Veröffentlicht am 02.07.2009 10:15

„Neue inhaltliche Schwerpunkte“

Ab dem Schuljahr 2010/11 sollen die Hauptschulen in Bayern zu Mittelschulen ausgebaut werden. (Foto: pi)
Ab dem Schuljahr 2010/11 sollen die Hauptschulen in Bayern zu Mittelschulen ausgebaut werden. (Foto: pi)
Ab dem Schuljahr 2010/11 sollen die Hauptschulen in Bayern zu Mittelschulen ausgebaut werden. (Foto: pi)
Ab dem Schuljahr 2010/11 sollen die Hauptschulen in Bayern zu Mittelschulen ausgebaut werden. (Foto: pi)
Ab dem Schuljahr 2010/11 sollen die Hauptschulen in Bayern zu Mittelschulen ausgebaut werden. (Foto: pi)

In Bayern werden die Hauptschulen ab dem Schuljahr 2010/11 zu sogenannten Mittelschulen ausgebaut. Dies teilte Kultusminister Ludwig Spaenle mit. Ziel sei es, künftig die Hauptschulen flächendeckend einzeln oder in Schulverbünden zu Mittelschulen weiterzuentwickeln. Sie garantiere den Schülern eine bestimmte Reihe von pädagogischen Elementen in ihrem Bildungsangebot. „Es ist nicht mein Ziel, nur das ,Türschild` an den Hauptschulen zu verändern: Mit dem neuen Namen gehen neue inhaltliche Schwerpunkte einher. Er dokumentiert auch einen neuen Anspruch“, betont Spaenle. „Die Mittelschule als Hauptschule mit einem sehr breitgefächerten Bildungsangebot eröffnet den Schülern neue Chancen auf dem Weg in den Beruf.“

„Schulpolitisch historischer Scheideweg”

Mit dem Kabinettsbeschluss zur Mittelschule steht Bayern nach Ansicht des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) an einem schulpolitisch historischen Scheideweg. „Jetzt wird sich zeigen, wie lange ein anspruchsvolles schulisches Angebot im ländlichen Raum garantiert werden kann“, erklärt BLLV-Präsident Klaus Wenzel. Er wertete das vorgestellte Konzept als Eingeständnis der bayerischen Schulpolitik, mit allen bisherigen Versuchen, die Hauptschule attraktiver zu gestalten, gescheitert zu sein. Die geplante Mittelschule sei ein weiterer Versuch, die Hauptschule zu retten. Das Konzept wirft aus Sicht des BLLV viele Fragen auf. „Eine Weiterentwicklung der Hauptschulen in Mittelschulen kann nur gelingen, wenn die dort erworbenen Abschlüsse tatsächlich von den Eltern und den Ausbildungsbetrieben als absolut gleichwertig zu den jetzigen Realschulabschlüssen angesehen werden und die Schüler die gleichen Erfolgsaussichten in der Fachoberschule haben wie Realschüler“, so Wenzel. „Viele Lehrer und Eltern hegen daran berechtigte Zweifel.“

Zentrale Elemente der künftigen Mittelschule sollen nach Angaben des Kultusministeriums mehr berufliche Orientierung und mehr individuelle Förderung sein. Die berufliche Orientierung stelle dabei das Alleinstellungsmerkmal der Haupt- und Mittelschule dar. Für die vertiefte Berufsorientierung investiert der Freistaat laut Spaenle zusätzlich rund sechs Millionen Euro pro Jahr. „Die ausgeprägte Berufsorientierung der Mittelschule bildet eine sehr gute Basis für die Aufnahme einer Berufsausbildung“, erklärt der Minister. 80 Lehrkräfte sollen sich künftig auf Landesebene der Vernetzung der Hauptschulen mit der Wirtschaft widmen. Gleichzeitig soll die begabungsgerechte individuelle Förderung ausgebaut werden. Der Freistaat werde für den qualitativen Ausbau der Haupt- und Mittelschule mehr Lehrerstellen bereitstellen.

Die Mittelschule muss nach Ansicht des Kultusministers das breit gefächerte Bildungsangebot garantieren. Schulen, die das nicht allein gewährleisten können, werde demnach die Möglichkeit eröffnet, in Schulverbünden zusammenzuarbeiten: „Im Verbund haben kleinere Hauptschulen Zukunft. Die Schulverbünde erhalten mehr Gestaltungsspielraum und verfügen über ein Stundenbudget, das sie eigenverantwortlich einsetzen. Eine Mindestgröße der Verbünde wird dabei vom Kultusministerium nicht vorgegeben. Die Schulverbünde eröffnen für Spaenle auch die Chance, so viele Standorte von Hauptschulen in ländlichen Regionen so lange wie möglich zu erhalten und so die Lebensqualität für die Menschen vor Ort zu sichern.

„Kaum lösbare Probleme”

Anderes sieht das die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Bayern (GEW). Mit dem Zusammenschluss mehrer Hauptschulen zu Schulverbünden und der Übertragung der Verantwortung für viel zu knappe Budgets auf die Verbundschulen werden diese vor kaum lösbare Probleme gestellt. „Ein neuer Name und die Einführung eines Super-M-Zuges ab Klasse fünf werden die Hauptschule nicht zu einer wirklich attraktiven Schulart machen“, betont Gele Neubäcker, die GEW-Vorsitzende. Offensichtlich solle die Mittelschule als zusätzliche Schulart neben der Hauptschule eingeführt werden. Das setzt nach Ansicht der GEW die Schüler, „die der Hauptschule zugeordnet werden, erneut einem Gefühl des Aussortiert-Werdens aus und demotivert die Kinder, die Förderung und Erfolgserlebnisse am nötigsten brauchen noch zusätzlich.“

Die Bildung der Schulverbünde gelingt laut Spaenle am besten im Dialog der Beteiligten vor Ort. Zu diesem Zweck wurden im Auftrag des Ministers auf Landkreisebene Dialogforen ins Leben gerufen. Ihr erster Auftrag ist es auf der Basis des bestehenden Schulsystems mit den Beteiligten vor Ort passgenaue Lösungen für die freiwillige Zusammenarbeit der Hauptschulen in Schulverbünden abzuwägen und zu erörtern. Die Pilotphase hat nach Angaben des Kultusministeriums bereits begonnen. Noch im Juli sollen demnach die ersten Dialogforen stattfinden.

„Retter und Gesundbeter”

„Nur die großen Hauptschulen werden besser ausgestattet, die kleinen lässt man langsam ausbluten; damit wird der bisherige Retter und Gesundbeter der bayerischen Hauptschule – die CSU – zum Totengräber der wohnortnahen Schule“, kritisiert SPD-Bildungssprecher Hans-Ulrich Pfaffmann die Pläne von Kultusminister Spaenle. „Mit den jetzt bekannt gewordenen Plänen werden weder die pädagogischen noch die regionalen Probleme des bayerischen Bildungssystems gelöst – im Gegenteil, sie werden auf die Spitze getrieben. Die SPD lehnt alle Pläne ab, die das Ende von zahlreichen Schulstandorten bedeuten.“ Pfaffman fordert alle Bürgermeister des Freistaats zum massiven Protest gegen das Vorhaben auf. „Eine Gemeinde ohne Schule geht in einen schweren Weg in die Zukunft“, meint der SPD-Bildungsexperte.

Mit den Lösungsvorschlägen des Kultusministers geschehe genau das, was der BLLV mit seinem Konzept der Regionalen Schulentwicklung (RSE) verhindern will: Die Entschulung des ländlichen Raumes mit katastrophalen Folgen für die betroffenen Gemeinden und erheblichen Nachteilen für die Schüler, die weite Wege in Kauf nehmen müssen und sich in großen und anonymen Schulen wiederfinden. „Ich befürchte, dass mit den Ankündigungen der Kampf um Schulstandorte beginnt. Jede größere Kommune wird nun eine Mittelschule wollen – übersehen wird dabei, dass hunderte kleine Schulstandorte keine Chance haben und von der Landkarte verschwinden werden.“

„Krampfhaftes Festhalten”

Auch die Grünen im Bayerischen Landtag kritisieren die angekündigte, angebliche Aufwertung der Hauptschulen als bloßen Umetikettierungsversuch. „Wenn man eine Schachtel jetzt neudeutsch als Box bezeichnet, wird sie trotzdem nicht voller“, erklärt der schulpolitische Sprecher Thomas Gehring. Die Probleme der Hauptschulen als schwächstes Glied im dreigliedrigen Schulsystem würden nicht gelöst. „Mit diesen Plänen bleiben ein paar wenige große Hauptschulen übrig, die dann Mittelschule heißen und noch mehr kleine Hauptschulen auf dem Land werden schließen müssen.“ Der Trend, dass die Hauptschulen bei Eltern und Arbeitgeber nicht anerkannt seien und immer weniger Schüler auf die Hauptschule gehen wollten, werde dadurch nicht gebremst. Die Grünen fordern ein Schulsystem, das die Schüler in den Mittelpunkt stellt und „nicht ein krampfhaftes Festhalten am dreigliedrigen Schulsystem“.

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