Für Angelika Dreock-Käser wird es langsam aufregend: Ende August steigt die Bernriederin ins Flugzeug Richtung Tokio zu den Paralympics, den Olympischen Spielen für Menschen mit Behinderungen. Es ist die erste Teilnahme der Spitzensportlerin. Die amtierende Welt- und Europameisterin im Zeitfahren ist eine der erfolgreichsten deutschen Paracyclerinnen und startet am 31. August in ihrer Paradedisziplin über 16,6 Kilometer und am 2. September im Straßenrennen über 27 Kilometer.
Als Jugendliche hat Angelika Dreock-Käser immer davon geträumt, an der Olympiade teilzunehmen. Die gebürtige Niedersächsin fiel schon als Jugendliche durch ihr großes sportliches Talent auf und holte Titel und Erfolge als Mittel- und Langstreckenläuferin und später Marathonläuferin. „Aber für eine Qualifikation reichte es leider doch nicht“, sagt die 54-Jährige, für die sich nun der Traum erfüllt. Eine Kämpfernatur ist Dreock-Käser in jedem Fall. Im Jahr 2009 und 2013 erlitt sie einen Schlaganfall. „Passiert ist es ausgerechnet bei einer Sportveranstaltung“, erzählt sie. Sie leidet trotz mehrerer Rehas noch heute unter den Folgeerscheinungen ihrer Erkrankung, vor allem an Koordinations- und Gleichgewichtsprobleme mit neurologischen Ausfallerscheinungen. „Ich kann nicht mehr richtig laufen“, bedauert Dreock-Käser, die seit 1999 in Bernried lebt. Gangataxie nennt man das Problem. Auch die körperliche Kraft ist eingeschränkt: Das linke Bein und der linke Arm sind um 50 Prozent schwächer.
Doch den Sport aufgeben, das kam für sie nicht infrage, und mit eisernem Willen und Disziplin schaffte sie es wieder ganz nach vorn. „Ich versuchte eben, das Beste aus der Behinderung zu machen“, sagt sie. 2012 fing sie mit dem Parasport an. Ihr Trainer schlug ihr das Dreirad vor. „Wow, draufgesetzt und losgefahren, das war gleich mein Sport“, erinnert sie sich. Bei den Paralympics startet sie in der Klasse T2 für Athleten und Athletinnen mit schweren Behinderungen.
Die gelernte Sportphysiotherapeutin, die in der Klinik Höhenried als Masseurin und medizinische Bademeisterin arbeitet, trainiert fünfmal die Woche, insgesamt 10 bis 15 Stunden. Ihre Trainingsstrecke kann sie vor der Haustüre starten, von Bernried aus geht ihre Lieblingsstrecke Richtung Seeseiten, Iffeldorf und Penzberg. Beim Training ist sie viel auf sich allein gestellt, auch wenn sie fleißig nach den Trainingsplänen ihres Betreuers in die Pedale tritt. Auch das ist ein Handicap, mit dem die Athletin zu kämpfen hat. Sie tritt für den BPRSV Cottbus an, weil der Sportverein im fernen Brandenburg Olympiastützpunkt ist und besonders viel für die Förderung von Leistungssportlern mit Behinderung tut. Eine ausgewogene Ernährung gehört auch dazu. „Ich achte sehr darauf, wie ich esse, und Fleisch mag ich sowieso nicht, aber ich habe keinen Ernährungsplan, der bis ins letzte Detail geht.“
Wie viele andere Sportlerinnen fand sie die Coronazeit sehr schwierig, weil so viele Wettkämpfe ausfielen. „Man weiß eigentlich gar nicht, wofür man trainiert“, findet sie. „Man radelt sich den Hintern blank für nix.“ Trotzdem sind Motivationsprobleme für die Paracyclerin eher die Ausnahme. „Es gibt Tage, an denen habe ich keine Lust, aber einmal das Training ausfallen lassen ist nicht so schlimm“, erzählt sie. „Für mich geht es darum, besonders diejenigen Tage zu nutzen, an denen es mir gut geht.“ Hochmotiviert fährt sie nun nach Japan, um sich mit den Besten ihrer Zunft zu messen. Als mehrfache Bronze-, Silber- und Goldmedaillengewinnerin zählt Dreock-Käser zu den Top-Favoritinnen. Sie hofft auf eine Medaille. „Und je heller sie glänzt, desto schöner wäre es“, wünscht sie sich. Das harte Training soll sich doch gelohnt haben.