerwatte, Autoscooter mit dem Papa, Krinoline mit der Mama, glasierte Früchte, ein halbes Hendl für alle, eine Maß Bier für den Papa, ausnahmsweise einen Spezi, ein wildes Karussell fahren dürfen, schauen, schauen, schauen – ein Oktoberfestbesuch ist ein riesengroßes Erlebnis für Kinder. Solche Wiesn-Momente graben sich mitunter tief in die Erinnerung ein. Nur Vorsicht: unbedingt das Wochenende meiden, und wenn, dann nur sonntagmittags hingehen. Am besten freilich geeignet: die beiden Familiendienstage mit ermäßigten Preisen.

Der Italiener

Wenn selbst in den Seitenstraßen von Wohngegenden plötzlich Staus mit Kolonnen von Wohnmobilen auftreten, dann weiß man: Das Italiener-Wochenende ist da. Traditionell reisen die Freunde aus dem Süden am zweiten Wiesn-Wochenende an und blockieren mit ihren Campern die ganze Stadt, vor allem aber das Löwenbräuzelt. Den Münchner freut’s, denn es gibt immer etwas zu lachen mit den Italienern und ihrer maßlosen Selbstüberschätzung, wie viel von dem starken Oktoberfestbier sie vertragen. Soll aber nicht heißen, das der Münchner sich über den Italiener lustig macht, ist er doch selbst einer: München gilt bekanntlich als die nördlichste Stadt Italiens. Bienvenuto.

Der Vielfahrer

Er verfolgt schon seit Wochen, was die neuesten Wiesnattraktionen sein werden. Zu den Kassenfrauen der Karussells verspürt er eine tiefe Zuneigung. Wenn er Glück hat, erwidern sie diese mit einem Freifahrt-Chip. Vorher hat er aber schon 200 Euro ausgegeben, um immer die gleichen Schleifen, Loopings, Drehungen, Schleudergänge zu erleben. Er hat sein Stammkarussell, ist aber aus Gründen der Forschung auch an anderem Gefährt interessiert. Gerne fachsimpelt er über Beschleunigung, Motorleistung, Kräfte, die auf den menschlichen Körper bei der Fahrt wirken. Von Bierzelten hat er bis jetzt nur gehört.

Artikel vom 20.09.2007
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