Toningenieur Stefan Gienger hantiert an seinem Laptop in einem der Probenräume des Tölzer Knabenchores, hinter ihm stehen mit Kopfhörern ausgestattet und im Halbkreis aufgestellt einige Buben aus dem Konzertchor der Tölzer Sängerknaben. Sie singen den Refrain eines Kinderliedes von Lena Valaitis. Die Schlagersängerin nimmt gerade im Mastermixstudio von Stefan Gienger ein neues Album auf und singt darauf ihre größten Erfolge neu ein, darunter auch für ihr Enkelkind den Song „Die schönste Zeit ist die Kinderzeit” aus dem Jahr 1978.
Stefan Gienger, der für das Arrangement zuständig ist, hatte die Idee, dem Lied durch Kinderstimmen im Hintergrund eine zusätzliche Betonung zu geben. Jetzt nimmt er die zusätzlichen Tonspuren dafür auf. Dass er sich dafür an den bekannten Knabenchor gewandt hat, ist kein Zufall – schließlich war er in den 80er Jahren selbst ein Tölzer Sängerknabe. „Das liegt doch auf der Hand. Ich kenne die Strukturen. Die Leute kommen aus demselben Stall”, sagt er und fügt hinzu: „Die Tölzer sind die Besten. Ich mache auch Eigenproduktionen für den Chor.”
Eigentlich ist der gesamte Werdegang des 43-Jährigen mit dem Tölzer Knabenchor verbunden, denn seine Berufswahl entstand aus der Faszination, die ihn jedesmal bei Aufnahmen im Tonstudio erfasste. Als er sich dann nach der Schule für das Studium der Ton- und Bildtechnik interessierte, sagte man ihm, dass er dafür eine musikalische Ausbildung benötige. „Und genau die hatte ich schon”, konstatiert Stefan Gienger. „Ich habe erst gemerkt, was für eine hohe Qualität die Ausbildung im Tölzer Knabenchor hat, als ich durch meine Arbeit auf andere Chöre und Musiker getroffen bin. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich hier gelandet bin.”
Bei den Tölzern gelandet ist Stefan Gienger durch die Äußerungen einer Musikpädagogin. Und die waren damals gar nicht positiv. „Ich war in Taufkirchen in der musikalischen Früherziehung”, erzählt er. Die Leiterin habe seiner Mutter gesagt, dass er keinen Sinn für Musik habe und ständig nur stören würde. „Meine Mutter glaubte das nicht. Sie war davon überzeugt, dass ich mich einfach nur langweile. Sie brachte mich zum Vorsingen beim Tölzer Knabenchor und da stellte sich heraus, dass sie Recht hatte. Der Bub konnte was!”
Die Ausbildung im Tölzer Knabenchor habe ihm von Anfang an Spaß gemacht, berichtet Gienger. „Der Chor war unser Lebensinhalt. Wir als Kinder empfanden den Druck nicht, wir wollten gefordert werden.” Sicher habe er auch mal einen Hänger zwischendurch gehabt, wenn seine Schulfreunde dies und jenes machten und er nicht mit dabei sein konnte, aber insgesamt habe er die Zeit im Tölzer Knabenchor nie bedauert. „Der Stimmbruch kam mit 14 Jahren – zur rechten Zeit. Da war erst einmal Schluss und ich konnte mich um Mädchen und Partys kümmern.”
Zuvor ist Stefan Gienger mit dem Konzertchor und später als Solist auf weite Reisen gegangen. Er war in Italien, in Frankreich, in Israel, in Japan und zweimal mit der „Zauberflöte” in Amerika. An die Reise ins damals noch kommunistische Polen hat er zwiespältige Erinnerungen. „Wir durften keine Comics mitnehmen und keinen Walkman”, erinnert er sich.
Nach dem Stimmbruch sang Stefan Gienger im Mutantenchor der Tölzer, zwischenzeitlich hatte er auch eine Band. Sein Studium zum Diplom-Ingenieur für Ton- und Bildtechnik absolvierte er auf der Robert-Schumann Hochschule in Düsseldorf. Die Musikhochschule, in der er Fächer wie Klavier, Gesang und Harmonielehre belegte, kooperierte mit der dortigen Technischen Hochschule, in der die technischen Fächer für den Studiengang angeboten wurden. „Das war genau mein Ding!”, erklärt er. „Musik und Technik – mich interessiert beides.”
Seiner damaligen Freundin zuliebe, die heute seine Frau ist, suchte er sich für die studienbegleitenden Praktika Firmen in München. Im Jahr 2000 führte ihn eines davon ins Mastermixstudio, das damals vom in der Musikerszene sehr bekannten Toningenieur Jürgen Koppers geleitet wurde. Hier fand er neben dem Thema für seine Diplomarbeit „Mastering in der Popmusik” auch eine Arbeit als Assistent.
Nach seinem Hochschulabschluss war Stefan Gienger als freier Mitarbeiter bei Mastermix tätig. Als Jürgen Koppers 2006 plötzlich verstarb, übernahm der junge Toningenieur das Studio, den Mietvertrag und auch den Kundenstamm. „Mittlerweile habe ich einen Stamm an freiberuflichen Mitarbeitern. Wir machen viel Filmmusik, Schlager und Pop.” Wer alles bei ihm im Studio aus- und eingeht, will Stefan Gienger nicht verraten. „Namedropping mache ich nicht gerne”, meint er.
Eine Ausnahme hat er lediglich gemacht, als er seinen Hut für eine Professur an der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport (DHGS), Fachbereich „Kunst in Gründung”, in Berlin in den Ring geworfen hat. „Da ich keinen Doktor habe, musste ich promotionsäquivalente Leistungen nachweisen”, erläutert er. „Ich musste meinen Werdegang und Produktionen beschreiben.” Der Wissenschaftsrat hat sein Okay gegeben und seit einem Jahr ist Stefan Gienger Professor für Musikproduktion mit einer halben Stelle an der DHGS. Da Musikproduktion als Online-Studiengang gelehrt wird, muss er lediglich drei Wochen Präsenz pro Semester zeigen. „Dann ist Blockunterricht.”
Musik ist aber nicht nur beruflich ein Thema, auch zuhause mit seiner achtjährigen Tochter, die Klavierunterricht hat und seinem fünfjährigen Sohn, macht er „viel Krach”, wie er sagt. „Es muss nicht immer richtig sein – nur laut muss es sein und Spaß machen”, schmunzelt er. Und wenn sich sein Sohn als ebenso musikalisch wie der Vater entpuppen sollte, dann werde er ihm sicher den Weg zum Tölzer Knabenchor aufzeigen, meint Stefan Gienger. „Ob er bleibt, muss er dann selber entscheiden.”