Veröffentlicht am 15.05.2008 10:38

„Auslese im Schulsystem verschlingt Millionen”


Von SB
BLLV-Präsident Wenzel: „Sparsame Auslese und intensive Förderung.“ (Foto: BLLV)
BLLV-Präsident Wenzel: „Sparsame Auslese und intensive Förderung.“ (Foto: BLLV)
BLLV-Präsident Wenzel: „Sparsame Auslese und intensive Förderung.“ (Foto: BLLV)
BLLV-Präsident Wenzel: „Sparsame Auslese und intensive Förderung.“ (Foto: BLLV)
BLLV-Präsident Wenzel: „Sparsame Auslese und intensive Förderung.“ (Foto: BLLV)

Die Auslese im bayerischen Schulsystem verschlingt nach Angaben des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) Jahr für Jahr Millionen. Geld, das dringend erforderlich wäre - beispielsweise für mehr Personal an Schulen. Stattdessen pumpe der Freistaat große Summen in pädagogisch fragwürdige Sitzenbleiber-, Wiederholer- und Schulabbrecherrituale. Die Kosten belaufen sich laut BLLV allein für das Schuljahr 2006/07 auf insgesamt rund 280 Millionen Euro. „Eine Vollzeitlehrkraft kostet im Schnitt 70.000 Euro pro Jahr“, rechnet BLLV-Präsident Klaus Wenzel vor. „Somit könnten für die durch Wiederholer und Schulabbrecher entstehenden Zusatzkosten von 280 Millionen Euro rund 4.000 zusätzliche Lehrer/innen beschäftigt werden. Der derzeitige Personalbestand könnte um fast fünf Prozent aufgestockt werden.“

So verließen nach Angaben des Statistischen Landesamtes Bayern 24,4 Prozent aller Schulabgänger die Schule, ohne den Abschluss erreicht zu haben, der für die jeweilige Schulart vorgesehen sei. Insgesamt wurden 36.400 Schüler/innen nicht versetzt, eine Klasse wiederholten 49.200. „So ein Schulsystem ist nicht - wie so oft behauptet - begabungsgerecht’“, betont Wenzel. „Vielmehr verfolgt die Schulpolitik unterschiedliche Strategien der Auslese.“ Ist die Auslese an der Grundschule wesentlich gekennzeichnet durch die Anbahnung der Verteilung der Schüler auf die drei folgenden Schularten, so ist sie an Gymnasien im Wesentlichen vom Versagen der Schüler geprägt. Nur 64 Prozent der Abgänger verließen 2006 das Gymnasium mit einem Abitur, 36 Prozent hatten dies nicht erreicht. Ausgrenzung wird am Gymnasium als Auslesestrategie am häufigsten praktiziert.

„Scharnierfunktion“

Eine „Scharnierfunktion“ zwischen Gymnasium und Hauptschule kommt der Realschule zu. Zum einen nahm die Realschule 7.600 Abgänger aus den Gymnasien auf, gleichzeitig produzierte sie mit 10.000 Nicht-Versetzungen den höchsten Anteil aller Schularten. Im Gegensatz zu den Gymnasiasten blieben Realschüler, die das Klassenziel nicht erreicht hatten, zum großen Teil an der Schule und wiederholten die Klasse (84,4 Prozent). Entsprechend geringer war der Anteil von Abgängern, die an die Hauptschule verwiesen wurden (10,5 Prozent). Das vermehrte Verbleiben an der Schule bewirkt, dass die Abschlussquote an Realschulen mit 84 Prozent deutlich höher liegt als an Gymnasien (64 Prozent). 16 Prozent der Abgänger hatten den mittleren Schulabschluss nicht erworben. Die Realschule hatte mit 9.100 Schülern/innen den größten Anteil von Schülern, die durch einen Schulartwechsel eine Jahrgangsstufe zweimal besuchten. Diese Aufstiegswiederholungen erfolgen vor allem aus der Jahrgangsstufe 5 der Hauptschule. Wenzel: „Durchlässigkeit als zweite Chance des Schulartwechsels hat in einem selektiven Schulsystem den Preis, ein Schuljahr zu wiederholen.“

„Warteschleife”

„Unruhig“ geht es laut BLLV an den Hauptschulen zu. Hier sei die Schülerfluktuation stark, auch die Wiederholerquote sei mit 4,9 Prozent hoch. 9500 Hauptschüler/innen erreichten 2006/07 das Klassenziel nicht. 4.200 mussten die Klasse wiederholen, 4.500 verließen die Schule ohne Abschluss. An Hauptschulen sei der Anteil der „freiwilligen Wiederholer“ mit 7.600 Schülern besonders hoch (59 Prozent der Wiederholer). Sie konzentrieren sich auf die Jahrgangsstufe 9. Es handele sich dabei um Schüler/innen, die keine Ausbildungsstelle gefunden haben. „Diese Jahrgangsstufe wird zur Warteschleife umfunktioniert“, kritisierte Wenzel. 11.400 der leistungsstarken Schüler/innen verlassen nach BLLV-Angaben die Hauptschule in den Jahrgangsstufen 5 bis 7 in Richtung Gymnasium, Realschule und Wirtschaftsschule. Im Gegenzug nehmen die Hauptschulen 4.900 Schüler/innen auf, die in Gymnasien, Realschulen oder Wirtschaftsschulen gescheitert sind.

Reformen gefordert

Wenzels Fazit: „An den bayerischen Gymnasien wird ‚ausgesiebt“, an den Realschulen müssen viele Schüler/innen ‚schmoren’, weil sie ein Jahr wiederholen müssen, und an den Hauptschulen herrscht ein ‚Kommen und Gehen’. Wir brauchen keine Beschwichtigungs- und Beschwörungsdebatten, sondern professionell vorbereitete und in einem breiten Konsens durchgeführte Reformen. Mit sparsamer Auslese und intensiver Förderung werden mehr junge Menschen die Schule als leistungsstarke, lebensbejahende und kompetente Persönlichkeiten die Schule verlassen als bisher.“

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