Fünfmal im Jahr treffen sich die Frauen in Söcking zum Frühstück. Es sind aber nicht nur das frische Brot und die leckeren Aufstriche, die die Besucherinnen ins Carolinenhaus locken. Sondern auch die Vorträge über Gott und die Welt, die den Blick weiten. Mal aus dem Alltag rauskommen, interessante Begegnungen, Zeit für Gespräche, auf neue Gedanken kommen – das ist die Idee hinter dem Frauenfrühstück, das von der Söckingerin Renate Reitzig vor 13 Jahren ins Leben gerufen wurde und das sie zusammen mit Renate Heintze, Carla Retz und Gisela Karl ehrenamtlich organisiert. „Frauen miteinander zu vernetzen“, sei ihr wichtig gewesen, so Reitzig, und fügt hinzu: „Und um das wunderschöne Carolinenhaus zu nützen.“ Freitags um neun Uhr beginnt die ökumenische Veranstaltung, zu der bis zu 30 Damen aus dem ganzen Landkreis erscheinen, die meisten sind fortgeschrittene Jahrgänge, manche aber noch berufstätig. Erst wird in entspannter Atmosphäre gemütlich gefrühstückt und geredet, dann kommen Neuigkeiten zur Sprache: etwa dass der Flohmarkt dringend Mitarbeiterinnen sucht, oder dass das Sozialwerk neuerdings einen Bürgerbus von Söcking nach Starnberg anbietet.
Mittelpunkt des Vormittags sind die Vorträge, die so bunt wie das Leben selbst sind: In den 13 Jahren hörten die Frühstücksgäste Lesungen von Autorinnen und Beiträge zur Lokalgeschichte, erfuhren von den Referentinnen viel über gesellschaftliche Probleme auf der ganzen Welt, diskutierten über Plastikmüll und Mobilität, lernten die Frau des Penzberger Imams kennen oder staunten, wie eine Kaminkehrerin sich in diesem Männerberuf Respekt verschafft.
Ein Meilenstein in der Geschichte der Frauenbewegung, nämlich der 100-jährige Geburtstag des Frauenwahlrechts, war der Impuls für den Vortrag bei der jüngsten Veranstaltung. Heidi Amman, Buchhändlerin aus Gauting und zwei Jahrzehnte lang Leiterin des dortigen Frauenfrühstücks, stellte mit Anita Augspurg eine der radikalsten und spannendsten Aktivistinnen von damals vor.
„Eine schillernde, vielseitige, selbstbewusste Person“, charakterisierte Amman die 1857 in Verden als Tochter eines Juristen geborene Anita Augspurg, die früh schon erkannte, dass Bildung und Beruf unabhängig machen. Sie ließ sich fürs Lehramt und in der Landwirtschaft ausbilden, aber auch als Schauspielerin und Turnlehrerin. Mit 30 zog sie nach München und führte sehr erfolgreich das Fotostudio Elvira. Mit 40 studierte sie Jura und promovierte – eine Seltenheit. Die Benachteiligung der Frauen war es, die sie umtrieb und einen der damals verbotenen Frauenvereine gründen ließ. Sie gab Zeitschriften heraus und forderte nicht nur das Wahlrecht für Frauen, sondern die komplette Veränderung der Geschlechterverhältnisse und trat für die freie Ehe ein. Mit ihrer Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann betrieb sie eine Landwirtschaft in Peißenberg, dann in Irschenhausen im Isartal. Die politische Vordenkerin und Pazifistin geriet während der Kriegsjahre ins Visier der Konservativen, bekam Redeverbot, ihre Post wurde überwacht. Als eine der ersten Frauen überhaupt kandidierte sie für den bayerischen Landtag, wegen ihrer radikalen Forderungen allerdings erfolglos.
Früh und weitsichtig erkannten Augspurg und Heymann, welche Gefahr von den aufstrebenden Nazis ausging. Als Hitler 1933 an die Macht kam, befanden sie sich gerade auf einer Urlaubsreise und entschlossen sich aus Furcht vor Repressalien, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren. „Hitler ließ ihren gesamten Besitz und ihre Bibliothek beschlagnahmen und zerstören, deshalb ist ihre gesamte publizistische Arbeit vernichtet“, bedauerte Ammann. Anita Augspurg starb 1943 mit 87 Jahren im Schweizer Exil, nur wenige Monate nach dem Tod ihrer Partnerin Lida Gustav Heymann.