Im Fußball, Eishockey und Basketball ist München spitze: FC Bayern und der EHC konnten schon zahlreiche deutsche Meisterschaften feiern. Handball hingegen findet in und um München fast ausschließlich auf regionaler Ebene statt. Dennoch ist die bayerische Landeshauptstadt Spielort der Handball-EM der Männer, die vom 10. bis 28. Januar in Deutschland ausgetragen wird.
Die deutsche Nationalmannschaft, die zuletzt 2016 Europameister war, wird zwar nicht in der Olympiahalle auflaufen. Vom Auftaktspiel des amtierenden Weltmeisters Dänemark gegen Tschechien (11. Januar) bis zum Nachbarschaftsduell Serbien gegen Montenegro (16. Januar) sind in München aber einige vielversprechende Partien angesetzt. Für Handballfans ist dies die seltene Gelegenheit, Europas beste Spieler vor Ort in Aktion zu bewundern. Derart hochklassigen Handball kann man sonst in München nicht sehen: Auf der Landkarte der 1. und 2. Handball-Bundesliga der Männer ist ganz Oberbayern ein weißer Fleck - im Gegensatz zu allen anderen populären Mannschaftssportarten. Bei den Frauen spielt der HCD Gröbenzell in der 2. Bundesliga, hängt als Aufsteiger derzeit am Tabellenende fest.
München und Spitzenhandball, das passt also nicht zusammen. Das war aber nicht immer so: In den 1980er Jahren stellte die Isarmetropole mit dem TSV Milbertshofen und dem MTSV Schwabing zeitweise gleich zwei Männer-Bundesligisten. Die Schwabinger wurden 1986 DHB-Pokalsieger und deutscher Vizemeister und standen 1987 im Halbfinale des Europapokals. Der insgesamt 18 Jahre erstklassige TSV Milbertshofen zog 1990 nach, wurde ebenfalls Vizemeister und Pokalsieger und holte 1991 sogar den Europapokal der Pokalsieger nach München. Hinter den Erfolgen und großen Namen – für Milbertshofen spielte unter anderen der später zu Deutschlands „Handballer des Jahrhunderts“ gekürte Sepp Wunderlich, für Schwabing der jugoslawische Olympiasieger Zdravko Radjenovic – steckten bei beiden Vereinen zahlungskräftige Sponsoren.
Anders als in den deutschen Handballhochburgen wie Kiel, Flensburg oder Magdeburg wurde in München aber alles andere als nachhaltig gearbeitet. Denn als die Mäzene den Geldhahn zudrehten, stürzten beide Spitzenclubs ab. Schwabing stieg 1987 aus der 1. Bundesliga ab und zog sich zwei Jahre später als Tabellenvierter der 2. Bundesliga in die Bezirksliga zurück. In Milbertshofen gingen 1993 nach Konkurs die Bundesligalichter aus. Heute treffen sich der TSV Milbertshofen und der MTSV Schwabing zu Derbys in der Bezirksoberliga – der sechsthöchsten Spielklasse. Nach den beiden verglühten Handballsternen aus dem Münchner Norden hat es kein Verein aus der Region mehr in die 1. Bundesliga geschafft.
Aktuell findet man bei den Herren erst in der 3. Liga, die in vier regionale Staffeln geteilt ist, mit HT München und dem früheren Zweitligisten TuS Fürstenfeldbruck Mannschaften aus dem näheren Umkreis der Landeshauptstadt. Die besten Handballteams aus dem Stadtgebiet spielen in der viertklassigen Bayernliga: Bei den Männern ist dies der TSV Allach, bei den Frauen der SV München-Laim. In der Frauen-Bayernliga ist auch der Landkreis Ebersberg mit Forst United und dem TSV Vaterstetten gleich doppelt vertreten. Nur in der Bezirksoberliga spielen Herren und Frauen der SpVgg Altenerding, des stärksten Handballvereins im Landkreis Erding. „Auch wenn es im Großraum München keinen Profihandball mehr gibt, ist die Szene lebendig, groß und vielfältig”, meint Wilhelm Becker, Abteilungsleiter bei HT München: „Die meisten Vereine bieten ein großes Angebot für Breitensportler, es geht aber auch immer wieder in den Leistungssportbereich.”
Das Beispiel von HT München zeigt, dass es machbar ist, in einer von Fußball, Eishockey und Volleyball geprägten Region eine erfolgreiche Handballmannschaft auf die Beine zu stellen. „HT” steht für Hachinger Tal – der Neu-Drittligist ist eine Spielgemeinschaft von TSV Unterhaching und SV-DJK Taufkirchen. Beide hatten schon Titel auf bayerischer Ebene eingefahren, als sie sich 2017 zusammenschlossen. Nachwuchsarbeit wird groß geschrieben: Neben vier Herren- und zwei Damenteams hat HT München über 20 Jugendteams im Spielbetrieb. Den größten Erfolg der jungen Vereinsgeschichte feierten die Männer im Sommer 2023 mit der Bayerischen Meisterschaft und dem Aufstieg in die 3. Liga Süd. Dort kämpft die Mannschaft gegen den Abstieg, und kommt bei Auswärtsspielen auch über die Grenze des Freistaats hinaus.
„Extrem zufrieden” ist Abteilungsleiter Wilhelm Becker mit der Entwicklung bei HT München: „Der Aufstieg der Herrenmannschaft in die 3. Liga hat dem ganzen Verein noch mal Schwung gegeben. Die Damen spielen in der Bayernliga eine richtig gute Rolle – und beide zusammen sind ein wunderbares Aushängeschild für uns.” Bleibt die Frage, ob die lokalen Vereine von der Europameisterschaft in München profitieren können. „Einen konkreten, greifbaren Vorteil haben wir durch die EM nicht”, glaubt HT-Pressesprecher Klaus Heydenreich. „Aber wir haben die Chance, den Handball besser in der Öffentlichkeit zu positionieren. Die Spiele in der Olympiahalle werden ausverkauft sein, und wir hoffen schon, dass etliche Zuschauer danach überlegen: Okay, HT München spielt mit den Herren in der 3. Liga und mit den Damen in der Bayernliga – das schau ich mir mal an.”
Wichtig sind große Turniere zudem, um Kinder und Jugendliche für den Sport zu begeistern. Dies ist im Handball, zumindest im Raum München, kein Selbstläufer wie etwa beim Fußball. Handballvereine müssen akribisch vorgehen, um Nachwuchs zu gewinnen, zum Beispiel beim jährlich stattfindenden „Grundschulaktionstag Handball”, bei dem die Schülerinnen und Schüler den rasanten Teamsport ausprobieren dürfen. Daneben spielen auch die lokalen Aushängeschilder eine Rolle. „Für den Nachwuchs ist es schon wichtig, dass es einzelne Vereine wie HT München, Fürstenfeldbruck bei den Herren oder Gröbenzell bei den Damen gibt, die Spitzenhandball bieten”, meint Wilhelm Becker. Die Strahlkraft eines FC Bayern, TSV 1860 oder EHC München besitzen diese freilich bei weitem nicht.
Apropos FC Bayern: Der deutsche Fußballrekordmeister engagiert sich nun seit fast anderthalb Jahrzehnten finanziell verstärkt im Basketball. Seitdem sprangen drei deutsche Meistertitel heraus, und im Sommer gehörten drei Bayern-Basketballer zum deutschen Weltmeisterkader. Der FC Bayern als Handball-Bundesligist würde die Sportart enorm voranbringen, meinte kürzlich der deutsche Nationalspieler Juri Knorr in einem Podcast. Aktuell treten die Herren und Damen des FC Bayern in der fünftklassigen Landesliga an. „Unser Ziel ist es, den FC Bayern Handball weiter voran zu bringen und mittelfristig eine Führungsposition im Raum München einzunehmen”, heißt es auf der Homepage der Abteilung. Eine Professionalisierung wie im Basketball ist bisher nicht geplant. Dabei hätte erstklassiger Handball beim FC Bayern Tradition: Die Frauen spielten von 1975 bis 1981 in der Bundesliga Süd.