Veröffentlicht am 11.03.2015 00:00

Glücklich über ein neues Stück Schwabing


Von red

Die Schwabinger Hof-Flohmärkte sind Vorbild für viele weitere in München, sogar jenseits der Stadtgrenzen. Wir haben die Initiatorin, Dorothee Fichter, zu dieser kultigen Veranstaltung befragt.

Hofflohmärkte in München Kunst & Trödel wechseln den Besitzer, direkt vor der Haustür, im Hinterhof, oder im Garten

Schwabinger Seiten: Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere am Hof-Flohmarkt im Allgemeinen und an dem Schwabinger im Besonderen?

Dorothee Fichter: Das Besondere an den Schwabinger Hof-Flohmärkten ist, dass man den Tag geruhsam angehen kann, denn wir beginnen um 10 Uhr. Man braucht kein Auto und muss die Kisten nur in den eigenen Hinterhof schleppen. Bei uns machen Junge und Alte mit, Einheimische und Eingewanderte – eine bunte Mischung, wie auf einem Basar! Das Besondere an Hof-Flohmärkten insgesamt ist, dass sich der Flohmarkt auf das ganze Viertel erstreckt. Häuser melden sich an, die Bewohner werden Verkäufer und die Hinterhof-Fläche oder der Vorgarten wird Verkaufsplatz. Das fördert den Kontakt in den Häusern. Oft wird nach dem Flohmarkt gemeinsam gefeiert und auch musiziert. So weiß ich, dass ein Hausmeister seine Gitarre auspackte und ein Nachbar holte auch ein Instrument – und dann wurde zur Überraschung aller spontan Musik gemacht.

Die Schwabinger Hof-Flohmärkte sind die ältesten in München. Seit dem Jahr 2000 initiiere ich als Leiterin der Nachbarschaft Schwabing in der Seidlvilla, diese Aktion, habe Kontakt mit den Hausgemeinschaften und koordiniere die nachbarschaftliche Aktion. Weil ich die Idee der Hof-Flohmärkte so genial finde, gebe ich auch freimütig Auskunft, was zu beachten ist. Inzwischen gibt es in Münchens Stadtteilen zahlreiche Hof-Flohmärkte, Vorbild in München sind unsere Schwabinger Hof-Flohmärkte. In Nürnberg gibt es regelmäßig Hof-Flohmärkte, die auch auf das Schwabinger Muster zurückgehen. Der Stadtteil Mariahilf in Wien hatte unser Vorbild übernommen. Leider werden nur wenige Hof-Flohmärkte in München von Bürgern oder Organisationen aus dem eigenen Stadtviertel organisiert.

Gab es auf Ihrem Flohmarkt schon mal einen außergewöhnlichen Fund, vielleicht einen Fall für »Kunst & Krempel«?

Dorothee Fichter: 2009 war Gruschka's Kunst- und Trödeltouren auf den Schwabinger Hof-Flohmärkten unterwegs und fand unter anderem ein originales Michelin-Männchen, eine mechanische Stechuhr K29 aus den 1950er-Jahren und einen Pharus Stadtplan Berlin aus den 20er- oder 30er-Jahren. Nebenbei entdeckte Gruschka wunderschöne Häuser und verwunschene Hinterhöfe. Ebenso Häuser, in denen Schriftsteller, Maler oder Politiker wohnten. Und Häuser, in denen heute bekannte Persönlichkeiten leben oder arbeiten.

Der BR besuchte 2010 die Schwabinger Hof-Flohmärkte und titelte die laVita-Sendung: Das Schwabinger Gefühl. Ein Fund ist eben auch das Flair, die Atmosphäre – und die ist enorm entspannt und fröhlich bei den Schwabinger Hof-Flohmärkten. Auch heute kann man Entdeckungen machen! Einfach mal losziehen!

Können Sie sich an eine besondere Begebenheit auf Ihrem Flohmarkt erinnern?

Dorothee Fichter: Wir erleben ganz Unterschiedliches auf den Schwabinger Hof-Flohmärkten. Eine Mutter, die ein schickes Kleidungsstück fand, informierte per Handy ihre Tochter. Sie kam prompt vorbei, probierte und kaufte.

Nonnen, die in einem Altenheim arbeiten und dafür billige Vasen suchen. Da sehen wir, welche Not manche Menschen und auch Organisationen haben – und wir haben teilweise so einen Überfluss. Ich erinnere mich auch an Männer und Frauen, die sich völlig erschöpft und mit vollen Taschen am frühen Nachmittag auf einem Stuhl niederlassen und traurig sind, weil sie nicht alle Höfe in Schwabing besuchen können: Was sie wohl verpassen in den nicht besuchten Höfen?

Einige sind in erster Linie an den interessanten Hinterhöfen interessiert, die oft verschlossen, aber am Tag der Hof-Flohmärkte geöffnet sind. Sie entdecken dabei idyllische, grüne Oasen, kommen mit den Bewohnern ins Gespräch, fragen nach freien Wohnungen, und sind glücklich, dass sie ein neues Stück Schwabing kennengelernt haben.

Wie erleben Sie die Menschen auf Ihrem Flohmarkt?

Dorothee Fichter: Die Menschen sind fröhlicher Stimmung, es ist friedlich, man genießt das Leben… Kinder sind oft dabei, ob im Kinderwagen oder an der Hand: Die Hof-Flohmärkte sind etwas für die ganze Familie. Diese entspannte Atmosphäre ist sehr attraktiv für die Besucher, aber auch die Verkäufer genießen das Gespräch, das Treiben in den Höfen, die Zeit miteinander. Es gibt Stammbesucher. Die wissen, in dem und dem Hof gibt es alte Tischwäsche – und dann kommen sie jedes Jahr und schauen. Und falls die Frau hinter dem Stand nicht mehr da ist, dann wird gefragt: Ist was passiert? Ist sie krank? Es sind viele persönliche Kontakte entstanden – das ist wirklich etwas Besonderes!

Wie wichtig ist Handeln und Feilschen auf Ihrem Flohmarkt?

Dorothee Fichter: Handeln und Feilschen gehört auf jeden Fall dazu. Sonst wäre es wie im Kaufhaus. Beim Feilschen kommt man auch ins Gespräch und oft auch noch auf ganz andere Themen. Das macht erst den Charme der Flohmärkte aus. Man kommt sofort ins Gespräch. Es ist etwas Spielerisches dabei, wenn man miteinander handelt und man kann großzügig oder kleinkariert sein. Besonders schön ist es ja auch, wenn man Menschen, die nicht viel Geld haben, mit dem Preis auch wirklich entgegenkommen man. Schade ist, dass viele Käufer kaum mehr etwas bezahlen wollen: 50 Cent oder 1 Euro. Den Käufern – auch denen, die sichtbar vermögend sind – ist es immer noch zu teuer.

Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. Ein Flohmarkt steht diesem Trend entgegen und wird erfreulicherweise sehr stark angenommen. Worauf führen Sie das zurück, wenn doch eigentlich jeder immer alles neu haben möchte?

Dorothee Fichter: Ich glaube, auf dem Flohmarkt merkt man, welche Geschichten die Dinge haben: eine persönliche Bedeutung, eine Kindheit oder Urlaubserinnerung. Dem Verkäufer fällt es vielleicht gar nicht leicht, sich von dem Gegenstand, z.B. von einem alten Fotoapparat, zu trennen. Der Käufer kauft dann etwas Besonderes: Er kauft einen Gegenstand mit Vorleben – was hat der Fotoapparat wohl schon alles erlebt? Das sind Momente, die im normalen Konsumverhalten nicht vorkommen. Aber wir haben wohl alle ein wenig Sehnsucht danach, dass Gegenstände nicht einfach als wertlos weggeworfen werden.

north