Veröffentlicht am 28.10.2021 10:44

„Freiwillig” in die Zwangsarbeit


Von Patrizia Steipe
Die Baracke wurde notdürftig saniert. (Foto: pst)
Die Baracke wurde notdürftig saniert. (Foto: pst)
Die Baracke wurde notdürftig saniert. (Foto: pst)
Die Baracke wurde notdürftig saniert. (Foto: pst)
Die Baracke wurde notdürftig saniert. (Foto: pst)

Der langgestreckte flache Bau mit den Fensterläden aus Holz liegt inmitten wuchernder Natur, ein wenig abseits der anderen Baracken in der Ehrenbürgstraße 9, die als Werkstätten, Künstlerateliers und als Kita genutzt werden. Die Baracke 5 ist weitgehend in ihrem Originalzustand erhalten. Sie ist ein Erinnerungsort des NS-Dokumentationszentrums. Deutschlandweit gibt es nur noch ein zweites erhaltenes Lager in Berlin. Während des zweiten Weltkriegs hatte es etwa 30.000 Zwangsarbeiterlager in Deutschland gegeben, erklärte die Wissenschaftliche Mitarbeiterin des NS-Dokumentationszentrums, Angela Hermann, bei einer Führung. Geplant ist, dass in der Baracke 5 eine Ausstellung installiert werden soll, eine weitere Baracke soll als Seminarraum genutzt werden.

Die einzelnen Baracken stehen unter Denkmalschutz und das Areal unter Ensembleschutz. Mit einem Konzentrationslager sei das Zwangsarbeiterlager nicht zu verwechseln, betonte Hermann. Es ging darum, deutsche Arbeitskräfte zu ersetzen, denn die eigenen Leute waren an der Front. Die Arbeiter erhielten sogar Lohn. Allerdings wurde dieser mit Kost und Logis, Sonderabgaben und Steuern verrechnet.

Die Bedingungen in den Arbeitslagern waren schrecklich, berichtete Hermann. Die Baracken bestanden aus zwei großen Zimmern mit jeweils 26 Betten, doch mindestens 100 Personen hätten darin Platz finden müssen. Die Enge und fehlende Privatsphäre setzten den Menschen zu. Dazu mussten sie harte Arbeit im Reichsausbesserungswerk verrichten. Die Zwangsarbeiterinnen wurden auch für Aufräumarbeiten nach Bombenabwürfen eingesetzt. „Das waren ebenfalls Trümmerfrauen“, so die Referentin. Zu Essen gab es für die Zwangsarbeiter wenig, meistens Kohl und dünne Suppe. Dabei wurden die Arbeitskräfte aus dem Osten besonders schlecht behandelt. Sie bekamen nie Fleisch und hatten auch nur einen halben Arbeitstag frei, statt eines ganzen wie die Franzosen, Italiener oder Niederländer.

Kinder ab zehn mussten mitarbeiten

Freiwillig – so wie es in der Bevölkerung propagiert wurde – seien höchstens die gekommen, die mit falschen Versprechungen geködert worden waren, so Hermann. Menschen wurden in Razzien ergriffen oder nach Racheaktionen mitgenommen. Manchmal seien Familien mit Kindern gekommen. Größere ab zehn Jahren mussten im RAW mitarbeiten, jüngere Arbeiten im Lager übernehmen, lediglich für die Kleinsten gab es eine Betreuung.

Nach dem Krieg wurde den Zwangsarbeitern in ihren Heimatländern Kollaboration vorgeworfen. Schließlich hätte der Krieg ohne die Arbeitskraft der Zwangsarbeiter nicht so lange geführt werden können. Allerdings hatten die Menschen keine Wahl. Sie wurden wie Gefangene behandelt. Das Lager war umzäunt und bewacht. Als Abschreckung wurden Menschen, die fliehen wollten, vor aller Augen gehängt, erzählte Hermann.

Derzeit entwickelt das NS-Dokumentationszentrum ein digitales Geschichtsprojekt unter dem Namen „Departure Neuaubing – European Histories of Forced Labor“. Die interaktive Web-Anwendung lädt dazu ein die Geschichte unter ganz neuen historischen Zusammenhängen zu betrachten und richtet den Blickwinkel auf die europäischen Verbindungen. Das Projekt soll Ende Januar 2022 starten.

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