verbringt drei Monate in England, um seine Sprachkenntnisse zu vertiefen. Dass er es in England mit vielen »Sprachen« zu tun bekommt, hatte er nicht geahnt. Jetzt weiß er, was München und Liverpool miteinander verbindet und dass einen auch das beste Englisch im Zweifelsfall nicht weiterbringt.
Goodbye Germany, England were coming
Philipp auf der Insel - Kolumne: Austauschschüler Philipp berichtet drei Monate lang über seine Erlebnisse und den Unterschieden bzw. Gemeinsamkeiten von Deutschen und Engländern
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Sein Deutsch reicht allenfalls für das Oktoberfest und mein Italienisch höchstens für die Pizzeria um die Ecke. Leandro und ich sitzen nebeneinander im Zug auf dem Weg von einem vorübergehenden Zuhause zu einer wiederum fremden Stadt in einem fremdem Land mit einer fremden Sprache.
Die englische Sprache ermöglicht es uns, gerade eine womöglich lebenslange Freundschaft zu entwickeln andernfalls würden wir uns ziemlich fremd bleiben. Dadurch bekommt das Erlernen der Fremdsprache jetzt für mich einen greifbaren Sinn, und ich bereue keine gelernte Schulbuchseite der letzten knapp sechs Jahre mehr. Auch das Bewusstsein, wie gut der Englischunterricht in der Heimat angelegt ist, erhält man erst, wenn man dem direkten Vergleich zu Nationen aus aller Welt gegenübersteht. Zwei der in meinen Augen ausschlaggebenden Kriterien für die Sprache wurden mir anscheinend in der Schule gut mitgegeben: Grammatik und Vokabular. Das beginnt dabei, dass mir nicht selten drei verschiedene Wörter für die gleiche Bedeutung im Kopf herumschwirren, und endet in der Kuriosität, dass englische Mitschüler im Literatur-Kurs nach Wortbedeutungen fragen. Das Vokabelheft grüßt!
Der entscheidende dritte Punkt, der Wortfluss beim täglichen Ratschen, kommt nur durch »Sprechen, Sprechen, Sprechen«, bis man anfängt, in Englisch zu träumen. Welcher Platz sollte wohl dafür besser sein als die Insel selbst?
Dennoch wird man jeder Bemühung zum Trotz den unverkennbaren deutschen Akzent nicht so leicht los. Drei Gründe sind mir im Laufe der Wochen dafür über den Weg gelaufen: selbstverständlich die Aussprache, die die gewisse Härte und Strenge der deutschen Sprechweise ins Englische überträgt. Ferner die verfehlte Imitierung der englischen Artikulation, die uns zum undeutlichen Sprechen verleitet. Und drittens erzählte mir der Gastvater von Leandro beim Abendessen, dass die Wortwahl an sich selbst bei perfektem und akzentfreiem Englisch von langjährigen Studenten die Herkunft verrät. So seien wir eher amerikanisch orientiert, wählten daher tendenziell das »American English« Wort und neigten zur Bildung von über mehrere Zeilen langen Schachtelsätzen, was ich durchaus auch mache woher das wohl kommt?
Insgesamt bin ich überrascht, in welchem Maß ich schon wie ein sprudelnder Wasserfall spreche, ohne an das Vokabular und die Grammatik in meinem grünen Schulbuch denken zu müssen, aber manchmal suche ich ebenso vergeblich nach dem auf der Zunge liegenden Wort und mal gerate ich nicht minder an den Rand der Verzweiflung, wenn zum Beispiel bei der Bestellung einer Pizza der Haufen Schallwellen am anderen Ende der Telefonleitung nicht in Wörter zu gliedern ist und vier Austauschschüler rätselnd das Telefon von Person zu Person weitergeben. Englisch ist nicht gleich Englisch.
Mittlerweile sind wir erfolgreich in York angekommen und schlendern durch die Yorker Gassen.
Als ich einen Souvenirshop am Fuße der Kathedrale betrete und einem bisher unbekannten Akzent lauschen kann, wird mir klar, was der Witz an einer Sprache ist: die Ausnahmen und Unterschiede von Region zu Region, denen die Muttersprachler in der gleichen Art und Weise wie Austauschschüler ausgesetzt sind und die in Smalltalks neben dem Wetter immer Gesprächsstoff bieten. In zweierlei Hinsicht existieren im Englischen große Unterschiede. Einmal zwischen den drei großen englischsprachigen Regionen United Kingdom, USA und Australien und zum anderen zwischen den vielen Regionen der Insel, die eine wohl einzigartige Akzentstreuung besitzt.
Im deutschsprachigen Raum gibt es einen klaren Sprachunterschied zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz, der sich nicht nur durch differenzierte Betonungen und Vokalbildungen auszeichnet, sondern der auch eigenentwickelte Wörter und Sprechweisen vorzuweisen hat. In der gleichen Art und Weise wie wir für das oft gebrauchte österreichische Wort »leiwand« keine passende Übersetzung parat haben, sind besonders zwischen den durch den Atlantik und die Unabhängigkeitserklärung getrennten Nationen viele kleine, aber feine Unterschiede festzustellen. So heißt es in Britain nicht »vacation« sondern »holiday«, nicht »cookie« sondern »biscuit«, nicht »garbage« sondern »rubbish«, nicht »baggage« sondern »luggage« und auch nicht »store« sondern »shop«.
Die massig existierenden Dialekte hier auf der Insel kommen sich in der Regel nur in der Aussprache »in die Haare«. Ich werfe gerade in einem Café sitzend einen Blick auf die Landkarte der Insel und erhalte meine Vermutung bestätigt, dass die Ausprägung des Dialektes vom Süden in den Norden zunimmt, sodass Norddeutschland mit Südengland und Süddeutschland mit Nordengland verglichen werden könnte. Wenn ein Pendant zum bayrischen Dialekt gefunden werden müsste, käme für mich nur der »zünftige« Liverpooler Akzent in Frage. Bei allen doch sehr erstaunlichen Parallelen kann in einem Punkt Deutschland nicht mitziehen: Britische Dialekte werden bewusst gepflegt, wohingegen sich unsere Dialekte gerade in den Städten leider mehr und mehr dem Alltag entziehen und in Zukunft vielleicht nur noch Angelegenheit für Germanistik-Seminare und Heimatvereine sein werden.
Die Ausnahmen einer Sprache machen den Witz aus. Der Sinn einer Sprache ist die Botschaft, die selbst durch einen italienisch-englischen Akzent, kombiniert mit einem deutsch-englischen Akzent an Qualität nicht im Geringsten verliert. Das Tolle an unserer Weltsprache ist doch, dass Fremde leicht zu Freunden werden. Denn wie Max Frisch richtig sagte: »Worte verbinden nur, wo unsere Wellenlängen längst übereinstimmen.«