Inspiriert von Neuperlach

Wolfgang Niesners "Frühe Stunde" aus den Jahren 1989/90. Eine Ausstellung mit Werken des Neuperlacher Malers zeigt das Haus des Deutschen Ostens. (Foto: © Friederike Niesner)
Wolfgang Niesners "Frühe Stunde" aus den Jahren 1989/90. Eine Ausstellung mit Werken des Neuperlacher Malers zeigt das Haus des Deutschen Ostens. (Foto: © Friederike Niesner)
Wolfgang Niesners "Frühe Stunde" aus den Jahren 1989/90. Eine Ausstellung mit Werken des Neuperlacher Malers zeigt das Haus des Deutschen Ostens. (Foto: © Friederike Niesner)
Wolfgang Niesners "Frühe Stunde" aus den Jahren 1989/90. Eine Ausstellung mit Werken des Neuperlacher Malers zeigt das Haus des Deutschen Ostens. (Foto: © Friederike Niesner)
Wolfgang Niesners "Frühe Stunde" aus den Jahren 1989/90. Eine Ausstellung mit Werken des Neuperlacher Malers zeigt das Haus des Deutschen Ostens. (Foto: © Friederike Niesner)

Der Stadtteil Neuperlach, oft als Betonwüste oder Trabantenstadt verschrien, hat schon so manchen Künstler inspiriert: Als Wolfgang Niesner 1970 in das damalige Neubauviertel zog, leitete dies die produktivste Phase im Schaffen des deutschen Malers, Zeichners und Grafikers ein. Das Haus des Deutschen Ostens (Am Lilienberg 5) zeigt ab 2. April in der Ausstellung „Wolfgang Niesner: Stadt – Land – Mensch“ eine Auswahl aus Niesners subtilem und zugleich provokativem Werk.
Geboren fernab von Bayern, im mährisch-schlesischen Freudenthal, landete Wolfgang Niesner (1925-1994) nach Kriegsgefangenschaft und Vertreibung im Münchner Osten. Die urbanen Architektur- und Wohnwelten von Neuperlach regten Niesner zu Zeitanalyse und Zeitkritik an, die gleichzeitig die "conditio humana", also die Natur des Menschen, in der Moderne in den Blick nahm.
„Usura“ nannte Niesner das übergreifende Sujet seiner in verschiedenen Zeitabständen entstandenen grafischen Blätter zu Neuperlach, die keinen Bildzyklus bilden, sondern nur lose miteinander zusammenhängen. Den Titel entlehnte er einem Gedicht von Ezra Pound: „Usura“ war der Phantasiename, den der US-amerikanische Schriftsteller für eine der Natur und dem Menschen entfremdete Zivilisation wählte, eine „Sünde wider die Natur“.

Dem Gegenwärtigen und Alltäglichen war Niesner als Künstler von Anfang an zugewandt: Im kriegszerstörten Deutschland der 1940er Jahre hielt er in seinen Genreskizzen Innenansichten aus den Flüchtlingslagern fest, deren Bewohner er zeitweise war. Später wandte er sich dem Alltag einer Gesellschaft im Wirtschaftswunder und ihren Protagonisten zu, deren Banalität und Spießigkeit er in zahllosen Zeichnungen nüchtern dokumentierte oder in grotesk überspitzten Scherenschnitten verfremdete. Erst in „Usura“ legte Niesner, der Kunst als Abwehr gegen die Gefahren der Gegenwartszivilisation und als Fluchtweg sah, die Konflikte rund um die Urbanität offen und dramatisierte sie.
Neuperlach schien ihm eine Spielwiese des architektonischen Brutalismus, ein Konglomerat von Stein und Beton zu sein, auf die Bezwingung und Auslöschung des Menschen angelegt. Die funktionalistische Architektur bedrängte dessen Geist, Emotionen und Körper, ließ ihn als Subjekt fast restlos verschwinden. Niesner sah sich hier in einer surrealen Welt, malte Menschenkörper, zwischen Blöcken und Platten eingeklemmt, oder auch abgetrennte Menschenköpfe, zwischen Wolkenkratzern und Betonquadern. Mit seiner Kultur- und Zivilisationskritik, an Neuperlach als architektonischem und lebensweltlichem Ausschnitt der Moderne, verband sich Niesners Polemik gegen die abstrakte Kunst: „Ich empfinde sie als eine Kunst, die dem Auge verbietet, zu sehen“.
Einen Kontrapunkt dazu bilden Wolfgang Niesners fein gezeichnete und impressionistisch anmutende Genre- und Landschaftsskizzen, die auf Reisen nach Irland, Kanada, Sylt oder Paris entstanden. Auch Scherenschnitte und Portraits sind in der Ausstellung zu sehen. Kuratorin ist Friederike Niesner, Ehefrau und Nachlassverwalterin des vor 25 Jahren in München verstorbenen Malers.
Zur Ausstellungseröffnung am Dienstag, 2. April, um 18 Uhr, wird neben Friederike Niesner auch Professor Andreas Otto Weber, Direktor des Hauses des Deutschen Ostens, sprechen. Die Ausstellung kann von 3. April bis 14. Juni immer montags bis freitags von 10 bis 20 Uhr kostenlos besichtigt werden.

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