Jeder 10. Münchner Azubi steckt im Schuldensumpf

München - Sprechen wir über Geld

Haben oder Nichthaben, das ist beim Geld die Frage: Jeder 10. Münchner Berufsschüler hat große Schulden. F.: Archiv

Haben oder Nichthaben, das ist beim Geld die Frage: Jeder 10. Münchner Berufsschüler hat große Schulden. F.: Archiv

Über Geld spricht man nicht, sagt der Volksmund. Das ist natürlich Quatsch, über Geld muss man sprechen – zumindest, wenn man ein Problem damit hat. Eine aktuelle Umfrage unter 1.710 Münchner Berufsschülern hat ergeben, dass 10 Prozent von ihnen Schulden haben, die sie nicht aus eigener Kraft begleichen können. Damit in München keine Generation voller Habenichtse heranwächst, startete das Sozialreferat vor zwei Jahren die Projekte „Cashless“ und „Süßes Leben“, die Münchens Jugend vor der persönlichen Pleite bewahren sollen.

Dass die Stadt sinnvoll in beide Programme investiert, zeigt eine aktuelle Studie: das Institut für Grundlagen- und Programmforschung (GP) hat „Cashless“ und „Süßes Leben“ auf den Prüfstand gehoben und Bestnoten verpasst.

Münchens Berufsschüler zählen zu den Geringverdienern unter der arbeitenden Bevölkerung: im Schnitt verdienen sie 466 Euro netto. Ihre Eltern schießen ihnen durchschnittlich 133 Euro zu. Berufsschüler aber sind nicht nur Geringverdiener, sie sind auch Großkonsumenten: In einer „Liste der Notwendigkeiten“ gaben sie an, 270 bis 450 Euro für Miete zu benötigen, 200 Euro für Essen, 120 Euro für Rauchen, 50 Euro für Pille und Kondome – und so weiter. Insgesamt bräuchten sie einer repräsentativen Umfrage zufolge 1.225 bis 1.580 Euro im Monat. „Dass die Jugendlichen selbst nach Beendigung ihrer Ausbildung, wenn sie mit beiden Beinen im Berufsleben stehen, meist weniger verdienen als sie derzeit glauben zu brauchen, ist schon mal eine erste wichtige Erkenntnis in Sachen Geld“, sagt Dieter Korczak vom GP-Institut, der die Wirksamkeit der Münchner Jugend-Präventionsprojekte untersuchte. „Diese Erkenntnis zu vermitteln, ist Prävention.“

Ein Drittel der Münchner Berufsschüler hat mehr als 20 Euro Schulden, richtig schlimm aber steht es um jeden zehnten von ihnen: So viele sind mit mehr als 500 Euro im Minus. Kreditgeber sind Mama und Papa, die Bank oder Unternehmen, die auf unbezahlten Rechnungen sitzen bleiben. Am erschreckendsten dürfte sein, dass drei Prozent der Berufsschüler bei Handyunternehmen in der Kreide stehen; bei acht der Befragten endete der persönliche Handyvertrag mit einer Rechnung über mehrere tausend Euro.

Die Gründe für die Verschuldung der Jugendlichen sind zahlreich: „Viele von ihnen zeichnen sich durch eine hohe Risikobereitschaft aus. Viele sind unterdurchschnittlich intelligent. Andere haben Minderwertigkeitskomplexe, die durch Konsum kompensiert werden. Oder sie haben schlicht und ergreifend arme Eltern, die ihnen nichts zuschießen können“, sagt Korczak. Helfen können die Schuldenpräventions-Projekte der Stadt München: Sie sollen den Jugendlichen beibringen, finanzielle Dinge im Allgemeinen verstehen und sachgerecht regeln zu können.

Das Projekt „Cashless“ führte in den ersten zwei Jahren seines Bestehens 141 Präventionsveranstaltungen an Münchner Schulen durch. Auf dem Stundenplan standen hierbei Haushaltsgründung, Handykauf und die Wirkung von Werbung. Infos gibt obendrein die Internetseite www.cashless-muenchen.de . Doch nützen all diese Maßnahmen? „Sie setzen zumindest einen Impuls, damit sich Schüler wie Lehrer auf eigene Faust mit dem Thema Geld beschäftigen“, sagt Korczak. „Übrigens wollen die Jugendlichen tatsächlich über finanzielle Möglichkeiten informiert werden, 55 Prozent der befragten Berufsschüler wollen Tipps bekommen, wie sie ihr Geld sparen können. Hier hilft Cashless weiter.“

Die Bereitschaft, bei finanziellen Problemen Schuldnerberatungsstellen aufzusuchen, steige nach den Veranstaltungen auf 40 Prozent. Das zweite Schulden-Präventionsprojekt des Sozialreferats unter Trägerschaft der Caritas setzt früher an: „Süßes Leben“ will die Eltern von Kindergartenkindern dazu erziehen, keine üppigen Kindergeburtstage auszurichten und den Nachwuchs vor unkontrolliertem Fernsehwerbungskonsum zu bewahren. „Eltern werden bei den ‚Süßes Leben’-Veranstaltungen daran erinnert, dass jeder von ihnen nur einen Lieblingsteddy hatte, nur ein Stofftier also, das einen dauerhaft glücklich macht. Fürs Glück braucht man keine 20 Teddys“, sagt Korczak.

77 Prozent der 542 Eltern, die sich durch das „Süße Leben“ haben coachen lassen, beurteilten die Veranstaltung als „sehr gut“, nur 3 Prozent als „schwach“. 67 Prozent würden weitere Veranstaltungen zum Thema Geld besuchen, 79 Prozent werden das Projekt weiterempfehlen. „In jedem Fall führt die Beschäftigung mit dem Thema Geld zu einem bewussteren Umgang damit“, resümiert Korczak. „Wer darüber spricht, macht einen ersten Schritt aus der Verschuldung.“ Von Nadine Nöhmaier

Artikel vom 08.11.2007
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