Von Stefan Dohl
Kaum eine Stadt in Deutschland ist so "bergnarrisch" wie München. Die selbst ernannte "Bergsteigerhauptstadt" war und ist bis heute eine der Keimzellen des Alpinismus. Dies liegt nicht nur an der günstigen geografischen Nähe zu den Alpen, sondern vor allem an den Menschen, die es seit Generationen und mit großer Leidenschaft in die Alpen zieht. Viele noch so steile und als unmöglich geltende Wände wurden zur Jahrhundertwende erstmals von Mitgliedern der Münchner Kletterszene "gemacht". Einer der Höhepunkte: Die Erstdurchsteigung der Eiger-Nordwand, mit den beiden Münchnern Andreas „Anderl“ Heckmair und Ludwig "Wiggerl" Vörg, im Jahr 1938. Auch nach dem Krieg nahmen in München viele Expeditionen in den schwersten Wänden der Alpen und den höchsten Gipfeln im Himalaya ihren Ausgang. Wenig verwunderlich wurde vor 150 Jahren ausgerechnet unweit des Marienplatzes der heute weltgrößte Bergsportverein ins Leben gerufen. Am 9. Mai 1869 gründeten Franz Senn, Johann Stüdl, Karl Hofmann und Theodor Trautwein mit 32 Gleichgesinnten in der Gaststätte "Zur Blauen Traube" in der Dienerstraße die "Münchner Section eines deutschen Alpenvereins". Die Sektion München-Oberland, mit knapp 180.000 Mitgliedern natürlich die größte im gesamten Alpenverein, kann 16 bewirtschaftete Alpenvereinshütten und 22 Selbstversorgerhütten ihr Eigen nennen.
Doch die Zeit hat Spuren hinterlassen. Ging es den Gründungsmitgliedern einst darum "die Bereisung der Alpen zu erleichtern" und die Berge mittels Wege und Hütten zugänglicher zu machen, hat der Verein neben der Ausbildung und Schulung seiner Mitglieder nun unter anderem das Ziel, den Fokus mehr auf die sensible Bergnatur zu legen. "Auch in Zukunft muss es einen Alpenraum mit ausreichenden Ruhezonen geben", fordert DAV Präsident Josef Klenner. "Wir müssen viel sorgsamer mit den Alpen umgehen. Denn der Klimawandel zeigt sich nirgends so stark wie im Alpenraum". Tatsächlich ist die Durchschnittstemperatur im Alpenraum in den letzten 120 Jahren um über 2 Grad gestiegen. Das Auftauen des Permafrostes, der Gletscherschwund und damit einhergehende Felsstürze sind jetzt schon zu beobachten. Schneekanonen, Neuerschließungen und Ausweitungen von Skigebieten sowie alpine Massen-Events werden daher abgelehnt. Übrigens genauso wie der Aufbau der Infrastruktur für alpine E-Biker - ein emotionaler Streitpunkt innerhalb der Münchner Sektion. Neubauten von Hütten und weitere Erschließungen soll es ebenfalls nicht mehr geben. Die 2008 in Österreich ins Leben gerufene Initiative "Bergsteigerdörfer", die auf sanften und nachhaltigen Bergtourismus setzt, gilt als Leitbild für die Zukunft.
Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger stellte einst fest, dass der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet. Dies ist das größte Dilemma des Bergsports überhaupt. Bergsteiger sind große Profiteure der Globalisierung und der Mobilisierung. Tourenziele für "Profis" sind heute weltweit zu finden. Rein in den Flieger, rauf auf den Berg. Die Fotos vom Gipfelstau am Mount Everest gingen im Mai durch die Welt. Finanziert wird das alles von großzügigen Sponsoren. Hinzu kommt die Omnipräsenz der Alpen in den Sozialen Medien wie Facebook, Instagram und Co. Ganz klar: Berg und Outdoor sind "in": Mittlerweile bereisen knapp 120 Millionen Touristen jährlich die Alpen. Davon kommen 84 Prozent mit dem Auto. Die Verkehrsproblematik (Stichwort Stauumfahrung und Schadstoffbelastung) war diesen Sommer häufiger in den Schlagzeilen zu finden. Was also tun? Ganz einfach! Bei der Planung der nächsten Bergtour sollte es also auch um das "wie", statt nur um das "wo" gehen. Die Münchner Bergfreunde haben dabei den Vorteil, dass sie stündlich auch mit dem Zug vom Hauptbahnhof aus in die geliebten Berge kommen. Von Garmisch-Partenkirchen über Mittenwald, dem Isarwinkel und das Tegernseer Tal bis hin zum Kaisergebirge und dem Chiemgau sind zahlreiche Touren problemlos mit BOB, Bahn und Meridian zu erreichen. Und "Bergsteigerbusse" fahren mitunter bis in die entlegensten Täler.
Heutzutage zieht es immer mehr Münchner auch nicht mehr ausschließlich in die Berge, sondern in die heimische Kletterhalle. Die Entwicklung seit den 1990er-Jahren ist rasant. In der Stadt klettern und bouldern mittlerweile über 50.000 Menschen regelmäßig. Tendenz steigend. Die sieben großen Kletter- und Boulderhallen der Stadt sind tagtäglich gut besucht. Statt an Felswänden wird nun an künstlichen Kletteranlagen geübt. Die Halle in Thalkirchen gilt dabei als weltweit größte ihrer Art: Geboten werden 6.540 Quadratmeter Kletterfläche mit etwa 555 Routen. Das Bouldern - also das Klettern ohne Sicherung in Absprunghöhe - an sich gibt es in München natürlich schon sehr viel länger. Schon im 19. Jahrhundert übten Alpinisten und Bergsteiger an Felsen bei Buchenhain für ihre Touren im Gebirge. Weil es sich so gut für Einsteiger ohne sonderliche Vorkenntnisse eignet, begeistern sich auch immer mehr junge Menschen dafür.
Für eine Wanderung nach Feierabend bieten sich natürlich auch zahlreiche "Touren" in München und im S-Bahn-Umland an. Der Vorteil, die Berge sieht man bei vielen dieser Wanderungen trotzdem, und die lange Fahrzeit entfällt. Wir verlosen unter allen Lesern drei Exemplare mit 22 "lokalen" Wandervorschlägen der Münchner Autorinnen Kathrin Braunwarth und Nora Kamprath. Weitere Tourenvorschläge in den "Münchner Hausbergen" finden Sie unter www.wochenanzeiger.de/article/152952.html im Internet. Berg Heil!