Nicht alle Menschen in Deutschland sind im Krankheitsfall ausreichend betreut. Auch Kinder und Jugendliche sind von Versorgungsdefiziten betroffen. In dem Projekt open.med von „Ärzte der Welt“ wurde aus diesem Grund eine pädiatrische Sprechstunde eingerichtet. Sie ermöglicht die ärztliche Betreuung von Kindern und Jugendlichen, die ohne Krankenversicherungsschutz in München leben.
open.med bietet Menschen ohne Krankenversicherung unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Aufenthaltsstatus Zugang zur Gesundheitsversorgung in Form einer öffentlichen Sprechstunde. Hier steht für die medizinische Betreuung und psychosoziale Beratung der Patienten ein Team aus Ärzten und nicht medizinischen ehrenamtlichen Mitarbeitern zur Verfügung.
Im letzten Jahr besuchten knapp 300 Menschen die medizinische Anlaufstelle. Allein 11,4 Prozent davon waren Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Die meisten von ihnen stammten aus den neuen EU-Ländern, vor allem aus Polen und der Slowakei, aber auch deutsche Kinder benötigten ärztliche Hilfe. Um die Versorgung dieser jungen Patienten zu verbessern, bietet open.med seit Mai 2008 speziell eine kinderärztliche Sprechstunde an. Derzeit findet sie jeweils zwei Mal monatlich statt. In dieser Zeit steht ein Kinderarzt in der Anlaufstelle bereit, um akute und chronische Krankheitsbilder der Kinderheilkunde zu diagnostizieren und zu therapieren. Weiterführende technische Untersuchungen können bei Indikation in einer Kinderarztpraxis durchgeführt werden.
„Es ist unvorstellbar – in einer Stadt wie München können sich so viele Menschen keine medizinische Grundversorgung leisten“, sagt Dr. Peter Schwick, Leiter der kinderärztlichen Sprechstunde bei open.med. Derzeit leben in Deutschland nach Angaben von „Ärzte der Welt“ zirka eine Million Kinder in Armut. Der Anteil von Kindern aus Migrantenfamilien ist dabei besonders hoch.
Der kleine A. zum Beispiel, ist acht Jahre alt. Er und seine junge Mutter stammen aus Bulgarien. Seine Mutter ist mit ihm und seinen jüngeren Schwestern allein nach Deutschland gekommen. Derzeit wohnen sie bei Verwandten. Weder Mutter noch Sohn sind in Deutschland versichert. Als der Junge in die Sprechstunde kommt, hustet er stark. Seine Augen sehen fiebrig aus, das Herz schlägt schnell. Die Dolmetscherin hört der aufgeregten Mutter eine ganze Weile zu, bis sie für den Kinderarzt ins Deutsche übersetzt. „Der Kleine ist sehr anfällig. Er hat häufig Infekte. Vor zwei Tagen hat er Fieber bekommen. Jetzt hat er Schmerzen beim Atmen. Die Mutter hat Angst, dass er auch noch seine kleinen Geschwister ansteckt.“ Mit Verdacht auf eine Lungenentzündung verschreibt der Arzt ein Antibiotikum und bestellt den Patienten wenige Tage später zur Kontrolle in seine Praxis ein.
Für Kinderarzt Schwick ist der Bedarf seines Einsatzes offensichtlich: „Gerade wenn die Eltern der Kinder keinen Aufenthaltsstatus haben, ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung schwierig.“ Die Beschwerden der jungen open.med-Patienten entsprechen einer Bandbreite an Diagnosen, die sich von den gesundheitlichen Problemen anderer Kinder nicht auffällig unterscheiden. Einen besonderen Stellenwert nimmt die Prävention ein: Darunter fallen Vorsorgeuntersuchungen und Beratungen, zum Beispiel zur Ernährung. Auch Impfungen werden – gemäß den aktuellen STIKO-Empfehlungen – durchgeführt. Im vergangenen Jahr handelte es sich dabei in der Regel um die empfohlene Fünffachimpfung gegen Diphtherie, Pertussis, Tetanus, Haemophilus influenzae Typ b und Poliomyelitis. Die notwendige Dokumentation erfolgt über einen vom Pädiater ausgestellten Impfausweis.
Mehr als ein Jahr nach Einführung der kinderärztlichen Sprechstunde weiß man bei „Ärzte der Welt“: Es gibt eine ungewisse Zahl an Kindern, die ohne Krankenversicherungsschutz in München leben und die im Krankheitsfall ärztliche Hilfe benötigen. Ziel des Münchner Projekts ist jedoch nicht, eine medizinische Parallelversorgung zu etablieren. open.med sollte lediglich als Notlösung verstanden werden – „als Überbrückung für ein Versorgungsdefizit, das es grundsätzlich auf politischer Ebene zu bewältigen gilt.“