Veröffentlicht am 18.08.2020 17:09

Die Karl-Gayer-Unterführung und Heinrich Himmler


Von Walter G. Demmel
Bild 1 (Foto: Sammlung Rudolph)
Bild 1 (Foto: Sammlung Rudolph)
Bild 1 (Foto: Sammlung Rudolph)
Bild 1 (Foto: Sammlung Rudolph)
Bild 1 (Foto: Sammlung Rudolph)

Diese Untermenzinger Unterführung (Bild 1) hat eine lange Geschichte, die so weit zurückgeht, dass kein Zeitzeuge sich noch an den ersten Zustand von 1922 erinnert. Um nur etwas zurückzukommen, sei hier der Lageplan der Rad- und Fußwegunterführung aus dem Jahre 1922 in lesbarer Größe gezeigt. Im oberen Teil ist das Gelände westlich der Unterführung mit Kirschgelände zu sehen. Der Weg zum Allacher Bahnhof (Fußweg) schloss auch die Hintermeierstraße ein. Auf der Ostseite führte und führt noch heute ein Fußweg neben dem Krauss-Maffei-Abstellgleis nach Süden.

Im Doppelbild 2 ist die Unterführung von mir fotografiert, wie sie sich uns zeigte, als wir 1971 von Schwabing nach Untermenzing zogen. Links ein Blick vom Osten her, rechts der Zugang vom Westen, den man über einen Fußweg vom Allacher Bahnhof her erreichte. 2005 bekam Untermenzing nicht nur eine eigene S-Bahn-Station, sondern auch eine neue breite Unterführung für Radfahrer und Fußgänger nach Allach mit Aufgang zur Hintermeierstraße. Die neue Unterführung wurde immer mehr durch wilde Graffitischmierereien verunstaltet.

Der BA 23 ließ sie durch den Münchner Maler und „Graphiti“-Künstler Blumöhr nach dessen Vorstellungen völlig neu und farbig gestalten. So kam auch ein nicht lesbarer Name in die Mitte der nördlichen Wand. Um gleich klarzustellen, man ersieht aus dem Bild: Himmler ist nicht und war nicht in der Karl-Gayer-Unterführung in Untermenzing. Himmlers Name sollte offensichtlich nicht gezeigt werden.

Zunächst geht es jedoch um das Gesamtprojekt „Stadtlichtung“ des renommierten Münchner Künstlers Martin Blumöhr, das dieser zusammen mit Schülern der Franz-Nißl- Mittelschule, der Carl-Spitzweg-Realschule und des Louise-Schroeder-Gymnasiums im Frühjahr und Sommer 2017 durchführte. Blumöhr nutzte seine künstlerische Freiheit, leitete in seinem Sinne die Schülerinnen und Schüler an, unterstützte sie bei ihren Vorhaben und achtete darauf, dass einige historische Themen berücksichtigt wurden. Dazu gehört die Inselmühle, die Porzellan Manufaktur Allach, der Steyrer Hans, Krauss-Maffei, der Lautenschläger-Bunker, die Diamaltfabrik und das Kriegerdenkmal. Dr. Rudolph und ich hatten dazu noch weitergehende Vorschläge gemacht. Die desolate Unterführung wurde durch dieses Projekt aus der Trostlosigkeit des bisherigen Zustandes herausgerissen und wunderschön farbig gestaltet. In einer Sitzung des BA 23 war das Projekt von mir angeregt worden, fand sofort die volle Zustimmung der Mitglieder und die Begleitung durch Frau Hartdegen und Frau Haussmann. Am 27.07.2018 konnte die neue Unterführung durch den damaligen 2. Bürgermeister Josef Schmid und unsere BA-Vorsitzende Frau Kainz eingeweiht werden.

War nun alles bestens? Vermutlich nicht, weil Durchfahrer und Durchgänger immer wieder ihre Meinung auch negativ zum Ausdruck brachten. Die einen fühlten sich durch die vielen Augen bedrohlich bewacht, andere beschwerten sich über den Panzer, der sie eingangs „begrüßte“, andere mahnten an, dass Krauss-Maffei zunächst einmal der große Lokomotivbauer war, in der NS-Zeit auch bedeutende Rüstungsfirma und erst heute über die Zweigfirma KM-Wegmann den Leopard 2 baut. Ich selbst habe in der Unterführung immer wieder interessierte Passanten befragt, warum der Häftling auf der Leiter den Namen Nagy durchgestrichen hat, welchen Namen er schreibt und warum man nur Häftlinge sieht. Niemand konnte mir eine richtige Antwort geben.

So lesen wir rechts an einem Gebäudeteil, das offensichtlich zum Porzellangebäude (in Allach oder Dachau?) gehören soll, die Erinnerung an die Tausende KZ-Häftlinge in Außenlagern von Dachau, die durch Arbeit, Hunger, Willkür und Mordlust ihr Leben lassen mussten. Leider ist das die Wahrheit. Nicht richtig ist es, dies mit der Porzellan Manufaktur Allach-München in Verbindung zu bringen. Die Tätigkeit im Dachauer Werk war für dort ab 1942 ca. 100 beschäftigte KZ-Häftlinge nach deren belegbarer Aussage sicher Zwangsarbeit, aber mit Überlebensgarantie; noch mehr trifft dies für die wenigen (ca. 10) in Allach selbst beschäftigten Häftlinge zu. Auch dafür liegen schriftliche Beweise vor. Warum man Nagy als ehemaligen Eigentümer zwar durchgestrichen, Himmler aber als verdeckten Eigentümer nicht besser sichtbar gemacht hat, entzieht sich der Kenntnis des Betrachters genauso wie die Einbeziehung von Flugzeugen, Raketen und Flammenmeer über dem Allacher Bild. Ein Rätsel gibt auch das merkwürdige Riesenporzellantier auf, mit dem drei Häftlinge beschäftigt sind.

Wer war aber Nagy und was ist Allacher Porzellan? Ferenc Nagy war ein von seinem Können und Lebensziel zutiefst überzeugter Mann, der seinen Weg als ungarischer Porzellantechniker quer durch Bayern ging und bei renommierten bayerischen Porzellanherstellern gelernt, gearbeitet und entworfen hat. Einer größeren Öffentlichkeit wurde er bekannt als Gründer der Porzellan Manufaktur Allach. 1927 hatte er sich von Selb aus sein zukünftiges Gewerbegrundstück in Allach (in der damaligen Lindenstraße 8) und 1932 sein Privathaus in Untermenzing (in der damaligen Parkstr. 16) gekauft, nachdem er mit seiner Familie 1929 deutscher Staatsbürger geworden war. 1935 kam er von Selb nach Allach, gründete dort seine keramische Werkstätte, die im Januar 1936 in eine GmbH umgewandelt wurde und 1939 über zwei SS-Leute entschädigungslos in den SS-Wirtschaftsbetrieben Heinrich Himmlers übernommen wurde. Allacher Porzellan wurde in der Zeit zwischen 1935 und 1945 als SS-Porzellan mit den SS-Runen produziert, war ein von Heinrich Himmler mit besonderer Aufmerksamkeit geförderter Kunst- und Wirtschaftsbetrieb und erfreut sich noch heute aus verschiedensten Gründen hoher Preise im Kunsthandel. Nagy erhielt sein konfisziertes Eigentum 1945 nicht mehr zurück und musste sich eine neue Existenz in Untermenzing aufbauen. Heinrich Himmler (1900-1945) war nach Hitler zum mächtigsten Mann im Nazireich aufgestiegen und hatte fast ein Dutzend Ämter inne. Der Auf- und Ausbau der Konzentrationslager und die Ermordung von Millionen von Juden gehen auf seine Befehle zurück. Er war einer der größten Kriegsverbrecher der NS-Zeit und starb in Lüneburg am 23. Mai durch Selbstmord.

Dies alles steckt hinter dem mehrfach detailliert gezeigten Bild in der neu gestalteten Karl-Gayer-Unterführung in Untermenzing, deren andere Bilder ebenfalls betrachtens- und beachtenswert sind.

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