20 bis 23 Kilometer war sie lang, zwischen einem und drei Kilometer breit und sie reichte von Ismaning über Haidhausen und Berg am Laim (Lehm!) bis ins Giesinger Oberfeld: die Münchner Lehmzunge. Vor allem im 19. Jahrhundert lieferte der Untergrund der Stadt den Grundstoff für 30 bis 40 Ziegeleien im Münchner Osten und war damit das Fundament des damaligen Booms von 50.000 auf 500.000 Einwohner.
Schließlich brauchten alle Neubürger und Zuagroasten ein Dach überm Kopf und Beton gab es damals noch nicht.
»Die Gebäude, die bis zum Zweiten Weltkrieg in der Stadt gebaut wurden, sind quasi alle aus Lehmziegeln gefertigt«, weiß Willibald Karl, der ehemalige Stadtbereichsleiter Ost der Münchner Volkshochschule (VHS). »Selbst die Frauenkirche. Das war die beste und billigste Lösung.« Und daher ist der 61-jährige Historiker überzeugt: »Ohne den Lehm
daats München net gebn.«
Diesen Spruch hat er auch als Motto für seinen neuen Arbeitskreis gewählt, der beim Stadtjubiläum die Geschichte der Lehmziegeleien beleuchten soll. Zeitlebens schon interessierte sich Karl für Stadtgeschichte: »Das liegt an meiner Familie: Dort wurde immer darüber geredet, warum sich etwas so oder so entwickelte.« So war es keine Frage für ihn, an der Ludwig-Maximilians-Universität bayerische Landesgeschichte zu studieren, wo er schließlich auch promovierte. Von 1986 bis 2004 arbeitete er als Stadtbereichsleiter Ost bei der VHS natürlich mit dem Schwerpunkt Stadtteilgeschichte.
Nebenher schrieb Karl historische Bücher, beispielsweise den vergriffenen Band »Bogenhausen« über die Geschichte vom bäuerlichen Pfarrdorf zum noblen Stadtteil. Und jetzt ist eben der Lehm dran.
Und um den möglichst kompetent zu bearbeiten, will der Historiker Kontakt zu Nachfahren der alten Ziegeleifamilien herstellen. Er ist auf der Suche nach Erinnerungen und Dokumenten, die zeigen, wie ihre Vorfahren gelebt und gearbeitet haben. »Vielleicht haben sie auch Erbverträge oder Fotos auf dem Dachboden aufgehoben?«
Besonders interessiert sich der Stadtforscher auch für die damaligen Saison-Ziegelarbeiter aus Italien: »In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es genau so viele Saisonarbeiter wie Einwohner in Bogenhausen. Schön wäre, bei unseren Recherchen münchnerisch-italienische Liebespaare aufzuspüren.« Wer mit wem zusammen war, könne unter anderem an den Grabsteinen hiesiger Friedhöfe abgelesen werden.
Jeder Spurensucher, der gerne auf staubigen Dachböden kruscht, ist in Karls Arbeitskreis willkommen. »Gerne können auch jüngere Menschen mitmachen, Schüler aus einem Leistungskurs Geschichte etwa«, so Karl.
Der AK Lehm trifft sich das erste Mal am Dienstag, 21. März, 18 Uhr, in der VHS am Rosenkavalierplatz 16. Mehr Infos gibt
es unter Tel. 62 08 20 20
oder per E-Mail über catstone_carl@hotmail.com
Nadine Nöhmaier