Wilhelmine von Gottstein sitzt in ihrem grünen Sessel und schaut aus dem Fenster. Sie trägt einen grauen Rock, einen rosafarbenen Pullover und eine Perlenkette um den Hals. Ihr Haar hat sie mit einer mit Perlen verzierten Haarspange hochgesteckt, die Fingernägel sind passend rosa lackiert. „Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn man so auf sich achtet“, sagt Stadtrat Josef Assal (SPD). Er hat im Namen von Oberbürgermeister Christian Ude die Glückwünsche der Stadt München überbracht. Denn Wilhelmine von Gottstein feiert heuer ihren 100. Geburtstag.
Wilhelmine von Gottstein wurde am 8. März 1909 als zweite von drei Schwestern in Innsbruck geboren. Ihr Vater besaß einen Kunstverlag, den Alpinen Kunstverlag Wilhelm Stempfle. Er war beruflich oft in München und nahm seine Tochter Wilhelmine mit. „Als ich acht Jahre alt war, stand ich mit meinem Vater auf der Ludwigsbrücke“, erinnert sie sich. „Da war mir klar: Hier möchte ich wohnen.“ Nach der Schule entschied sich Wilhelmine von Gottstein, Fotografin zu werden. „Das kann man immer gebrauchen, habe ich mir gedacht. Außerdem war die Berufsschule für Fotografie in München...“ Also zog von Gottstein mit 16 Jahren in ihr geliebtes München und machte eine Ausbildung zur Fotografin. Nach zwei Jahren kehrte sie nach Innsbruck zurück und arbeitete fortan im Verlag ihres Vaters. „Ich hatte immer viel zu tun“, erinnert sie sich. Unter anderem habe sie Postkarten hergestellt. „Wenn ich mit meiner jüngeren Schwester zusammengearbeitet habe, haben wir immer eine Rekordzeit aufgestellt.“
1938 heiratete Wilhelmine von Gottstein den Straßenbauingenieur Ernst von Gottstein – drei Monate, nachdem sie sich in Innsbruck kennen gelernt hatten. „Mein Mann hat gesagt: 'Wozu warten wir? Ich habe ein schönes Haus...'“ Und so zog das Ehepaar nach Villach in Kärnten, wo die vier Töchter Ingrid (69), Hedda (68), Rotraud (66) und Gudrun (65) zur Welt kamen. Dann bekam Ernst von Gottstein das Angebot, in Südafrika zu arbeiten und die Familie wanderte aus. „Durch die Zeit in Südafrika haben die Kinder Toleranz gelernt“, ist Wilhelmine von Gottstein überzeugt. Drei Jahre verbrachten die Familie in Afrika, bevor sein Arbeitgeber Ernst von Gottstein anbot, beim Aufbau einer Niederlassung in München zu helfen. Um die Reisekosten schneller beisammen zu haben, arbeitete Wilhelmine von Gottstein ein halbes Jahr lang als Fotografin in einem Atelier. Schließlich zogen die von Gottsteins in eine Wohnung in der Widenmayerstraße. Ernst von Gottstein starb 1988. „Er war ein feiner Kerl! Wir haben eine wunderbare, ruhige und herzliche Ehe geführt.“
Wilhelmine von Gottstein lebte bis 1995 in der Wohnung in der Widenmayerstraße. Dann zog sie ins Hans-Sieber-Haus in der Manzostraße um. „Man kann auch in einem Zimmer sehr gut leben“, sagt von Gottstein. „Ich habe hier eine wunderschöne Aussicht. Von ihrem Zimmer aus kann sie direkt in den Garten sehen. „Ein bildschöner Anblick! Ich sitze so gerne da, wenn es schneit“, erzählt die Seniorin. „Das ist so beruhigend.“ Außerdem erinnert der Schnee sie an ihre Zeit als Skifahrerin. „Ich komme aus Innsbruck, da fährt man natürlich Ski!“, sagt sie und lacht. Geschwommen ist Wilhelmine von Gottstein auch. Im Verein. „Wir sind oft zu Wettkämpfen gefahren“, erinnert sie sich. „Aber wir haben nicht in Hotels übernachtet, wie manche Mannschaften heute, sondern in einer Schule, in der Eisenbetten aufgestellt waren.“
Ihr Appartement teilt die 100-Jährige mit unzähligen Teddybären. „Die sind so gemütlich“, sagt sie. „Und ich mag Blumen sehr, sehr gern. Ich muss immer welche haben.“ An ihrem runden Geburtstag hat sie jede Menge. „Es sieht ein bisschen wild aus“, sagt sie, „aber meine Tochter kommt später vorbei und räumt auf.“ Tochter Hedda lebt als einzige noch in München – in Obermenzing – und besucht ihre Mutter jeden Tag. Ab und zu gehen sie gemeinsam zum Italiener Pizza essen. „Aber nur, wenn man im Garten sitzen kann. Dann habe ich Freiheit und Luft um mich herum. Ich sitze nicht gerne drinnen“, sagt von Gottstein. Und: „Ich liebe meinen Balkon! Er ist mein Ein und Alles.“ Ein spezielles Rezept, um 100 Jahre alt zu werden, hat Wilhelmine von Gottstein nicht. „Ich habe Glück, dass ich gesund bin. Das ist schön.“ Und obwohl sie nicht in die Kirche gehe, sagt die 100-Jährige mehrmals am Tag „Danke, lieber Gott“. „Ich bilde mir ein, ich kann ganz gut mit ihm...“