Veröffentlicht am 05.07.2021 09:09

Die Beer-Siedlung in Untermenzing


Von Walter G. Demmel
Bild 1: Beer-Siedlung gestern und heute (Foto: Sammlung Dr. Rudolph)
Bild 1: Beer-Siedlung gestern und heute (Foto: Sammlung Dr. Rudolph)
Bild 1: Beer-Siedlung gestern und heute (Foto: Sammlung Dr. Rudolph)
Bild 1: Beer-Siedlung gestern und heute (Foto: Sammlung Dr. Rudolph)
Bild 1: Beer-Siedlung gestern und heute (Foto: Sammlung Dr. Rudolph)

Als ich im April 2014 über die Angerloh-Siedlung schrieb, erinnerte ich auch an andere Siedlungen in unserem Stadtbezirk, z.B. an die Gerberau an der Grenze zu Karlsfeld, die Junkers-Siedlung am Lochholz, die Waldkolonie am Allacher Forst, die Hacker-Siedlung an der Storchenstraße, die Kinderreichen-Siedlung im Allacher Westen, die Krauss-Siedlung nahe Allacher Bahnhof, die Nord-West-Siedlung im Untermenzinger Westen, die Flak-Siedlung an der Ganzenmüllerstraße, Neulustheim in Hartmannshofen und natürlich an die Beer-Siedlung an der Angerlohe (Bild 1), von der nun die Rede sein wird.

Die Beer-Siedlung finden wir nicht an der Untermenzinger Korbinian-Beer-Straße, sondern an der Wiebekingstraße (vormals Lindenstraße), die von der Rueß- zur Ratzelstraße an der Südseite der Angerlohe führt. Die Angerlohe bildet an ihrer Nordseite die Grenze zu Allach und bietet eine sonnenverwöhnte Südseite, die den Untermenzinger Bauunternehmer Korbinian Beer 1937 zum Bau einer kleinen Siedlung für Zuzugswillige animierte. Beer (1870-1951) (Bild 2) war gelernter Maurer, dann meistbeschäftigter und erfolgreichster Baumeister des Münchner Westens, wohnhaft in der Eversbuschstr. 39 (vormals Dorfstr.). Er ist beerdigt am Eingang zum Untermenzinger Friedhof. Beer hatte sich, wie Andreas Reupold, der Untermenzinger Heimatforscher und Beer-Spezialist berichtet, bereits 1912 die dazu notwendigen Grundstücke gekauft, als das Angerlochfeld noch unbebaut war. Über die Beer-Siedlung schrieb auch Ernst Rudolph in seinem Stadtteilbuch.

Der „Würmtalbote“ vom 12. Juli 1938 (Bild 3) schwärmte geradezu von dem herrlich gelegenen Waldgebiet, „aus dessen Fülle märchenhafter Romantik an sonnigen Tagen viele Erholungssuchende neue Kraft schöpfen. Münchener sind es in der Hauptsache, die den Weg zu diesem Wäldchen nehmen, das unweit des Burgfriedens der Hauptstadt der Bewegung liegt und von München-Moosach aus in kürzester Zeit erreicht werden kann.“

Die Besucher konnten im Juli 1938 eine fertige kleine Siedlung, bestehend aus 13 neuen Häuschen, entdecken, die von Korbinian Beer erbaut worden war. Noch kurz vor der Eingemeindung Allachs und Untermenzings am 1. Dezember 1938 war das damals östliche „Angerloch-Feld“, das sich von der Angerlohe im Norden bis zur Manzostraße erstreckte, weitgehend unbebaut. Ein neues Bild ergab sich nun durch die Beer-Siedlung, die sich vor allem auch durch Steinreliefs an den Hauswänden auszeichnete. Am Haus 1 brachte Beer sein Familienwappen und die Jahreszahl der Erbauung an (Bild 4). Zehn Zweifamilien- und drei Einfamilienhäuser flankierten die damalige Lindenstraße, die von Wald und Getreidefeldern umgeben waren. Einige liegen auch an der vormaligen Park- (heute Rueßstraße) und Friedrichstraße (heute Pringsheimstraße).

Als Hinweis: Die Gemeinde Allach baute von 1937 bis 1938 eine große Siedlung am Gleichplatz, die sog. Kinderreichen-Siedlung mit 52 Häusern. Kinderreich war eine Familie, die mehr als vier Kinder hatte; eine Familie hatte sogar neun Kinder. Weiteres dazu in einigen Monaten.

Der „Würmtalbote“ berichtete, dass im November 1937 mit dem Erdaushub der Bau der Anlage begonnen und zum 1. April 1938 vollendet war. Auf den jeweils 700 qm großen Grundstücken standen nun solid und massiv gebaute Häuser, die vollständig unterkellert und mit zwei separaten Wohnungen ausgestattet waren. Einen anderen Grundriß hatten die drei Einfamilienhäuser und eine entsprechend angepaßte Raumaufteilung mit Wohnküche, zwei Zimmern, Vorratsraum und Bad. Selbstverständlich hatte man auch elektrisches Licht und laufendes Wasser bei einer Gesamtwohnfläche von 46 qm. Die Wohnungen erweckten durch ihre zweckmäßige Raumnutzung und architektonische Sorgfalt offensichtlich einen hellen, geräumigen und besonders wohnlichen Eindruck.

Und nochmals weist der „Würmtalbote“ auf eine Besonderheit hin: „Wirkliche Freude bringt das Eigenheim aber dem Siedlungslustigen erst durch den Garten. Diese Erkenntnis ist in einem großen Grundstück, das reichlich Gelegenheit zu gärtnerischer Betätigung bietet, bestens angewandt.“ Leider waren bisher keine Lage- und Baupläne für die Siedlung auffindbar.

Besonders fielen den vielen Besuchern dieser neuen Siedlung die Wandreliefs auf, die als künstlerischen Schmuck dieser Bauten Gestalten aus deutschen Märchen (Bild 5) und Jagd-Tieridyllen zeigten. Nach dem Bericht des „Würmtalboten“ handelt es sich dabei um Plastiken, geformt vom akademischen Bildhauer Karl Siegert (10.12.1909-Dez.1966), die sich positiv in das Gesamtbild der Siedlung einfügen und besondere Beachtung verdienen. Bemerkenswert ist auch, dass ich durch Zufall das ehemalige Grabmal der Familie Siegert auf dem Gelände von Stephan Scheungraber in der Ludwigsfelder Straße gefunden habe (Bild 6). Was diese Häuser kosteten, war wohl die Hauptfrage für die Kaufwilligen und Kauffähigen. Die Gesamtgestehungskosten beliefen sich für das Einzelhaus auf rund 14.000 RM, die zunächst mit einer Bankhypothek von 6.000 RM gedeckt waren und mit entsprechendem Zins und notwendiger Tilgung auf 47 Jahre angelegt waren.

Wenn wir Untermenzing zu jener Zeit betrachten, so zählt die damals selbständige Gemeinde 1933 noch 2.796 und 1938 bereits 4.700 Einwohner. Der „Würmtalbote“ führte dieses Wachstum unter anderem auf die Unternehmungslust verschiedener Bauvereinigungen und zudem die Bautätigkeit Korbinian Beers (Bild 7) zurück. Damit begann schrittweise die Urbanisierung Untermenzings, wo es bereits eine Vielzahl von Handwerksbetrieben und vielen Geschäften gab. Ich erinnere an meine jeweils dreiteiligen Artikel aus dem Jahr 2014 mit dem Titel „Alte Dorfwirtschaften in Allach und Untermenzing“ und dem Jahr 2018 mit dem Titel „Ehemalige Geschäfte und Handwerker in unserem Stadtbezirk“.

Der „Würmtalbote“ schließt seinen Bericht vom 12. Juli 1938 mit einer typischen Formulierung in der Zeit des Nationalsozialismus – einleitend hatte er München schon als „Hauptstadt der Bewegung“ bezeichnet: „Möge den Bewohnern der neu geschaffenen sonnigen und vorbildlichen deutschen Heimstätten der landschaftliche Reiz des gewählten Baugeländes zur immerwährenden Freude gereichen. Möge jedes der Heime ein Hort deutschen Familiengeistes sein.“ Ein neugieriger Blick in diesen Familiengeist war uns leider nicht möglich, weil Zeitzeugenberichte aus der Siedlung bis heute fehlen.

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