Junge Leute, die – einerlei, ob durch eigene Schuld oder durch widrige Umstände – in Schwierigkeiten geraten sind, brauchen Schutz und Hilfe. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der „Flexiblen Jugendhilfe München” am Westpark wissen, worum es geht und was zu tun ist, wenn „Halb- oder Viertelstarke” „eine dicke Lippe riskieren”, ihre Muskeln spielen lassen oder „mit der Polizei Kontakt” bekommen haben. Unter dem Dach der Diakonie am Westpark finden solche „Rabauken” ein Zuhause auf Zeit. Seit Ende vorigen Jahres wohnen acht junge „Männer” im Alter von dreizehn bis siebzehn Jahren – die das Leben aus der Kurve getragen hat – mit ihren Betreuern in der Kreuzeckstraße 10 in einem von der Diakonie angemieteten Neun-Zimmer-Haus.
Die Kreuzeckstraße ist eine ruhige, überschaubare Wohnstraße, in der jeder jeden kennt. Elf Einfamilienhäuser und zwei Doppelhaushälften säumen das Sträßchen, das nach rund 150 Metern als Sackgasse endet. Für viele eingesessene Familien ist es mit der Ruhe vorbei, seit die „stationäre Einrichtung der Jugendhilfe“ ihre Türen geöffnet hat. Sie fühlen sich ihres „Lebens nicht mehr sicher”, sehen ihr Hab und Gut in Gefahr. Die Liste mit Beschwerden über „Auffälligkeiten“ der einquartierten jungen Leute ist mehr als fünf Seiten lang. Sachbeschädigungen, Ruhestörungen, verbale Attacken, Versuche sie einzuschüchtern und Raufereien werfen Anwohner den ungebetenen neuen Nachbarn vor. Immer wieder rufen sie deshalb die Polizei in das gut bürgerliche Wohnviertel im Stadtteil Sendling-Westpark. „Wer schützt uns?“ fragen sie. Und tragen vor, es könne „nicht angehen”, dass allein die Schutzbefohlenen der Diakonie Fürsorge und Hilfe erwarten dürfen. Ihre Kinder hätten auch Anspruch auf Schutz und Geborgenheit. Der sei aber nur gewährleistet, wenn die Schutzstelle „sozialverträglich belegt” werde.
„Es wird randaliert und es gibt Schlägereien.“ Erklären die unmittelbaren Nachbarn der Schutzstelle, Reinhard und Irene Kraus sowie Helmut und Christa Neumaier und ergänzen, dass sie das nicht länger hinnehmen wollen. „Das spielt sich alles auf der Straße vor unserem Haus ab, denn ‘die’ gehen hier zur Tram an der Westendstraße vorbei.“ Anders als die Nachbarn, die am Ende der Straße wohnen und „das nicht so mitkriegen“, fühlen sie sich bedroht. Polizeieinsätze habe es gegeben. „Einmal sogar nachts mit Hundestaffel.” Für sie ist klar: „Das sind gewaltbereite Jugendliche.“
„Angst“ ist das am häufigsten benutzte Wort, wenn sie berichten, was sie mit den Jugendlichen der Schutzstelle erlebt haben. Reinhard Kraus: „Kinder der Anwohner trauen sich nicht mehr nach Hause! Anwohner haben Angst, wenn sie das Haus verlassen. Das ist nicht mehr lebenswert.“ Helmut Neumaier: „Ich bin hier geboren, aber ich fühle mich nicht mehr wohl.“ Seine Frau Christa sorgt sich um die Enkel: „Wir sind gezwungen, sie abzuholen, wenn sie zum Beispiel beim Sport waren, um sie zu schützen, weil sie sonst angepöbelt werden.“ Sie mag die Enkel „in diesem Umfeld nicht aufwachsen sehen“. Irene Kraus drückt ihr Unbehagen so aus: „Man hat schon Angst, wenn man sie sieht. Ich gehe ungern raus, wenn ich weiß, dass ich ihnen begegnen werde.“ Nein, es fehle ihnen nicht an gutem Willen. Sie seien schon gar nicht grundsätzlich gegen solche Einrichtungen. „Wir haben große Hochachtung vor dem, was die Sozialarbeiter leisten.“ Aber: „Die Jugendlichen sind höchstens drei Monate in dem Haus. In so kurzer Zeit können keine sozialen Kontakte entstehen.“
Diakonie, Polizei, Bezirksausschuss und Sozialreferat versichern: „Wir nehmen die Sorgen der Anwohner sehr ernst.“ Der BA Sendling-Westpark lud die Beteiligten zu einem „Runden Tisch”. Dabei wurden die Beschwerdeführer aufgefordert, jede Art von „Fehlverhalten“ der Jugendlichen sofort der Heimleitung zu melden. Kommentar eines Nachbarn: „Das einzige Ergebnis des Runden Tisches ist ein neuer Runder Tisch.“ Ingrid Notbohm (SPD), Vorsitzende des BA Sendling-Westpark, hatte ein weiteres Gespräch dieser Art für den Juni vorgeschlagen. Denn das Lokalparlament habe nicht darüber zu befinden, ob die Unterkunft weg müsse: „Wir können das nicht beschließen.“
Der Leiter der Polizeiinspektion (PI 41) Laim-Hadern, Dieter Zitzler-Ant, betont die enge Zusammenarbeit mit der Jugendschutzstelle. „Wir versuchen zu vermitteln.“ Neuerdings werde die Straße bei Streifenfahrten intensiver kontrolliert als zuvor. Er hat festgehalten, dass, seit es die Jugendschutzstelle gibt, 16 bis 17 Polizeieinsätze stattgefunden haben. „Bis auf drei oder vier Fälle waren das keine Einsätze, die mit einer Gefährdung im Umfeld zu tun hatten“, erklärt der Beamte. Einmal sei es um eine Rauferei der Jugendlichen untereinander gegangen. Ein anderes Mal habe eine Gruppe anderer Jugendlicher mit denen von der Schutzstelle eine Schlägerei angefangen. Bei einem weiteren Einsatz sei ein Diebstahl im Büro der Heimleitung zu klären gewesen. Der Inspektionschef bestätigt, dass drei Jugendliche aus der Schutzstelle am 22. März im U-Bahnhof Westendstraße einen 15-Jährigen überfallen und ihm einen i-Pod abgenommen haben.
Die Leiterin der Schutzstelle, Miriam Egeler, nimmt „ihre” Jugendlichen in Schutz. „Sie sind noch nicht dadurch aufgefallen, dass sie Kinder angegriffen hätten.“ Und sie betont: „Wir wollen nicht, dass Jugendliche oder Kinder in dieser Straße in Angst leben müssen.“ Ihr Kollege Andreas Dexheimer, Bereichsleiter im Diakoniewerk und sie wollen alles daransetzen, dass sich die „Kontrahenten” persönlich kennenlernen. Dexheimer sagt, die ihnen anvertrauten jungen Leute „sind keine Monster. Es sind Jugendliche, die misshandelt und missbraucht wurden, die Schutz suchen.“ Er weiß: „1,90 Meter große 16-Jährige mit ins Gesicht gezogener Baseballkappe sehen nur anders aus als die anderen Menschen in dieser Straße.”
Die betroffenen Nachbarn bleiben dabei: „Das ist die falsche Belegung am falschen Platz.“ Gegen einen Kindergarten hätten sie nichts einzuwenden. Reinhard Kraus fordert im Namen der Anlieger in Schreiben an die Regierung von Oberbayern und an den Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Johannes Friedrich, eine „sozialverträgliche Belegung“ der Schutzstelle. Der Bischof möge darauf hinwirken, „dass wir den Bewohnern ohne Angst und mit Toleranz begegnen können.“ Weil das Sozialreferat der Stadt dafür zuständig ist, die Schutzstelle mit Jugendlichen zu belegen, erklärt Fabian Riedl, der Pressesprecher des Referats: „Wir wollen versuchen, die Situation zu befrieden. Gelingt das nicht, muss man sich nach einem alternativen Standort umsehen.“