Immer mehr Schüler lernen Latein als erste Fremdsprache

München · Tot und quicklebendig

»Salve« statt »hello« und »salut«: Immer mehr Münchner Schüler büffeln Latein als erste Fremdsprache. Collage: clash

»Salve« statt »hello« und »salut«: Immer mehr Münchner Schüler büffeln Latein als erste Fremdsprache. Collage: clash

München · Der neueste Schrei an Münchner Schulen ist eine uralte Sprache: Latein. Die gleichen Kids, die nachmittags MTV gucken, wo coole Stars ihre Songs mit englischen Lyrics performen, büffeln vormittags Texte von Cäsar und Cicero. Aber warum? Denn während ein paar Brocken Englisch, Französisch, Spanisch oder Italienisch im Urlaub weiterhelfen, ist Latein eine tote Sprache.

Das heißt: Keiner spricht sie mehr als Muttersprache. Aber ist sie deshalb nutzlos?

Dagegen spricht allein schon die Statistik: In den letzten sechs Jahren ist die Zahl der »Lateiner« an deutschen Schulen um ein Drittel gewachsen, in Bayern lernt fast die Hälfte aller Gymnasiasten diese klassische Sprache – Tendenz weiter steigend. Am Wittelsbacher Gymnasium in der Maxvorstadt lernen derzeit 520 von insgesamt 612 Schülern Latein, obwohl sie es in höheren Klassen abgeben könnten.

Am Wilhelmsgymnasium im Lehel gab es vor vier Jahren lediglich 42 Neueinschreibungen. Im aktuellen Schuljahr gehen dagegen 110 Schüler in die fünfte Klasse und lernen Latein als erste Fremdsprache. Nicht anders in Schwabing: Am Maxgymnasium hat sich die Zahl der Fünftklässler mit 119 mehr als verdoppelt, auch im benachbarten Oskar-von-Miller-Gymnasium schießt die Schülerzahl nach oben. »Wir mussten dieses Jahr mehr als 30 Kinder abweisen«, berichtet der Schulleiter, Peter Schwartze. All diese und vier weitere Gymnasien in München bieten Latein verpflichtend als erste Fremdsprache an, von Anfang an zur Wahl steht es an sieben weiteren Schulen.

Schwartze glaubt, dass die vielen neuen Schüler wegen Latein an seine Schule strömen. Das sieht sein Direktoren-Kollege vom Wilhelmsgymnasium, Dr. Joachim Hopp, genauso: »Die Schüler kommen wegen Latein«, sagt er, »und die Eltern entscheiden sich ganz bewusst für Latein und für uns«. Das habe eine bundesweite Untersuchung der Humboldt-Universität Berlin ergeben.

»Latein zu lernen steht nicht im Widerspruch zu Englisch, Französisch oder Spanisch«, sagt Schwartze und wehrt sich entschieden gegen den Vorwurf, Schülern mit einer toten Sprache die Zeit zu stehlen. »Im Gegenteil, all diese modernen Fremdsprachen lernt man viel leichter, wenn man erst einmal Latein als Grundlage kennt.« Denn nicht nur romanische Sprachen wie Italienisch oder Französisch stammen von der Sprache der alten Römer ab, auch die heutige Weltsprache Englisch ist stark von Latein geprägt.

Aber auch Fächer wie Deutsch oder Mathematik, ja sogar das logische und abstrakte Denken profitieren davon, erklärt Schwartze, der selbst Latein und Deutsch unterrichtet. Denn die Sprache des alten Rom sei völlig logisch aufgebaut und sehr auf das Wesentliche konzentriert. »Was im Deutschen mit zwei bis drei Zeilen ausgedrückt wird, bedarf im Lateinischen nur vier oder fünf Wörter.« Und nicht zuletzt wird auch die »Sprachkompetenz und Ausdrucksfähigkeit des Deutschen durch den ständigen Vergleich mit dem Lateinischen beim Übersetzten wesentlich gesteigert«, ergänzt Peter Greipel, Fachbetreuer Latein am Wittelsbacher Gymnasium.

Offenbar spielt aber auch PISA eine Rolle. Seit deutsche Schüler in den internationalen Tests nur mäßig abgeschnitten haben, achten Eltern wieder stärker auf die Allgemeinbildung ihrer Sprösslinge, wie viele Lehrer beobachtet haben. Und nach einer Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft bedauern 40 Prozent aller Führungskräfte in Deutschland, in der Schule nicht Latein gelernt zu haben. So ist ein Ende des Booms nicht zu erkennen. Einen Nachteil hat die Entwicklung aber, zumindest einmal im Schuljahr: Denn dann sitzen weinende Mütter und grimmige Väter bei Peter Schwartze im Direktorat – und er muss ihnen erklären, warum er deren Kinder nicht mehr aufnehmen kann. Gecko Wagner

Artikel vom 09.10.2007
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