Veröffentlicht am 27.05.2008 09:15

„In Laim gibt's viel zu entdecken”


Von TG
Der Namenspatron der Kirche St. Ulrich empfängt die Besucher des Gotteshauses im Kreuzgang. Der Hobby-Historiker Norbert Winkler deutet auf die Symbole des Heiligen – Fisch und Evangeliar. (Foto: tg)
Der Namenspatron der Kirche St. Ulrich empfängt die Besucher des Gotteshauses im Kreuzgang. Der Hobby-Historiker Norbert Winkler deutet auf die Symbole des Heiligen – Fisch und Evangeliar. (Foto: tg)
Der Namenspatron der Kirche St. Ulrich empfängt die Besucher des Gotteshauses im Kreuzgang. Der Hobby-Historiker Norbert Winkler deutet auf die Symbole des Heiligen – Fisch und Evangeliar. (Foto: tg)
Der Namenspatron der Kirche St. Ulrich empfängt die Besucher des Gotteshauses im Kreuzgang. Der Hobby-Historiker Norbert Winkler deutet auf die Symbole des Heiligen – Fisch und Evangeliar. (Foto: tg)
Der Namenspatron der Kirche St. Ulrich empfängt die Besucher des Gotteshauses im Kreuzgang. Der Hobby-Historiker Norbert Winkler deutet auf die Symbole des Heiligen – Fisch und Evangeliar. (Foto: tg)

Jahres- und Geburtstage sind stets herausragende Anlässe, sich zu erinnern. Und was für den einzelnen Menschen gilt, das trifft ebenso für die Gemeinwesen zu, in denen Menschen in mehr oder minder großer Zahl leben. Die Stadt München zum Beispiel. Die wird von Mitte Juni an mit vielen Festen und allerlei Ereignissen den 850. Jahrestag ihrer Gründung feiern. Münchens Geschichte ist allerorten präsent. Der „Geburtstag” der Hauptstadt Bayerns hat die Neugier und das Interesse an ihrem Werden aber auch die Lust daran geweckt, mehr als nur das Bekannte von ihrer Geschichte wissen zu wollen. Dabei wird leicht vergessen, dass, so wie sich das Leben eines Menschen aus ungezählten geringfügig erscheinenden Geschehnissen zusammensetzt, das großartige Ganze einer Metropole aus vielen kleinen Zellen entstanden ist und besteht. Diese „Zellen” – Stadtteile, Viertel, Quartiere, Vororte genannt – sind in aller Regel sehr viel älter als die Großstädte, die ihre Summe sind. Laim, Pasing, Großhadern, Forstenried und Solln etwa waren einst beschauliche Bauerndörfer, eigenständige, von München unabhängige Gemeinden, die weit vor den Toren der Stadt lagen. Erst nach der Wende ins 20. Jahrhundert verloren sie nach und nach ihre politische Selbständigkeit, wurden in München eingemeindet. Laim zum Beispiel war einmal eine eigene Ortschaft, die zwischen 1047 und 1053 als „loco leima“ – der Name weist auf die dort einstmals vorhandenen Lehmvorkommen hin – erstmals urkundlich erwähnt wurde. Noch im Jahr 1885 zählte Laim gerade 238 Einwohner. Der Bau des Rangier- und Güterbahnhofs vor den Toren Münchens in den Jahren 1890 bis 1892 gab dem Dorf einen gewaltigen Entwicklungsschub. Die Bevölkerung wuchs schnell. Im Jahr 1900 war Laim attraktiv genug, um von der Stadt München „geschluckt“ zu werden. Heute leben in dem großstädtisch geprägten Randquartier 50 000 Menschen.

Das Bauerndorf ist verschwunden

„Hier stand auch ein Bauernhof.“ Das ist einer der am häufigsten geäußerten Sätze von Norbert Winkler, wenn er versucht, anderen Menschen „seinen” Stadtteil nahe zu bringen. Er betreffe viele markante Gebäude des heutigen Laim. Es ist kaum zu glauben, was der stellvertretende Vorsitzende des Historischen Vereins Laim, bei einem Stadtteilspaziergang durch das Viertel erklärt. Doch eines der vielen Fotos, die Winkler und andere Amateur-Historiker im Verein gesammelt haben, dokumentiert beispielsweise: „Noch bis 1957 stand an der Ecke Fürstenrieder-/Agnes-Bernauer-Straße einer der letzten Bauernhöfe Laims, ‚beim Sattler’“. Sowohl der ländliche Charakter als auch das Bauerndorf sind völlig vergangen, vergessen, vorüber. Aus dem Dorf „am Lehm“ ist die Parzelle einer sich fortwährend weiter ausbreitenden Großstadt geworden. Eine Parzelle, die von der Fürstenrieder Straße wie durch einen nur mit großer Mühe zu überquerenden Fluss zerschnitten wird. Einer Einkaufsstraße, die an ihrem Autobahncharakter zu ersticken droht. An ihr liegt auch die Stadtbücherei. Die ist Ausgangspunkt für eine Führung durch den Stadtteil, die der Historische Verein gemeinsam mit der Volkshochschule anbietet. Die Tour dauert etwa zwei Stunden. Dieser „Spaziergang” führt durch die Fürstenrieder Straße zum Laimer Anger, zur St. Ulrichs-Kirche, zum Laimer Schlössl, zur Interimskirche, dem Lehrer Angerer –Häusl, der Paul-Gerhardt-Kirche und zur Eisenbahnersiedlung am Laimer Platz. „Ich finde es traurig, dass die Fürstenrieder Straße stirbt“, kommentiert der Hobby-Historiker Winkler die aktuellen Geschäftsschließungen im Zentrum des zu schnell und unharmonisch gewachsenen Quartiers. Es könne der Eindruck aufkommen, in Laim gebe es nur noch Telefonläden. Schon vor geraumer Zeit seien die drei Kinos an der Fürstenrieder Straße, die bis zur Eingemeindung Forstenrieder Straße hieß, vom Fernsehen verdrängt worden. Der hauptberuflich als Vermessungs-Ingenieur schaffende Winkler dokumentiert, sammelt und archiviert mit seinen Vereinskollegen alles, was Laim betrifft. So weiß er zu berichten, dass das heutige Karstadt-Kaufhaus früher das Kaufhaus „Kepa“ war, in dem die Laimer billig einkaufen konnten. Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg habe das „Metropol“-Kino dort Kunstwerke auf Zelluloid gezeigt. Das Filmtheater ist im Jahre 1970 abgerissen worden. Und wo heute das Textilhaus Schreiner stehe, seien im Einzelhandelsgeschäft Linsert Lebensmittel verkauft worden, so Winkler. Das Ehepaar Margot und Ludwig Linsert habe während der Zeit des Nationalsozialismus’ Flugblätter mit Texten gegen die Nazis verteilt und so aktiven Widerstand geleistet.

Ungelöste Rätsel

Der 56-jährige Hobby-Historiker will mit seinem Kollegen Maximilian Mühlbauer, dem Vorsitzenden des Historischen Vereins, bei seinen Spaziergängen das Interesse der Laimer am eigenen Stadtteil wecken. Winkler: „So können Ecken entdeckt werden, die zuvor nicht wahrgenommen wurden.“ Die Geschichten und die Geschichte vor der Geschichte der Großstadt München sei das Spannende. Es gebe in Laim noch viel zu erforschen, stellt der Vermessungs-Ingenieur fest. „Das könnte jeden Tag ein 24-Stunden-Job sein.“ Allein die Anfänge des Laimer Schlössls und der Kirche St. Ulrich gäben Rätsel auf. Ein Thema, das noch kaum beachtet worden sei, seien die Menschen, die Laim geprägt hätten. Winkler: „Mein Ziel ist ein Stadtteilbuch von Laim. Ich will nicht auf halber Strecke stehen bleiben.“ Seit er seiner Tochter Kerstin bei den Recherchen über die Geschichte Laims für die Schule habe helfen wollen, sei er dem Thema treu geblieben. Der 56-Jährige: „Es gab nichts über Laim, nur ein Buch über Brunnen in München, von denen 15 in Laim gewesen sein sollen.“ So habe er versucht, die Brunnen zu finden. „Ich war in vielen Hinterhöfen und habe Brunnen-Figuren und Denkmäler gefunden.“ Auf diese Weise sei er zum Historischen Verein gestoßen. Den gibt es seit 1984. Er zählt rund 70 Mitglieder. Norbert Winkler: „Prinzipiell kann jeder mitmachen, es gibt viel zu tun.“ Ein „Stadtteilspaziergang” mit neuen Einblicken und Ansichten ist dabei nur der geringste Gewinn. Oder wer weiß schon, dass es von 1886 bis 1898 östlich der Fürstenrieder Straße, angefangen bei der Gotthardstraße bis hin zum Kärtnerplatz eine große Pferderennbahn gegeben hat oder dass die Toten der alteingesessenen Laimer Familien auf den Grabsteinen des alten Friedhofs St. Ulrich verewigt sind? Es gilt Winklers Satz: „Es gibt noch viel zu entdecken!“ Und: Das große Ganze ist die Summe aus manch entdeckenswertem Kleinen.

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