Wie liest »man« ein Buch? Ganz einfach: Buchstabe für Buchstabe und Satz für Satz und am Ende hat das Gehirn kapiert, was drinsteht.
So funktioniert es im Grunde bei allen Menschen, aber bei manchen geht dieser Vorgang sehr schnell bis zu zehn mal schneller als bei einem durchschnittlichen Leser. »Speed Reading« heißt diese Kunst und ist angeboren. »Man kann es, oder man kann es nicht«, erklärt Moritz Thiele, Abiturient am Vaterstettener Humboldt Gymnasium. Er schreibt gerade seine Facharbeit zum Thema Schnell-Lesen und gründet am kommenden Wochenende mit anderen Interessierten die »Deutsche Gesellschaft für Schnell-Lesen«.
»Mein Vater hat in seiner Firma rein interessehalber mal ein Seminar zu diesem Thema besucht und mir davon erzählt. Zufällig hat meine Deutschlehrerin kurz danach ein Referat zum selben Thema vorgeschlagen da wurde ich neugierig«, berichtet der 18-Jährige. Nun ist daraus die Facharbeit geworden und das ist noch lange nicht alles. Im neu zu gründenden Verein soll Moritz der Ansprechpartner für Schüler und Studierende werden in Sachen schnellem Lesen.
Einer der herausragenden Persönlichkeiten in der schriftlichen Abiturarbeit ist ein Nachbar der Familie. Er erzählte ganz beiläufig, dass er sich immer besonders bemühen muss, wenn er mit seiner Tochter Schularbeiten macht. Bis dahin war für ihn die schnelle Auffassungsgabe ganz normal. »Natural Speed Reader« heißen solche begabten Menschen. Sie können bis zu 10.000 Wörter pro Minute erkennen und verarbeiten. »Normalleser schaffen maximal 600 Wörter pro Minute, und das ist schon richtig gut«, erklärt Moritz.
Aber was geht nun tatsächlich in diesen begabten Köpfen vor? Die Subvokalisation wird ausgeschaltet. Dies versteht man unter dem »inneren Mitsprechen« beim Lesen eines Textes. Normalerweise nimmt man beim Lesen den Sinn der Worte zum größten Teil über diese Subvokalisation auf. Der Schnellleser lässt dabei quasi eine Gehirnwindung aus. Er nimmt die Information visuell auf, alleine über das Wortbild. Die innere Mitsprechgeschwindigkeit limitiert den Normalleser also, da er sich selbst hört und das ist zu langsam.
Kann man dann Schnelllesen lernen? »Nicht wirklich«, sagt Moritz Thiele. »Man kann lernen schneller zu lesen. Übungen zur Imaginationsfähigkeit und zum visuellen Denken helfen dazu. Aber ein gelernter Schneller schafft trotzdem gerade einmal 3000 Wörter in der Minute zu verarbeiten.«
Insofern ist das Lesen-Lernen nach unserem Schulsystem kontraproduktiv zum Speed Reading: Kinder lernen das Zeilenlesen. Die Schule lehrt die obere und die untere Zeile auszublenden.
Schnelles Lesen braucht eine runde Fixation, das bedeutet, mit einem Blick bis zu zehn Wörter aus bis zu fünf Zeilen zu erfassen und zu verarbeiten. Die wissenschaftliche Erklärung ist also der Kreis: das normale Blickfeld des Menschen ist rund. Das Auge ist rund, die Rezeptoren zum Scharfsehen sind auch rund angeordnet.
Diese Kunst des Schnellen Lesens ist in so manchem Beruf von großem Vorteil. Sämtliche Korrespondenz ist viel schneller erledigt. »Nur bei wissenschaftlichen Dokumenten und in Fremdsprachen tun sich auch die Natural Speed Reader nicht ganz so leicht«, erklärt Moritz, »da ist das Wortbild dem Gehirn nicht so geläufig, und dann dauert es ein bisschen länger«.
Schnell-Lesen ist eine relativ unerforschte Wissenschaft. Dies will Moritz Thiele mit seiner Vereinsgründung nun ändern und lädt alle Interessierten, und vermeintlichen Schnell-Leser zur Gründungsversammlung am Samstag, 23. Januar, ein.
Wer ein gebürtiger Schnellleser ist lässt sich übrigens ganz einfach feststellen: mit einem Roman und einer Stoppuhr. Wer wenigstens drei Seiten in einer Minute lesen und begreifen kann, der sollte mit der schnell lesenden Truppe Kontakt aufnehmen, am schnellsten über die Homepage www. dgfsl.de. Stefanie Ederer