Veröffentlicht am 13.09.2021 11:57

„Er hat es sich so gewünscht”


Von ha
Paracyclistin Angelika Dreock-Käser, hier auf dem Siegerfoto als Weltmeisterin im Zeitfahren. (Foto: Oliver Kremer)
Paracyclistin Angelika Dreock-Käser, hier auf dem Siegerfoto als Weltmeisterin im Zeitfahren. (Foto: Oliver Kremer)
Paracyclistin Angelika Dreock-Käser, hier auf dem Siegerfoto als Weltmeisterin im Zeitfahren. (Foto: Oliver Kremer)
Paracyclistin Angelika Dreock-Käser, hier auf dem Siegerfoto als Weltmeisterin im Zeitfahren. (Foto: Oliver Kremer)
Paracyclistin Angelika Dreock-Käser, hier auf dem Siegerfoto als Weltmeisterin im Zeitfahren. (Foto: Oliver Kremer)

Bernried – Einfach super ist es für Angelika Dreock-Käser in Tokio gelaufen: Die Paracyclerin, die zum ersten Mal bei den Paralympics antrat, hat Silber und Bronze gewonnen. Doch obwohl es der sportliche Höhepunkt in ihrem Leben war, als sie auf dem Treppchen stand, war der Jubel getrübt. Angelika Dreock-Käser trauert um ihren Mann, der nur eine Woche vor ihrer Reise starb. Bewegend waren ihre Worte nach der Feier. „Ich widme die Medaillen meinem Max“, sagte die 54-Jährige tapfer. „Er war so wahnsinnig stolz, dass ich mich qualifiziert habe, er hat sich so für mich gefreut.“ Warum aufgeben trotz des schweren Schicksalsschlag für sie nicht in Frage kam, berichtet sie unserer Zeitung am Telefon.

Aus dem Leben gerissen

Er starb völlig überraschend, als er zum Joggen gehen wollte. Morgens um 7 verließ er das Haus, so wie mehrmals die Woche, so erzählt es Angelika Dreock-Käser. Doch auf seiner Runde muss er plötzlich zusammengebrochen sein. Als der 56-Jährige Stunden später gefunden wurde, kam jede Hilfe zu spät. Sie sei gleich unruhig gewesen, als sie mittags von der Arbeit heimkam und feststellte, dass ihr Mann von seinem Training noch nicht zurück war, berichtet sie. Es waren bange Stunden, als sie auf der Suche nach ihm herumfragte und dann die Krankenhäuser abfuhr. Die bittere Nachricht muss sie nun verkraften. Nichts deutete darauf hin, dass ihr Mann so plötzlich aus dem Leben gerissen werden würde. „Er war ein leidenschaftlicher Ausdauerläufer, er war schlank und fit, ihm fehlte nichts“, sagt die gebürtige Niedersächsin, die seit 1999 in Bernried lebt. Übers Laufen hatten sich die beiden damals auch kennengelernt. Doch aus dem Klinikalltag – die gelernte Sportphysiotherapeutin arbeitet in Höhenried als Masseurin und medizinische Bademeisterin - weiß sie, dass der plötzliche Herztod auch trainierte Sportler trifft.

Eine bittere Ironie des Schicksals ist es, dass Angelika Dreock-Käser selbst ähnliches erlebt hat. Bei einer Sportveranstaltung, an der das Ehepaar teilnahm, erlitt sie einen Schlaganfall. „Das ging so schnell, ich war plötzlich weg.“ Sie hat überlebt, auch wenn sie seitdem behindert ist. Weil sie nicht mehr richtig gehen kann, sattelte die begeisterte Läuferin auf das Renn-Dreirad um. Das liegt ihr, auch wenn sie im Gegensatz zu manch anderen Kolleginnen den Nachteil ausgleichen muss, dass sie in Armen und Beinen nur die halbe Kraft hat. „Ich kann zum Beispiel nicht in den Wiegetritt gehen, muss auch bergauf alles im Sitzen fahren.“

„Für ihn gemacht”

Tokio aufgeben, das war zu keiner Zeit eine Option. „Ich habe es für Max gemacht“, sagt sie. „Er hat es mir so gewünscht, dass ich dabei bin, dass ich ihm die Absage gar nicht hätte antun können.“ Freunde und Familie bestärkten sie bei ihrer Entscheidung. „Sogar seine Mutter hat gesagt, du musst fahren, du holst für Max eine Medaille.“ Der Gedanke habe sie erst richtig angespornt und ihr geholfen, beim Rennen den Kopf frei zu bekommen. In Japan halfen ihr auch die Mannschaftskolleginnen über die schwere Zeit, wie Jana Majunke (ebenfalls BPRSV Cottbus). Dort wartete aber die internationale Konkurrenz. „Besonders die Amerikanerinnen und Australierinnen sind so etwas von selbstsicher und töten schon vorher laut, dass die Medaillen an sie gehen“, erzählt sie. „Aber am Ende haben wir sie heimgebracht!“

Schwere Strecke

Die wegen ihrer steilen Berge und vielen Kurven technisch herausfordernde Rennstrecke war bei vielen gefürchtet. „Aber Jana und ich wussten, wir können das fahren“, erzählt die amtierende Weltmeisterin im Zeitfahren. Nervös sei sie nicht gewesen. „Eher froh, dass es endlich losgeht.“ Erst stand das Zeitfahren über 16 Kilometer auf dem Programm, wo Majunke Gold holte und Dreock-Käser Bronze. Beim darauffolgenden Straßenrennen (27 Kilometer) waren die Bedingungen nochmal schwerer, weil das Wetter schlecht war. „Bloß nicht in Stürze verwickelt werden, das war unsere Devise.“ Hinter ihnen habe es auf der regennassen Straße bergab „öfter ordentlich geknallt“. Ihrer 23 Jahre jüngeren Mannschaftskollegin Jana Majunke gönnt sie das Doppelgold: „Ich bin überglücklich mit Silber und Bronze.“

Alle sind stolz

Die Spitzensportlerin freut es, dass die Paralympics endlich von der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen werden. „Seit Rio hat sich viel geändert, und das ist gut so.“ Nun ist sie wieder zuhause, Nachbarn und Freunde haben sie empfangen und dafür gesorgt, dass sie nicht in ein Loch fällt, in der Klinik wurde gefeiert, der Bürgermeister hat gratuliert und sie ist sogar schon Ehrenbürgerin von Bernried geworden. Bald ist Angelika Dreock-Käser mit ihrem Fahrrad wieder im Training. Paris würde sie schon gern mitnehmen, in drei Jahren finden dort die Spiele statt. Sie ist allein, und doch wieder nicht. „Mein Max schaut von oben zu.“

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