Veröffentlicht am 23.08.2021 08:49

Aus Zahlen werden Menschen


Von Patrizia Steipe
Ali mit dem Buch von Laura Kennedy. Daneben steht Mutter Mareike Kennedy. (Foto: pst)
Ali mit dem Buch von Laura Kennedy. Daneben steht Mutter Mareike Kennedy. (Foto: pst)
Ali mit dem Buch von Laura Kennedy. Daneben steht Mutter Mareike Kennedy. (Foto: pst)
Ali mit dem Buch von Laura Kennedy. Daneben steht Mutter Mareike Kennedy. (Foto: pst)
Ali mit dem Buch von Laura Kennedy. Daneben steht Mutter Mareike Kennedy. (Foto: pst)

Der Kiosk am Pilsensee in Hechendorf ist viel mehr als eine Station, an der man Eis, Getränke und kleine Speisen kaufen kann. Es ist ein Ort der Begegnung und auch des bürgerschaftlichen Engagements. Das liegt an den Betreiberinnen Gundi und Saskia Römer. Die engagierten Frauen setzen sich für Geflüchtete ein, aber auch für den Tierschutz. Viele ihrer Stammgäste unterstützen die Initiativen. Zum Kioskteam gehört beispielsweise ein junger Mann aus Mali. Ali absolviert ein Praktikum in der Küche. Besonders gerne backe er Flammkuchen und Käsekuchen, erzählte er. Vor sechs Jahren ist er als Asylbewerber nach Hechendorf gekommen. Die Kunden schätzen den freundlichen jungen Mann. Seit kurzem können sie mehr aus seinem Leben, aber auch aus dem Leben von Nassime, einer Afghanin, die aus dem Iran geflohen ist und Ali, der aus dem Irak stammt, erfahren. Die 14-jährige Laura Kennedy aus Seefeld hat nämlich ein kleines Buch über die drei geschrieben, das am Kiosk erworben werden kann. Es entstand im Rahmen einer Projektarbeit in der achten Klasse an der Montessorischule in Inning. „Aus Zahlen werden Menschen“ heißt das Buch, das am Kiosk erworben werden kann. In den Medien würden Menschen häufig lediglich als Zahlen gesehen. „Die Menschen dahinter sind oft unsichtbar“, kritisiert die Schülerin per Telefon auf ihrem Familienurlaub in Irland. Laura wollte aufzeigen, was Flüchtlinge hinter sich lassen, was sie auf der Flucht durchmachen, was für Hoffnungen sie haben. Abgerundet sind die Interviews mit Kurzbeschreibungen über die Fluchtursachen, über Asylverfahren, über die Religion, die Bräuche und das Alltagsleben.

Plätzchenbacken und Fastenbrechen

Ali kannte Laura seit längerem. Sie sei einmal mit einer Freundin in das Asylbewerberheim gegangen, um die neuen Nachbarn kennenzulernen. So ein Besuch sei doch völlig normal, erklärte sie. So sei der Kontakt zu Ali entstanden. „Wir haben ihn zum Plätzchenbacken eingeladen und ein Praktikum vermittelt“, berichtete Mutter Mareike Kennedy. Im Gegenzug seien sie zum traditionellen Fastenbrechen im Ramadan eingeladen worden. Viele Träume habe er gehabt, als er nach Deutschland gekommen ist, erzählt der junge Mann. Doch sein Antrag auf Asyl ist abgelehnt worden. Er hat keine Arbeitserlaubnis, selbst für das Praktikum habe sie „wie eine Löwin beim Landratsamt kämpfen müssen“, erklärt Gundi Römer. Damit Ali doch noch bleiben darf, sollen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden. Ali selbst sucht Trost in langen Spaziergängen durch die Wälder der Umgebung. Für das Buch der jungen Schülerin hat er über seine schrecklichen Erfahrungen berichtet. 2013 seien sein Vater und sein Bruder in Mali von Terroristen erschossen worden. Ali selbst musste fliehen, die Mutter und Schwester sind verschollen. Ali, dessen Familie einer ethnischen Minderheit angehört, war bereits mit neun Jahren als Viehhirte alleine für seine Herde verantwortlich. „Wenn er die Milch von seinen Kühen trank, konnte er rausschmecken, wo sie gefressen hatten“, so die Autorin. „Bei der Flucht ging es ihm sehr schlecht. Er wurde in Libyen gefoltert und war für einen Monat im Gefängnis“ und bei seiner Flucht über das Meer „war er tagelang unter Deck im Bug, wo er kaum Luft bekommen hat. Die meisten Menschen um ihn herum sind gestorben“. Nach 33 Monaten hatte seine Flucht in Hechendorf ein Ende. Ali hat Deutschkurse besucht, eine Grundausbildung in Hoch- und Tiefbau absolviert und hatte Zukunftsperspektiven, doch jetzt weiß er nicht, wie es weitergeht.

Durch ihren Kontakt mit den Geflüchteten ist Laura Kennedy klargeworden, dass es nicht selbstverständlich sei, „in einem kuschligen Bett zu schlafen (…), in einem Kühlschrank Essen zu haben, als Mädchen, in die Schule gehen zu können…“.

Hilfe für Straßenhunde

Laura Kennedy hat auch ein großes Herz für Tiere. Regelmäßig hilft sie beim Verkauf von Tombolalosen für Irinas Tierhilfe (www.irinas-tierhilfe.de) auf dem Perger Weihnachtsmarkt mit. Auch Gundi und Saskia Römer sammeln für den Verein, der sich um rumänische Straßenhunde kümmert. Sie verkaufen kunsthandwerkliche Gegenstände und Flohmarktartikel. Mit dem Erlös werden die Tiere in Rumänien von ehrenamtlichen Helfern ärztlich versorgt und kastriert. Danach werden die Tiere vermittelt, erklärte Sabine Kreppel. Sie lebt am Ammersee und ist die bayerische Verbindungsfrau für die deutschen Patenvereine von Irinas Tierhilfe, der Verein Tierschutzengel Kaiserstuhl sowie „Bellos Pfötchenhotel“ in Bacharach (Rheinland-Pfalz). Auch Familie Römer besitzt einen rumänischen Hund. Alle vier Beine waren gebrochen, erzählt Saskia Römer. Mit Liebe und Fürsorge sind die körperlichen und seelischen Wunden behandelt. Die Fellnase mit dem glänzenden braunen Fell dankt es mit treuer Zuneigung.

Das Strandbad Pilsensee ist in der Seestraße 68, Seefeld-Hechendorf.

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