Veröffentlicht am 26.05.2009 15:38

„Gehofft bis zum Schluss”

Angst vor der Zukunft. Nach Schließung der Hertie-Filialen werden auch diese Laimer Mitarbeiter möglicherweise auf der Straße stehen: (v.l.): Madlen Kammrath, Anja Fischer, Günter Dechant, Christina Radinger und Erika Scherzer. (Foto: tg)
Angst vor der Zukunft. Nach Schließung der Hertie-Filialen werden auch diese Laimer Mitarbeiter möglicherweise auf der Straße stehen: (v.l.): Madlen Kammrath, Anja Fischer, Günter Dechant, Christina Radinger und Erika Scherzer. (Foto: tg)
Angst vor der Zukunft. Nach Schließung der Hertie-Filialen werden auch diese Laimer Mitarbeiter möglicherweise auf der Straße stehen: (v.l.): Madlen Kammrath, Anja Fischer, Günter Dechant, Christina Radinger und Erika Scherzer. (Foto: tg)
Angst vor der Zukunft. Nach Schließung der Hertie-Filialen werden auch diese Laimer Mitarbeiter möglicherweise auf der Straße stehen: (v.l.): Madlen Kammrath, Anja Fischer, Günter Dechant, Christina Radinger und Erika Scherzer. (Foto: tg)
Angst vor der Zukunft. Nach Schließung der Hertie-Filialen werden auch diese Laimer Mitarbeiter möglicherweise auf der Straße stehen: (v.l.): Madlen Kammrath, Anja Fischer, Günter Dechant, Christina Radinger und Erika Scherzer. (Foto: tg)

„Das ist ein großer Verlust”, sagt Irmgard Metzger, die sich am Schmuckstand vor dem Kaufhaus Hertie in der Fürstenrieder Straße umsieht. Sie findet es schlimm, dass es die Laimer Institution bald nicht mehr geben soll. Eine andere Kundin pflichtet ihr spontan bei. „Ja” schlimm sei es „und jammerschade.“ Irmgard Metzger gehört zu den Stammkunden des Warenhauses. „Ich gehe hier in der Nähe zum Arzt und danach zu Hertie. Meistens finde ich das, was ich brauche: T-Shirts, Stifte, Taschen und vieles andere mehr.“ In Zukunft müsse sie wegen jeder Kleinigkeiten „extra in die Stadt fahren”. Sie werde die vertraute Atmosphäre „meines Kaufhauses vermissen” sagt sie.

Die Nachricht, Hertie werde bundesweit seine 54 Warenhäuser schließen, darunter die Filialen in Laim, Fürstenried und Giesing, hat in Laim eingeschlagen wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die Mitarbeiter dort sind geschockt. Wie bei einem Trauerfall begreifen sie erst nach und nach, was das endgültige Aus von Hertie für sie bedeutet. Bis zuletzt hofften sie, der britische Eigentümer der Mehrheit der Hertie-Immobilien, Dawnay Day, würde interessierten Investoren marktübliche langfristige Mietkonditionen einräumen und so den Erhalt des Unternehmens mit seinen 2600 Arbeitsplätzen sichern.

Im August vorigen Jahres hatte Hertie Insolvenz angemeldet, seitdem bangten und zitterten auch die Mitarbeiter in Laim um ihre Arbeitsplätze. Alles Hoffen und Harren hat nichts genützt! Die 33-jährige Abteilungsleiterin Anja Fischer spricht aus, was ihre Kolleginnen und Kollegen denken: „Es ist unfasslich, dass es Leute gibt, die ein gut funktionierendes Unternehmen aus Geldgier den Bach runtergehen lassen.“ In der Laimer Filiale sind 35 Mitarbeiter von der Schließung betroffen. In Fürstenried verlieren 42 Menschen ihren Job. In Giesing wird das Ende des Warenhauses 25 Mitarbeiter erwerbslos machen.

„Endgültige Entscheidung”

Erst allmählich werde den Mitarbeitern die Endgültigkeit der Entscheidung bewusst, sagt Günter Dechant, Geschäftsleiter der Filialen Laim und Fürstenried. Es herrsche „große Betroffenheit und Unverständnis”. Dechant: „Es hat Investoren gegeben, die bereit waren, die 54 Häuser weiter zu führen.“ Dass nicht eines dieser Angeboten akzeptiert worden ist, sei den Mitarbeitern sehr schwer zu vermitteln gewesen. Schon deswegen nicht, weil die drei Münchner Häuser nicht mehr der Investmentgruppe Dawnay Day Group gehörten. Dechant: „Das ist deshalb besonders tragisch.“ Die Kaufhäuser in der Fürstenrieder Straße und in der Tegernseer Landstraße gehören der Development Partner AG in Düsseldorf und der Münchner Bucher Properties. Der Geschäftsleiter ist sich sicher: „Wir wären überlebensfähig. Wir hatten auch kein Problem mit der Miete.“ Nun jedoch gebe es keine Warenversorgung mehr. Dechant erwähnt berührt, wie ungeheuer stark die Mitarbeiter durch das Geschehen belastet waren und sind. „Das war eine lange Zeit der Ungewissheit, niemand wusste, wie es weiter geht.“ Die nervliche Belastung sei seit geraumer Zeit unbeschreiblich.

Wann genau das Unternehmen die Türen seiner Häuser schließen wird, weiß Günter Dechant nicht. Darüber müssten sich Insolvenzverwalter und Gesamtbetriebsrat noch abstimmen. Er hält einen Zeitraum von Ende Juli/Anfang August für realistisch. Dechant: „Vorher wird es noch einen vorgezogenen Sommerschlussverkauf geben.“ Das Stamm-Sortiment solle so lange wie möglich erhalten bleiben, damit „wir nicht zerfleddert aussehen.”

„In ein tiefes Loch gefallen”

„Ich bin sehr traurig, wir haben alle gehofft bis zum Schluss.“ Die dienstälteste Hertie-Mitarbeiterin Christine Radinger, Mitglied des Gesamtbetriebsrates der Hertie-GmbH, – sie ist seit 1967 dabei – trifft der Todesstoß für Hertie besonders. Sie will die Leute mit Aktionen aufrütteln und darauf aufmerksam machen „was da bei uns abgeht.“ Sie und Erika Scherzer, die Betriebsratsvorsitzende der Laimer Filiale haben ein offenes Ohr für die Sorgen der Mitarbeiter. „Viele von denen sind in ein tiefes Loch gefallen“, weiß die Leitende Verkäuferin Madlen Kammraht. Denn alle schätzten die familiäre Atmosphäre des Hauses. Anja Fischer: „Wir haben alle viel Lebenszeit miteinander verbracht. Und ich konnte hier arbeiten, obwohl ich zwei kleine Kinder habe.“ Solch ein Unternehmen sei schwerlich wieder zu finden.

Obwohl die Kündigung noch nicht auf dem Tisch liegt, haben die Mitarbeiter Angst vor dem Gang zum Arbeitsamt. Erika Scherzer: „Das ist alles so unmenschlich. Man fühlt sich so ausgeliefert.“ Mit 60 Prozent des Netto-Lohns auszukommen, sei in München unmöglich. „Davon kann man noch nicht einmal die Miete bezahlen“, so die Hertie-Mitarbeiterinnen. Und Günter Dechant ergänzt: „Da hängen Sie schnell am Fliegenfänger.“ Die Hoffnung in anderen Kaufhäusern unterzukommen, sei gleich Null, fürchten die Hertie-Mitarbeiterinnen. Auch bei Karstadt und Kaufhof werde um die Arbeitsplätze gekämpft. Das zeige eine Unterschriftenaktion der Mitarbeiter von Karstadt am Bahnhof. Für Laim sei die Schließung „seines” Hauses katastrophal, meint Dechant. „Die Politik wird das erst begreifen, wenn die drei weg sind.“ Es drohe eine zweite „Beck-Kaufhaus-Ruine“. Auch die Laimer Geschäftsleute müssten mit massiven Umsatzeinbußen rechnen, wenn Hertie nicht mehr da sei. Auch um die Attraktivität der Fürstenrieder Straße als Einkaufsstraße zu erhalten, hatte die „Laimer Geschäftswelt“zusammen mit dem Werbe-Spiegel-Verlag bereits Unterschriften für das Fortbestehen des Kaufhauses gesammelt. Wie wird es am Ende sein? Anja Fischer: „Am Schluss werden wir alle unsere Tränen nicht zurückhalten können. Wir werden heulend im Verkauf stehen.“

Münchner Unternehmen, die erfahrenes Fachpersonal für den Einzelhandel suchen, werden gebeten, sich bei der Hertie-Filiale zu melden.

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