Viele Fragen blieben unbehandelt in dieser sehr spannenden Diskussionsstunde mit Wolfgang Thierse und Hans-Jochen Vogel auf dem Podium der Pasinger Fabrik, vor allem die Fragen nach dem „Wenn“ und „Hätte“. „Das Thema Mauerfall und Deutsche Einheit ist unglaublich umfassend. Wahrscheinlich auch deswegen, weil jeder von uns seine Erinnerungen an die Zeit von vor 20 Jahren hat. Man müsste nicht eine Podiumsdiskussion, sondern eine große Reihe darüber veranstalten, um diesem Thema halbwegs gerecht zu werden“, meinte die Initiatorin des Abends und ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf.
Als die Münchner Volkshochschule (VHS) und die Pasinger Fabrik vor Monaten begannen, eine Veranstaltungsreihe zum Thema „20 Jahre Mauerfall“ zu planen, wollte Wolf den hochpolitischen Aspekt noch stärker betonen. Daher lud sie ihre ehemaligen Fraktionsmitstreiter Thierse und Vogel zur Diskussion nach Pasing ein. „Wir sind Politiker der ersten Stunde“, empfand Wolf. „1990 sind wir ins erste gesamtdeutsche Parlament eingezogen.“ Die politischen Irrtümer und Wirrungen, die diese Wendezeit mit sich brachte, stellten sie gern zur Diskussion.
Über das „Wenn“ und „Hätte“ zu diskutieren, sei allerdings müßig, so Vogel. „Es gab eben kein Patentrezept für diese außergewöhnliche Zeit“, erklärte er dem Publikum. „Wann findet schon mal eine derart friedliche Revolution statt, wo einige wenige für das Wohl aller eine bessere Ausgangssituation schaffen können, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen?“, ergänzte Thierse. Gegen den Begriff „Wende“, der Anfang der 90er Jahre vom DDR-Politiker Egon Krenz geprägt wurde, wehrte er sich vehement.
Für ihn blieb die friedliche Revolution im Osten Deutschland allerdings keinesfalls an der Grenze stecken. „Sie ist auch Teil dessen, was wir heute Globalisierung nennen“, stellte er fest. So gesehen habe man damals schon die Voraussetzung für ein demokratisches Miteinander im gesamten Europa gelegt.
Dabei gäbe es den Osten an sich schon längst nicht mehr. „Das ist jetzt ein bunter Flickenteppich mit sehr unterschiedlichen teils sehr erfolgreichen, teils leider immer noch brachliegenden Gegenden“, erklärte Thierse.
Alle fähigen Köpfen würden inzwischen in München und Hamburg sitzen. „Wir können keinem befehlen zurückzukehren und seine Heimat zu stärken“, befand Thierse in Hinblick auf die Ausblutung ostdeutscher Landschaften und machte aus seiner Enttäuschung über die Entwicklung der vergangenen 20 Jahre keinen Hehl. „Die Politik hat mit Berlin als Hauptstadt ihren Schwerpunkt verlagert und Zeichen gesetzt. Die Wirtschaft macht das noch lange nicht“, kritisierte er.
Antworten auf die Frage „Alles anders oder weiter so?“ seien deshalb schwer zu finden. Von den Entwicklungen könne man schwerlich überrascht werden, „aber man muss reagieren“, so Vogel. Wichtig sei nur, dass die Zeit der Deutschen Einheit nicht aus dem Geschichtsbewusstsein verschwindet. Wolf fasste zusammen: „Schließlich war diese Zeit prägend für die Erinnerungskultur unseres ganzen Volkes.“
Bis zum 15. November finden insgesamt vier Podiumsdiskussionen zum Thema Mauerfall in der Pasinger Fabrik statt. Dazu laufen die Ausstellung „1989-2009-Im Zeichen der Wende“ und Theater- und Kabarettvorführungen ostdeutscher Produktionen.