Polizeikurs
Schreien, Stampfen, Treten, Polizisten auf die Nase hauen - das ist hier alles erlaubt, ja ausdrücklich erwünscht. Und so schnellt Nadjas rechter Fuß, die Zehen krallenartig nach unten gekrümmt, im 45 Grad Winkel hoch in Richtung Schienbein. Das Schienbein gehört »dem Belästiger«. »Der Belästiger« heißt Alexander Schwandner und ist der Kontaktbeamte bei der Polizeiwache 41 am Hauptbahnhof. Dass er trotz Nadjas beherzten Attacken nicht vor Schmerz aufheult, liegt an einer Art flachem Boxhandschuh.
Seit zwei Monaten organisiert Schwandner mit seiner Kollegin Susi Teumer einmal im Monat einen »Polizei-Kurs für Zivilcourage und Selbstsicherheit«. Die Idee stammt vom Präventions- und Opferkommissariat der Münchner Polizei, das mit diesen Kursen vor fünf Jahren erstmalig in Deutschland startete und bis heute eine der wenigen Städte mit solch einem Angebot und zudem solch einer Dienststelle ist, wie Dieter Mutz, dortiger stellvertretender Leiter, erzählt. Bei sieben, meist im Münchner Süden, der insgesamt 27 städtischen Polizeiwachen findet dieses Mitmachtraining im Moment statt. Dabei gehe es nicht so sehr um Selbstverteidigung, betont Schwandner, sondern »wie man Gefahren rechtzeitig erkennen kann und wie man sich in brenzligen Situationen verhält, wie man seine Stimme effektiv einsetzt und wo Risikobereiche sein können.«
Das erhoffen sich auch die zehn Frauen und zwei Männer, die an diesem Donnerstagabend bei brütender Sommerhitze vier Stunden in einem kahlen Raum im zweiten Stock der Bahnhofswache, Arnulfstraße 1, verbringen. Sie alle kennen diffuse oder konkrete Ängste und Erlebnisse. Nadja etwa wurde in der dichten Enge einer überfüllten U-Bahn begrapscht. »Sonst nicht auf den Mund gefallen«, sei sie »wie versteinert« sitzengeblieben und habe sich nicht gewehrt.
Belästiger und Opfer stehen sich nun in zwei Reihen gegenüber. Nun darf Nadja den Belästiger spielen. Sie schlendert auf Heike los. Sekundenschnell wandelt sich die zierliche Blondine in eine Furie. Mit lauter Stimme brüllt sie »Stop!«, reisst ihren rechten Arm hoch, und zieht ein grimmiges Gesicht. Ihre Augen funkeln, der Körper ist angespannt. Nadja weicht unwillkürlich zurück. »Ich bin Mutter von drei Söhnen«, meint sie entschuldigend. »Ich kann das nicht«, piepst dagegen Schülerin Kathi, ihre Freundin nickt und lugt schief unterm neckischen Kopftuch hervor. Doch es gibt kein Erbarmen: Jeder muss vor versammelter Mannschaft solange durchdringend schreien und martialisch den Arm hochreissen, bis das einigermaßen überzeugend kommt:
Die Hemmschwellen fallen auch auf Täterseite. »Die ´Beißhemmung´ fehlt zunehmend«, weiß Dieter Mutz von der Präventionsdienststelle. Oft bleibe es nicht mehr bei einer Rempelei, da werde auch noch kräftig getreten, selbst wenn das Opfer bereits bewußtlos am Boden liege. Auch wenn Mutz der Ansicht ist: »Es gibt keine Wegschau-Gesellschaft.«, das sehe man an den eingegangenen Notrufen, vor allem über Handy.
Trotzdem kann Notwehr nicht schaden. Körperliche Selbstverteidigung sollte aber nur eingesetzt werden, »wenn Kommunikation nicht mehr weiterhilft«, betont Schwandner. In so einer Ausnahmesituation gebe es nur ein Ziel: »Sich Zeit verschaffen und die Flucht ergreifen.«
Der nächste Kurs für Zivilcourage und Selbstsicherheit findet am Donnerstag, 31. Juli, von 17.30 bis 21.30 Uhr statt. Er ist kostenlos.
Anmeldung bei Alexander Schwandner, Tel. 54 58 29-26. ms