Der TSV 1860 München hat ein turbulentes Jahr 2018 hinter sich. Die Münchner Wochenanzeiger sprachen mit Vereinspräsident Robert Reisinger über seine Eindrücke und Erfahrungen aus den vergangenen zwölf Monaten.
Herr Reisinger, wenn sie an die vergangenen zwölf Monate denken, was fällt Ihnen zuerst ein?
Im Profifußball natürlich die Meisterschaft in der Regionalliga Bayern und die anschließend gewonnene Aufstiegsrelegation gegen Saarbrücken. Aber auch die Aufbruchsstimmung rund um den TSV 1860 München.
Sind Sie mit dem Ergebnis zur Winterpause in der Dritten Liga zufrieden?
Mit dem einstelligen Tabellenplatz auf jeden Fall. Das ist für einen Aufsteiger schon in Ordnung. Die sportlich Verantwortlichen haben sich, glaube ich, selbst etwas mehr erhofft. Nicht zuletzt wegen der Spieler, die im Sommer zusätzlich zum ursprünglich geplanten Budget angeheuert wurden. Aber dazu fehlte in manchen Partien einfach auch das nötige Spielglück. Wir müssen uns in Geduld üben.
Es gibt Kritiker, die dem TSV 1860 München einen einfallslosen, wenig filigranen Spielstil vorwerfen.
Ach ja? Wer denn? Konsolenzocker und Champions-League-im-Fernsehen-Schauer ohne Kenntnis von der Realität in der Dritten Liga? Ich hab für dieses Expertentum kein Verständnis.
Es wird beispielhaft auf Karlsruhe und Unterhaching verwiesen.
Das sind Mannschaften, die über einen längeren Zeitraum wachsen konnten, keine Liganeulinge. Ich wiederhole mich: wir sollten uns in Geduld üben. Unsere Drittliga-Truppe ist jetzt ein halbes Jahr zusammen. Ich habe Vertrauen in die sportlich Verantwortlichen.
Manchen galt der TSV 1860 als Geheimfavorit in der Dritten Liga, es wurde sogar vom Durchmarsch geträumt
Geträumt ist der richtige Ausdruck. Mir ist eine Entwicklung, die Schritt für Schritt geht und auf einem tragfähigen Fundament ruht, lieber. Auch wenn das etwas länger dauert. Von Träumereien habe ich genug. Wer Parolen wie die vom direkten Durchmarsch in die Welt setzt, schadet dem Verein.
Aber die Dritte Liga gilt als wirtschaftlich außerordentlich schwierig. Die chronische Unterfinanzierung zwingt Jahr für Jahr Klubs in die Insolvenz. Wie will der TSV 1860 in dieser Liga überleben?
Die Insolvenzen in der Dritten Liga haben nach meiner Kenntnis ganz unterschiedliche Gründe. Manche haben sich bei Stadionprojekten stark verhoben. Andere kommen aus strukturschwachen Regionen, finden dort nur schwer Sponsoren. Wieder andere sind vielleicht einfach zu klein für Profifußball verlieren sie ihren Gönner, ist nichts mehr übrig. Viele Vereine gehen beim Spieleretat zu hohe Risiken ein, geben mehr aus als sie einnehmen. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Diese Realität wollen unterschiedliche Akteure auch bei uns immer noch nicht wahrhaben. Der Fußball lebt von Träumen bis die Blase platzt.
Niemand will in der Dritten Liga bleiben.
Ich auch nicht. Wir wollen und wir werden in absehbarer Zeit wieder in die Zweite Bundesliga zurückkehren. Aber mit wirtschaftlich vertretbarem Handeln. Wobei die Dritte Liga von heute nicht mehr mit der von vor zehn Jahren vergleichbar ist. Die Liga hat mittlerweile deutlich an Attraktivität gewonnen.
Von den damaligen 20 Gründungsmitgliedern spielen heute neun im Amateurbereich, sechs in der Zweiten Liga und einer aktuell in der Bundesliga. Braunschweig ist von der dritten in die erste Liga marschiert und wieder zurückgefallen am Saisonende geht es für die Eintracht möglicherweise sogar in die Regionalliga.
Das zeigt die hohe Dynamik in der Liga. Niemand scheint dort für immer gefangen.
Das Überleben unter Profibedingungen unterhalb der Ersten und Zweiten Bundesliga ist ziemlich schwierig. Kaum einer schafft in der Dritten Liga eine schwarze Null.
Der TSV 1860 hat das auch in der Zweiten Liga nie getan. Die Bilanz aus der letzten Zweitligasaison 2016/2017 ist für jedermann im Bundesanzeiger einsehbar. Für mich ist das ein Dokument des Grauens und der Unvernunft. Am Ende stand der Totalabsturz. Aber es folgte auch ein Neubeginn, bei dem wir die alten Fehler nicht wiederholen dürfen.
Wie soll das gehen?
Es braucht nicht zwingend einen Spitzenetat, um eine schlagkräftige Mannschaft zusammenzustellen, wenn man sein Handwerk gut versteht. Andere Vereine machen uns das vor. Wir sind nicht zufällig in der Relegation an Jahn Regensburg gescheitert. Ich glaube an die sportlich Verantwortlichen bei uns die können das auch. Wenn sie die nötige Zeit dafür bekommen.
Nach dem Aufstieg hatte Trainer Daniel Bierofka aber Zweifel, ob die Mannschaft tauglich für die Dritte Liga wäre und hat bei Hasan Ismaik um mehr Geld gebeten, um zusätzliche Spieler holen zu können
Das sehe ich anders. Unser Mitgesellschafter wollte nach der Meisterschaft in der Regionalliga wieder Teil der Erfolgsgeschichte des TSV 1860 München sein und seinen Namen nicht nur mit dem Absturz verbunden wissen wollen. Bierofka und Gorenzel sollten ihm dabei helfen so der Plan. Er hat deshalb freiwillig ein zusätzliches Budget aufgerufen. Emotional konnte ich das zu dem Zeitpunkt durchaus nachvollziehen.
Sie haben dem Deal dann auch entgegen Ihrer ursprünglichen Ankündigung, kein Geld auf Kreditbasis mehr annehmen zu wollen, zugestimmt.
Was sollte ich tun? Praktisch sind die Genussscheine erst relevant, wenn das Unternehmen Gewinn macht. Hätte ich in der damaligen Situation auch das kategorisch abgelehnt, wäre das Präsidium politisch tot gewesen. Bierofka galt den Medien beinahe als Heiliger und hat offen mit seinem Abschied kokettiert, wenn die Mittel nicht angenommen worden wären.
Die Rolle Bierofkas und Gorenzels bei diesem Spiel muss aus Ihrer Sicht doch eine mindestens befremdliche gewesen sein?
Ich glaube nicht, dass die beiden in jedem Moment verstanden haben, was da gerade passiert. Sie wollten das Beste für sich und den Klub und dachten, sie könnten den Tiger reiten. Aber auch sie haben ihre Lektion gelernt. Man muss sehen, wäre alles gut gelaufen, hätte das sogar zum Umschwung führen und ein neues Kapitel in der Beziehung der Gesellschafter aufgeschlagen werden können. Aber am Ende war es das gleiche Gezerre wie immer. Als es darum ging, den großen Worten Taten folgen zu lassen, mussten wir wieder zittern und mahnen und am Ende wurde das verspätete Einhalten eines lange gegebenen Versprechens von den Vertretern unseres Mitgesellschafters noch zur menschlichen Großtat stilisiert. Das Ganze auf dem Rücken von Mitarbeitern. Wie soll ich dazu applaudieren?
Sie haben daraufhin ihr Mandat als Aufsichtsrat der KGaA zurückgegeben und in einer öffentlichen Erklärung an die Mitglieder Meinungsverschiedenheiten als Begründung angegeben
Ich habe nicht von Meinungsverschiedenheiten gesprochen.
Wovon dann?
Es geht schon um mehr. Meinungsverschiedenheiten kann man diskutieren. Dafür sind Gremien schließlich da. In diesem Fall geht es jedoch schlicht um Unvereinbarkeiten. Die muss man deutlich machen. Das kann ich aber nicht, wenn ich gleichzeitig im Aufsichtsrat der Tochtergesellschaft sitze und zur Verschwiegenheit über die dort erläuterten Vorgänge verpflichtet bin. Jetzt lasse ich mir berichten und dann können wir im Präsidium dazu eine Haltung einnehmen, die unsere Mitglieder auch nachvollziehen können.
Es gibt Stimmen die sagen, der TSV 1860 wird in der Dritten Liga finanziell ins Risiko gehen müssen, wenn der erneute Aufstieg wahr werden soll.
Nein, das muss er nicht und das darf er auch gar nicht. Das Unternehmen muss sich stattdessen durch Einnahmen aus Transfers, Sponsoring, Werbung, TV-Geldern und Zuschauereinnahmen selbstständig tragen. Daran führt kein Weg vorbei.
Höhere finanzielle Mittel erhöhen die Wahrscheinlichkeit auf sportlichen Erfolg. Sie sind aber keine Garantie dafür. Selbst finanziell solide Klubs mit einer guten Ausstattung und einem eigenen Stadion wie etwa der FC Ingolstadt, von dessen Profitochter 20 Prozent Audi gehören, sind nicht davor gefeit, sportlich abzusteigen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir die Schanzer nächstes Jahr in der Dritten Liga spielen sehen. Das eindrücklichste Beispiel dafür, dass hoher finanzieller Einsatz nicht automatisch mit sportlichem Erfolg zusammenfällt, sind aber wir selbst.
Durch unseren Mitgesellschafter kann der Saisonetat in der Dritten Liga jederzeit erhöht werden in Form eines Sponsorings. Der TSV 1860 München genießt eine außergewöhnlich hohe überregionale mediale Aufmerksamkeit und bietet einen entsprechenden Gegenwert.
Wenn aber immer die besten Spieler verkauft werden müssen
Das ist doch eine Binsenweisheit. Wann in den vergangenen 15 Jahren hat denn bitte der TSV 1860 jemals seine besten Spieler nicht verkauft? In der Branche fressen die Großen die Kleinen, das ist nun mal so und Teil des Geschäfts. Durch vernünftiges Wirtschaften, geschickte Transfers und intelligentes sportliches Handeln kann man dennoch Substanz erzeugen. Der TSV braucht Mitarbeiter, die diese Herausforderung annehmen und ich wünsche mir, dass Daniel Bierofka und Günther Gorenzel in diese Rolle hineinwachsen. Ich traue ihnen das zu. Sie können hier eine Ära prägen.
Was lässt Sie denn annehmen, dass eventuelle Transfergewinne auch tatsächlich wieder in die Mannschaft reinvestiert werden können und nicht zur Tilgung von Schulden bei der HAM International verwendet werden müssen?
Darüber müssen wir offen sprechen, wenn es soweit ist. Sollten damit Schulden getilgt werden, ist das Geld auch nicht rausgeworfen. Aber unser Mitgesellschafter ist selbst Kaufmann und wird sein Unternehmen nicht ausbluten lassen. Schließlich will er seine Anteile wieder im Wert steigen sehen.
Die KGaA wird ohne zusätzliche Zahlungen aus Abu Dhabi einen harten Sparkurs fahren müssen.
Die KGaA muss sich restrukturieren und das tut sie auch. Das ist Aufgabe der Geschäftsführung. Wir werden sie als Verein dabei bestmöglich unterstützen.
Wollen Sie Hasan Ismaik hinausdrängen, wie seine Agentur auf Facebook schreibt?
Nein, das kann ich auch gar nicht. Unserem Mitgesellschafter gehören 60 Prozent des gemeinsamen Unternehmens. Er ist ein unbestrittener Teil des TSV 1860 München. Ich hab das nie anders kommuniziert. Hinter solchen Mitteilungen steckt der Versuch, das Präsidium als Vereinsvertreter zu diskreditieren. Wir werden vermutlich noch einige Kampagnen in der Hinsicht erleben. Ich mach mir da keine Illusionen.
Was ich als Vertreter des Vereins von Hasan Ismaik und seinen Handlungsbeauftragten will, ist überhaupt nicht kompliziert: das verlässliche Einhalten gegebener Zusagen und getroffener Vereinbarungen rechtzeitig und ohne, dass erst eine öffentliche Affäre daraus werden muss. Wenn das gewährleistet ist, bin ich der Erste, der die Hand reicht und die Vergangenheit Vergangenheit sein lässt.
Interview: Alfons Seeler
Robert Reisinger (55) ist seit Juli 2017 Löwen-Präsident und löste Peter Cassalette nach dessen Rücktritt ab. Von Juli 2015 bis Juni 2017 war Reisinger Mitglied im Verwaltungsrat des Vereins, davor war der gebürtige Münchner zwischen 2009 und 2013 Abteilungsleiter Fußball.